Nachwahlen im Norden Englands: Tories holen sich Hartlepool
In der einstigen roten Hochburg im Norden Englands siegen erstmals seit 1974 die Konservativen. Der Verlust sorgt bei Labour für Katerstimmung.
Seit 1974 regiert in Hartlepool die Labourpartei. Nun hat der Wahlkreis eine konservative Landwirtin und ehemalige Anwältin, die 50 Kilometer entfernt in der Grafschaft Yorkshire lebt und einst auf den Cayman-Inseln ansässig war, dem in der Politik erfahrenen Hausarzt Williams aus dem Nachbarort Stockton vorgezogen. „Dies ist eine Stimme für positive Veränderungen, Arbeitsplätze und Investitionen“, versicherte Mortimer am Freitag in ihrer Ansprache.
Immer wieder wurde vor der Abstimmung am Donnerstag auf den Straßen Hartlepools das erfolgreiche Impfprogramm des Premiers Boris Johnson gelobt. Und: der vollzogene Brexit, dem die Menschen dort 2016 zu 70 Prozent zustimmten. Schon 2019 wählten 25 Prozent der Wähler*innen in Hartlepool die Brexit-Partei von Nigel Farage. Labour-Kandidat Williams wurde in South Stockton nach zwei Jahren Amtszeit als Abgeordneter abgewählt – er hatte sich gegen den Brexit positioniert. Nun ist er im benachbarten Hartlepool ebenfalls gescheitert.
Die Hoffnungen der Labourpartei, sich unter der nun einjährigen Leitung Keir Starmers wieder behaupten zu können, haben den Test in Hartlepool nicht überstanden. Schon 2019 haben sich einige Teile Englands, die jahrelang Labour-dominierten sogenannten Redwalls, von der roten Partei abgewandt. Und so war Starmers Ziel von Anfang an der Wiederaufbau des Vertrauens vor allem der Arbeiter*innenklasse und die Rückeroberung des Nordens.
Sparen und Versprechen
Der Labour-Abgeordnete Steve Reed nannte das Ergebnis nun auf BBC „verheerend“. Labour hätte zwar einen neuen Parteiführer, der eine echte Alternative als Premierminister darstelle. Den Brit*innen sei es jedoch noch nicht klar, dass sich die Partei seit dem Abdanken Jeremy Corbyns verändert hätte.
Die selbstbewusste Art der Johnson-Regierung mit ihren Versprechungen der finanziellen Förderung von nördlichen benachteiligten Regionen scheint besser zu greifen. Dabei hat gerade die konservativ geleitete Sparpolitik seit 2010 viele Probleme im postindustriellen Hartlepool verschärft. Vielen sozialen Einrichtungen und auch Teilen des Ortskrankenhauses wurde der Geldhahn abgedreht und verarmte Regionen hatten in der Pandemie eine beinahe zweimal so hohe Todeszahl zu verbuchen.
Obwohl die meisten Ergebnisse der an vielen Orten ausgetragenen Kommunal- und Bürgermeisterwahlen noch ausstehen, zeichnen sich für Labour beunruhigende Trends ab. So scheint die Partei in South Tyneside in Nordengland, in Harlow in Südengland, und in Nuneaton und Bedworth östlich von Birmingham ihre zum Teil lange bestehende Mehrheit gegen die Tories zu verlieren.
Weitere Ergebnisse, etwa zur Bürgermeister*innenwahl in London, zur Parlamentswahl in Schottland und zur Wahl der Nationalversammlung in Wales, werden in den nächsten Stunden und Tagen erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken