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Nahost-Konflikt bei den OscarsGeschichte, verzerrt

In seiner Oscar-Rede thematisierte Regisseur Glazer den Nahost-Konflikt. Seine Formulierung wird von 1.000 jüdischen Filmleuten kritisiert.

Regisseur Jonathan Glazer (rechts) bei seiner Rede in Los Angeles Foto: Chris Pizozello(/Invision/ap

Deutschland wird mitunter eine übertriebene Haltung nachgesagt, wenn es um den Umgang mit Kritik an Israel geht. Dass zumindest in den USA ähnliche Debatten zum Thema geführt werden, legt ein offener Brief nahe, den mittlerweile über 1.000 jüdische Filmleute, viele davon in Hollywood tätig, unterzeichnet haben. Sie kritisieren darin die Oscar-Preisrede des britischen Regisseurs Jonathan Glazer, wie etwa die Branchenblätter Variety und The Hollywood Reporter berichten.

Bei der Verleihung des Oscars für den besten internationalen Film für seinen Auschwitz-Film „The Zone of Interest“ hatte Glazer bei der Gala am 11. März gesagt, er wollte mit dem Thema im Hinblick auf die Gegenwart zeigen, wohin „Entmenschlichung“ führt. Im gleichen Atemzug sprach er von „Besatzung“ und bezog den Begriff der Entmenschlichung unterschiedslos auf die Opfer des 7. Oktobers wie auf die „fortlaufenden Angriffe auf Gaza“. Für seine Rede hatte Glazer Beifall aus dem Publikum erhalten.

In dem offenen Brief, den unter anderem die Schauspielerin Jennifer Jason Leigh und der Regisseur Eli Roth unterzeichneten, wenden sie sich dagegen, dass ihr „Jüdischsein in Geiselhaft genommen wird, um das Naziregime, das ein Volk (race of people) vernichten wollte, moralisch gleichzustellen mit der israelischen Nation, die ihre eigene Vernichtung verhindern will“. Die zivilen Opfer in Gaza bezeichnen die Verfasser als tragisch und weisen darauf hin, dass das israelische Militär es nicht auf Zivilisten abgesehen habe, sondern auf die Hamas.

Moderne „Blutlegende“

Weiter schreiben sie, dass die Verwendung des Begriffs „Besatzung“ für die Beschreibung „eines indigenen jüdischen Volks, das eine Heimat verteidigt, die Tausende von Jahren zurückreicht und von den Vereinten Nationen als Staat anerkannt wurde“, geschichtsverzerrend sei. Damit werde – in Anspielung auf die verschwörungstheoretische Ritualmordlegende, nach der Jesus Christus von Juden getötet worden sein soll – die moderne „Blutlegende“ befördert, die „einen wachsenden antijüdischen Hass rund um die Welt, in den Vereinigten Staaten und in Hollywood“ befeuere.

Der Brief schließt mit dem Satz: „Das gegenwärtige Klima eines wachsenden Antisemitismus unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit des jüdischen Staates Israel, eines Orts, der uns immer aufnehmen wird, was kein Staat getan hat während des Holocaust, der in Herrn Glazers Film dargestellt wird.“

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10 Kommentare

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  • Und hier die Übersetzung (de.wikipedia.org/wiki/Jonathan_Glazer):

    Alle unsere [filmischen] Entscheidungen haben wir getroffen, um uns in der Gegenwart zum Nachdenken anzuregen, und nicht um zu sagen: »Seht, was sie damals getan haben«, sondern: »Seht, was wir heute tun.« Unser Film zeigt, wohin die Entmenschlichung in ihrer schlimmsten Form führt; sie hat unsere gesamte Vergangenheit und Gegenwart geprägt. Gerade jetzt stehen wir hier als Menschen, die es ablehnen, dass ihr Jüdischsein und der Holocaust von einer Besatzungsmacht gekapert wird, die so viele unschuldige Menschen in einen Konflikt gezogen hat. Ob die Opfer des 7. Oktober in Israel oder des andauernden Angriffs auf Gaza, alle Opfer dieser Entmenschlichung, wie können wir Widerstand leisten?

  • Ich bin etwas zurückhaltend mit Gleichsetzungen, so sinnvoll Vergleiche und Abgleiche häufig sind.



    Es gibt gleichzeitig Elemente von Apartheid dort, und der Trend ist deutlich leider in die Richtung zu sehen. Der ungleichen Realität folgten dann auch die entsprechenden Einstellungen, siehe das Wahlergebnis.



    Einfach universale Maßstäbe anlegen, weder härter,. noch softer.

    Was "Blutlegende" oder andere Dinge hier sollen oder die gefährliche Vermengung von Staat, Volk, Religion, Ethnie à la Rechts in dem Gegenaufruf soll, ist rätselhaft, sehr rätselhaft.

  • Der kritisierte Teil von Glazers Rede lautete: „Right now we stand here as men who refute their Jewishness and the Holocaust being hijacked by an occupation, which has led to conflict for so many innocent people.“

    Danach nahm er Bezug auf den 7.10. und die israelischen Angriffe auf Gaza, wobei der Eindruck entsteht, dass dies seiner Meinung nach alles auf die „occupation“ zurückgeht - wobei offen ist, was er damit genau meint. Die israelische Besatzungspolitik nach 1967 oder generell die Gründung Israels (die als antiisraelische Extremposition als „Unrecht“ geframt wird)? Hamas wird als Täter mit keinem Wort erwähnt, als es um den 7.10. geht, so entsteht durch diese Rede mal wieder der Eindruck, dass Israel an allem schuld sei. Das ist undifferenziert und bedient antisemitische Vorurteile, da Israel dämonisiert wird.

    Mutig ist wohl derzeit eher, nicht nur ein ceasefire, sondern die Freilassung der israelischen Geiseln und die Kapitulation der Hamas zu fordern.

    • @Karla Columna:

      Er meinte ganz klar die Besatzungspolitik. Das ist auch sehr deutlich in seinen Worten.



      "die als antiisraelische Extremposition als „Unrecht“ geframt wird". Die Position wird nicht geframt wie sie es nennen. Es gibt charedische Juden oder hier besser bekannt unter ultra-orthodoxe Juden wie zum Beispiel die Neturei Karta die glauben: "allein der Messias dürfe nach der Thorah, nach der Hebräischen Bibel, am jüngsten Tag den Staat Israel ausrufen. Ein von Menschen regierter Staat namens Israel sei dagegen eine Anmaßung der Zionisten." (ARD Tagesschau: "Es ist eine Sünde, ein Land mit Gewalt zu erobern"). Ultra- orthodoxe Juden machen allein 15% der Bevölkerung Israels aus. Aber auch diese Gruppe ist kein Monolith, auch da gibt es unterschiedliche Ansichten zum Staat Israel und zum Zionismus. Wie in allen Religionen gibt es unterschiedliche Ausprägungen innerhalb der Religion.



      Ich empfehle ihnen den Artikel im Guardian zu lesen, wo sich auch viele jüdische Menschen positiv über die Rede Glazer´s äußern (Titel:‘Honest and brave’: progressive Jewish figures defend Jonathan Glazer speech).



      Ich finde die ganze Diskussion hier in Deutschland total undifferenziert, wenn man es so darstellt als wäre Jonathan Glazer ein Einzelfall und alle anderen Menschen jüdischen Glaubens denken nicht so. Das ist nicht nur eine Verzerrung der Tatsachen, es stellt das Judentum als Monolith dar, als Einheit das dann wohl eher undifferenziert ist und antisemitische Vorurteile bedienen könnte. Es gibt massive Unterschiede in der jüdischen Gemeinde und sie sind teilweise sogar sehr gespalten was den Krieg angeht, die Besatzung, die Regierung in Israel, etc. Das wir hier in Deutschland scheinbar nur die Seite hören oder akzeptieren wollen, die unserem Narrativ entspricht, das ist undifferenziert.

      • @Momo Bar:

        Es geht doch im Prinzip vor allem darum, seine Worte einfach sorgsam zu wählen. Gerade bei einer solchen Rede. Das schaffen andere Redner doch auch. Dass Sie nun so lange und breit erklärt haben, was Glazer gemeint haben könnte, zeigt mir, dass seine Sätze wirklich eher missverständlich waren. Man kann sie so oder so verstehen. Im Moment scheint halt auch Mut dazu zu gehören, bei solchen Veranstaltungen in der Kulturblase auch auf den 7. Oktober, den Anteil der Hamas und die schlimme Situation der Geiseln Bezug zu nehmen. Das bringt einem automatisch weniger Applaus in der eigenen Blase ein, und deshalb wird es vermieden.

        Ich finde Haaretz interessanter als The Guardian.

    • @Karla Columna:

      Im Gegensatz zu dem Brief? Wo es heißt „Besatzung“ für die Beschreibung „eines indigenen jüdischen Volks, das eine Heimat verteidigt, die Tausende von Jahren zurückreicht und von den Vereinten Nationen als Staat anerkannt wurde“". Wo ist die Anerkennung von besetzten Gebieten? Nach dem Wortlaut eher Israel inklusive Palästinensergebiete.

      • @Littleneo:

        Ich habe nicht genau verstanden, was Sie meinen.

  • Damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann, ein Link zur Rede :



    www.youtube.com/watch?v=3ymiyNmr1WY

    Er hat sie abgelesen und aus seiner Atmung kann man ablesen, unter welchem Stress er stand. Er ist mutig aufgetreten und verdient Hochachtung.

    • @Deutschfranzose:

      Stress bei einem öffentlichen Auftritt inkl. Zittern ist erst einmal nichts, was mit dem Inhalt des Gesagten zu tun haben muss - social anxiety, Lampenfieber, whatever.

      Die relativ einfachen und einseitigen Verantwortungszuschreibungen an den israelischen Staat in Kombination mit schwieriger pauschalisierender Wortwahl machen's dann schwer.

      Hochachtung für den Film übrigens ganz sicher.



      Mutig? Vor einer Masse von Leuten, die in der Mehrzahl seine Meinung haben oder desinteressiert sind? Mutig?

      • @hierbamala:

        Er konnte doch gar nicht wissen ob die Leute dort, in der Mehrzahl seiner Meinung sind. Wie sich ja mit dem Brief von den anderen jüdischen Filmschaffenden zeigt, sind eben nicht alle einer Meinung. Und nachdem ständig jüdische Menschen, die sich kritisch zur Besatzungpolitik und zur israelischen Regierung äußern teils diffamiert werden oder ihnen Antisemitismus vorgeworfen wird- ja dann ist es mutig sich zu äußern.



        Mal abgesehen davon, das man für eine Dankesrede nur etwa eine Minute Zeit hat, die wohl kaum Zeit für eine ausschweifende Rede bietet. Aber trotzdem war er differenziert indem er die Opfer auf beiden Seiten gesehen hat. Warum tun wir uns hier in Deutschland so schwer damit, Kritik von jüdischen Menschen am Staat Israel zu akzeptieren. Es kommen dann immer Rufe die fordern man muss eine differenzierte Betrachtung machen und kann nicht nur einseitig kritisieren, wenn man aber unsere Poltik in den letzten Jahrzehnten anschaut, dann war die alles andere als differenziert, sondern sehr einseitig und teils blind auf einem Auge.



        Zudem finde ich entsteht hier in Deutschland der Eindruck als betrachte man das jüdische Volk als Monolith und Menschen wie Herrn Glazer sind dann extreme, nur ist das auch weit von der Wahrheit entfernt. In Israel regiert gerade eine rechtspolitische Regierung, mit Koalitionspartnern die sogar rechtsextrem sind. Das es dann einen ganzen Block von moderaten, linken, etc. jüdischen Menschen gibt, die mit deren Regierung nicht zufrieden sind, ist doch völlig logisch und nicht außergewöhnliches, in einer Demokratie normal und gewünscht, dass dann aber die Seite immer schlecht gemacht wird, finde ich sehr fraglich.