Nahost-Frage beim Klimagipfel: Einsam in der Wüste
Die deutsche Klimabewegung sieht sich in der Nahost-Frage beim Weltklimagipfel isoliert. Wie sehr schwächt das den gemeinsamen Kampf fürs Klima?
E s ist keine klimapolitische Forderung, die auf den Protesten am Rande des Weltklimagipfels in Dubai am lautesten zu hören ist. „Waffenstillstand jetzt“, ruft die Menge am Samstagnachmittag auf dem Gelände. Etwa 500 Menschen haben sich in der Nähe des Eingangs der Messehallen versammelt. Sie tragen Schlüsselanhänger in den Landesfarben Palästinas: rot, schwarz, weiß und grün. Einzelne Protestierende haben sich trotz Temperaturen um die 30 Grad weiße Kufiyas mit schwarzem Muster um den Hals gewickelt, in Deutschland besser als Pali-Tücher bekannt.
In der Pressemitteilung zu der Aktion heißt es auch: „Es ist an den Völkern der Welt, nicht nur einen Waffenstillstand zu fordern, sondern auch das Ende des jahrzehntelangen Siedlerkolonialismus und der Apartheid.“ Es ist deutlich, welches Land damit in erster Linie gemeint ist: Israel. Das Land, in dem die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober ein Massaker mit etwa 1.200 Toten, mehr als 5.000 Verletzten und rund 240 Geiseln verursacht hat. Israels Regierung wiederum greift seither den Gazastreifen, in dem die Hamas regiert, massiv militärisch an. Diese Gegenschläge haben zu bis dato rund 18.000 Toten und einer humanitären Krise in dem palästinensischen Autonomiegebiet geführt.
Die Vereinten Nationen haben den Protest auf dem Weltklimagipfel als politisch brisant eingestuft und den Demonstrant*innen scharfe Auflagen gemacht: Verboten sind Palästina-Fahnen und der Slogan „From the river to the sea, palestine will be free“, zu deutsch: „Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein“. Der Spruch ist in Deutschland seit November strafbar, weil er nach Ansicht des Innenministeriums das Existenzrecht Israels infrage stellt und mittlerweile als Symbol der Terrororganisation Hamas gilt. Statt der verbotenen Zeichen haben die Aktivis*innen ausgedruckte Wassermelonen dabei. Es ist eine versteckte Botschaft: Die Farben auf den großen Schildern, die in die Kameras gehalten werden, entsprechen denen der palästinensischen Flagge.
Eine Gruppe unter dem Namen COP28 Coalition hat diesen Protest an diesem Samstagnachmittag organisiert, er findet in 75 Ländern weltweit parallel statt. Nach eigenen Angaben werden sie von 350 Organisationen unterstützt. Die Slogans ertönen auf Arabisch und auf Englisch. Auf Deutsch hört man sie nicht.
Es ist das erste Mal, dass die internationale Klimabewegung seit dem 7. Oktober zusammenkommt. Jedes Jahr ist die Weltklimakonferenz ein Ort der Vernetzung für die globale Klimaszene. Es ist die Chance, am Rande der Verhandlungen Allianzen zu bilden, sich auszutauschen, strategische Partnerschaften einzugehen, alte Kontakte aufzufrischen.
Die deutsche Klimabewegung ist mit vielen Aktivist*innen vor Ort. Teils sind sie beruflich dort, arbeiten bei Klima- und Entwicklungsorganisationen, die den Klimagipfel beobachten. Teils gehören sie zu Bewegungen wie Fridays for Future. Dieses Jahr sind die Deutschen in einer besonderen Situation. Sie sind fast isoliert in der Szene. Schnell nach dem Hamas-Massaker haben sie öffentlich ihr Mitgefühl mit den israelischen Opfern ausgesprochen und den Terror der Hamas kritisiert. Auch das humanitäre Leid in Gaza erwähnen die Aktivist*innen. Die scharfe Kritik, die viele ihrer internationalen Klima-Mitstreiter*innen an Israel äußern, teilen sie in ihren öffentlichen Statements nicht.
Und jetzt, auf der Weltklimakonferenz, prallt alles aufeinander: Aktivist*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft aus aller Welt verbringen zwei Wochen gemeinsam auf engstem Raum. Nutzen die deutschen Gruppen das Event, um sich mit der internationalen Bewegung zu versöhnen? Oder bleiben sie ihrer bisherigen Nahost-Linie treu – und brennen möglicherweise Brücken zu traditionellen Verbündeten ab?
Die großen Organisationen der deutschen Zivilgesellschaft geben sich Mühe, den Spagat zwischen beidem zu schaffen. „Wir sind zutiefst schockiert vom anhaltenden Terror und dem Hass sowie der Gewalt der Hamas gegenüber jüdischem Leben und Israel, von dem Vernichtungswillen, der sich hier zeigt, und verurteilen das aufs Schärfste“, heißt es in einem Statement, das die Chef*innen und Sprecher*innen von acht deutschen Organisationen schon zu Beginn des Klimagipfels am 30. November herausgegeben haben. „Wir sind zutiefst entsetzt über das immer größer werdende Leid der Zivilgesellschaft in den palästinensischen Gebieten und die vielen getöteten Menschen“, hieß es darin aber auch. Unterzeichnet haben Christiane Averbeck von der Klima-Allianz, Olaf Bandt vom BUND, Christoph Bals von Germanwatch, Jörg-Andreas Krüger vom Naturschutzbund, Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy, Luisa Neubauer von Fridays for Future, Dagmar Pruin von Brot für die Welt und Pirmin Spiegel von Misereor.
Fridays for Future Deutschland weist darauf hin, dass der Konflikt von Land zu Land sehr unterschiedlich wahrgenommen wird: „Wir sehen eindeutig, dass sich die verschiedenen globalen Realitäten zumindest in Teilen widersprechen“, sagt Pressesprecherin Clara Duvigneau. „Dafür können wir nicht von heute auf morgen eine Lösung aus dem Hut zaubern, sondern nehmen uns die Zeit, die es braucht, Gespräche zu führen.“
Genau diese Position wird ihnen von der internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung vorgeworfen. Für sie folgt der Konflikt zwischen Israel und Palästina einem imperialistischen Muster: Eine militärisch überlegene Besatzungsmacht unterjocht die Bevölkerung. Ihr Slogan in Bezug auf den Konflikt lautet: „Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne Gerechtigkeit“. Sie fordern, dass deutsche und weitere Organisationen des Globalen Nordens sich ihnen anschließen.
Laut dem britischen Aktivisten Asad Rehman, der den Protest auf dem UN-Gelände mitorganisiert hat, gibt es auch deutsche Aktivist*innen, die an propalästinensischen Demonstrationen teilnehmen. Aber er schränkt ein, er sehe, dass das „wahrscheinlich eher eine Herausforderung für deutsche Organisationen“ sei.
Das hindert den Umweltaktivisten indes nicht daran, der deutschen Bewegung Vorwürfe zu machen: „Es gibt viele Organisationen, die sich jetzt fragen: Wie können wir uns mit deutschen Organisationen verbünden und zusammenarbeiten, die nicht bereit sind, gegen ihre eigene Regierung aufzutreten?“
Diese Frage beantwortet zumindest Fridays for Future Deutschland für sich so: „Wir haben uns nach vielen internen Gesprächen entschieden, die Zusammenarbeit und Planung in der internationalen Vernetzungsebene von Fridays for Future für zwei Monate zu pausieren“, sagt Clara Duvigneau. Sie erklärt, dass FFF in Dubai stattdessen mit einzelnen Aktivist*innen und Gruppen nach Synergien schaue.
So hat beispielsweise FFF am Samstag gemeinsam mit Aktivist*innen aus Dänemark und Österreich für einen kompromisslosen Ausstieg aus den fossilen Energien protestiert. Vor allem die Ölstaaten wollen allerhöchstens einen Ausstieg aus den fossilen Emissionen. Das hieße: Kraftwerke dürften auch mit Öl, Gas oder Kohle weiterlaufen, wenn ihre Betreiber versuchen, die CO2-Emissionen abzufangen und beispielsweise unterirdisch zu speichern. Die entsprechenden Technologien gelten allerdings als teuer, kaum etabliert und wenig effektiv.
Eine Koalition von mehr als 80 Ländern, darunter die Europäische Union und viele der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten im Globalen Süden, sehen in dieser Formulierung ein Schlupfloch. Mit den wenigsten Fridays-Gruppen aus diesen Ländern arbeitet Fridays for Future Deutschland derzeit zusammen.
Stattdessen suchen sich die deutschen Klimaaktivist*innen neben ihren Mitstreiter*innen aus Österreich und Dänemark Verbündete, die gar nicht zu Fridays for Future gehören – von denen es keine Äußerungen zum Nahostkonflikt gibt. Bei der Konferenz im vergangenen Jahr habe man die „Senegal-Deutschland Bürgerallianz“ gegründet, in der sich Menschen aus dem Senegal und Deutschland gegen die von Deutschland mitfinanzierte Flüssiggas-Infrastruktur aussprechen. „Wir können uns gut vorstellen, so ein Format zu wiederholen“, sagt Duvigneau.
Die Strategie ist also vorerst, sich aus dem Konflikt herauszuhalten und auf die Klimakrise zu konzentrieren. Dass Akteure wie Rehman von der britischen Climate Justice Coalition das Gegenteil fordern, wird in Kauf genommen. Denn im Allgemeinen geht die Taktik auf: Alle seien nach Dubai gekommen, um „hier auf der Klimakonferenz gute Ergebnisse für das Klima zu erzielen. In der Hinsicht stehen wir vereint. Wir alle wollen einen Ausstieg aus den fossilen Energien, ein globales Anpassungsziel – all diese Dinge, für die wir auch schon jahrelang kämpfen“, sagt Tasneem Essop, Chefin vom internationalen Klimadachverband Climate Action Network.
Derweil ringt die deutsche NGO-Szene auch mit sich und ihrer Linie: Muss man sie mit der Zeit weiterentwickeln? Etliche Klimaschützer*innen erzählen, der Umgang mit dem Nahost-Thema falle ihnen immer schwerer. Einige würden sich wünschen, dass auch von deutscher Seite das militärische Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza deutlicher kritisiert wird. Aber mit den antiisraelischen Statements der internationalen NGOs mitgehen? Das wiederum will eigentlich niemand, angesichts des Terrors der Hamas. Das Existenzrecht Israels zu betonen und Antisemitismus zu verurteilen ist den Klimaschützer*innen wichtig. Die Verunsicherung, ob und wie man sich öffentlich äußern soll, ist groß. Namentlich will das möglichst niemand tun, zu sensibel ist das Thema. „Wir sind Klima- und Energieexpert*innen, keine Nahost- oder Friedensspezialist*innen“, sagt ein Mitglied einer deutschen NGO der taz.
Derweil spielt der Nahostkonflikt auch in den Konferenzhallen des Klimagipfels eine Rolle. Die Anwesenheit Israels hatte die iranische Delegation veranlasst, die Weltklimakonferenz geschlossen vorzeitig zu verlassen. Und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nahm kurz nach ihrer Ankunft in Dubai am Samstag Stellung zu ihren klimapolitischen Zielen – und zum Nahostkonflikt.
Dabei nahm sie die israelische Regierung ungewohnt deutlich ins Visier. „Sosehr ich mich auf die nächsten Tage freue, so offen sage ich auch: Die Krise im Nahen Osten fordert nicht nur meine Kräfte, sondern die Kräfte von vielen hier“, so die Grünen-Politikerin. Israel werde weiter angegriffen. „Da läuft so eine Forderung wie die nach einer generellen Waffenruhe ins Leere, weil sie keine Antwort darauf gibt, wie der Terror der Hamas aufhört, wie die Hamas ihre Waffen niederlegt, wie Israel wieder sicher sein kann“, so Baerbock. Zugleich könne es „so, wie es jetzt ist“, nicht weitergehen. Man erwarte, dass Israel „militärisch gezielter vorangeht und weniger zivile Opfer in Kauf nimmt.“ Baerbock soll am Dienstagabend mit einem Mitglied des israelischen Kriegskabinetts zur Lage in Gaza und der Gefahr einer weiteren regionalen Eskalation telefoniert haben, war aus Delegationskreisen zu vernehmen.
Ihr israelischer Amtskollege, Umweltschutzminister Guy Samet, sagte bei der Eröffnung des israelischen Pavillons auf dem Konferenzgelände: „Unsere Herzen sind in unserem Land, aber wir sind hier in Dubai, um sicherzustellen, dass der Staat Israel würdig vertreten wird“. Im Pavillon hing auch ein Banner, auf dem Israel die Freilassung der Geiseln der Hamas forderte.
Sonntagabend, am Rande der Klimakonferenz, ein Mann in Zorro-Maske tritt vor auf ihn gerichtete Kameras: Die tägliche Verleihung des „Fossil of the Day“ steht an, zu deutsch „Fossil des Tages“. Es ist ein Schmähpreis, den das Climate Action Network traditionell auf den Weltklimakonferenzen verleiht. Jeden Tag gibt es eine Zeremonie mit Verkleidungen und Show, oft ein großes Spektakel. Die Schurken der Konferenz werden dort veralbert, die Ölländer, die Kohleländer oder jene, die mit Klimahilfsgeldern für den Globalen Süden geizen.
Doch an diesem Abend geht es kaum ums Klima. „Heute ist das 75. Jubiläum der Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, sagt der Mann mit der Maske. „Der Fossil-des-Tages-Preis geht an: Israel.“ Das Land gewinne, „weil wir diese Menschenrechte nicht geachtet sehen“. Stattdessen habe man in den vergangenen 63 Tagen seit dem 7. Oktober anhaltende Gewalt gesehen, losgelassen auf die Zivilist*innen. „Es kann keine Klimagerechtigkeit ohne Menschenrechte geben.“ Als Wurzel der Klimakrise müsse man die imperialistische, kolonialistische und kapitalistische Unterdrückung offenlegen, sagt der Aktivist.
Das Banner am israelischen Pavillon ist zu Wochenbeginn abgebaut. Nur noch wenige Stühle stehen im Raum, es ist leer. Andere Delegationen halten große Veranstaltungen, Vorträge und Briefings in ihren Räumen ab, haben ihre Nationalflagge und den Ländernamen über der Eingangstür angebracht. Israel nicht. Man könnte meinen, die Delegation hat Angst, aufzufallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen