Nachruf auf Harry Belafonte: Sie nannten ihn Mr. Calypso
Harry Belafonte war Sänger, Schauspieler, Bürgerrechtler. Ein Sozialist ohne falsche Geste vor den Thronen. Nun ist er mit 96 Jahren gestorben.
![Harry Belafonte singt, Schwarz-Weiß-Aufnahme Harry Belafonte singt, Schwarz-Weiß-Aufnahme](https://taz.de/picture/6230218/14/Harry-Belafonte-Nachruf-1.jpeg)
Es liegt kein falscher Zungenschlag in der Feststellung, dass dieser Mann, eine Ikone sowohl des kulturellen wie politischen Lebens (beileibe nicht nur) in den USA, im Alter ein auskömmliches, ja, wohlhabend bürgerliches Leben führen konnte: Er hatte, mit seinen Mitteln, viele Jahre für seinen Erfolg gearbeitet und Jahrzehnte daran gearbeitet, dass dieser Platz an der Sonne ihm nicht wieder genommen wird.
Harry Belafonte, den mögen Jüngere allenfalls durch eilige Zugriffe ins Internet kennen, Mittelalte indes immerhin aus seiner Zeit in der europäischen Friedensbewegung, als er in den frühen Achtzigern prominentester Teil des Line-ups vom Friedenskonzert gegen die Nato-Nachrüstung im Hamburger Millerntorstadion war, als er zur gleichen Zeit vor der FDJ der DDR performte und dieses Event veredelte: Belafonte war ein Star dieser Bewegung, denn er kannte keine Scheu, dass mit der Kritik an hochmilitärischer Nachrüstung auch sein Heimatland, die USA, gemeint war.
Belafonte, der war ein Weltbürger, wie er selbst sagte, zuhause in erster Linie unter seinen Freundinnen*, ob in der Bundesrepublik, Südafrika, Nigeria, Japan, der Sowjetunion, Kanada oder eben den USA.
Er war zeitlebens ein Fellow der Demokratischen Partei in den USA, und er verabscheute zugleich mit jeder Faser, so sagte er es in einem Telefonat vor 25 Jahren, Politikerinnen* der Republikaner, hießen sie nun Bush sr., Bush jr., Trump, den sowieso, oder andere mehr oder weniger verkappte Rassistinnen*.
Ein nachgerade krasser Ehrgeiz
In einer seiner letzten Filmrollen, in Emilio Estevez' „Bobby“ (2006), der die Ermordung des heißen Präsidentschaftskandidaten Bobby Kennedy Ende der sechziger Jahre zum Thema hatte, spielt der gebürtige New Yorker einen sehr altersweisen, fast lakonischen Schachspieler … als ob er es selbst wäre: Ein Mann, der seinen Teil dazu beigetragen hatte, Rassismus, Ungerechtigkeit und Diskriminierung von Schwächeren (in welcher Weise gedemütigt, geschwächt auch immer) nicht zu verschweigen – und hofft, dass eben Bobby Kennedy Präsident der USA, der gute Hirte des Landes werden würde.
Belafonte, im März 1927 geboren, fast vaterlos großgeworden in New York, zeitweise bei Verwandten in Jamaika in Pflegschaft, muss über einen nachgerade krassen Ehrgeiz früh verfügt haben, um seinen Weg aus den Wohnvierteln der armen Schwarzen herausgehen zu können. Eine gute High School, Schauspielunterricht, Kontakt auch zu einem deutschen Regisseur (im Exil) wie Erwin Piscator, Kontakt zu Kollegen wie Marlon Brando, Tony Curtis oder Walter Matthau.
Erste Erfolge auf der Bühne hatte Belafonte weniger am Theater oder beim Film, vielmehr mit Musik – mit Varianten karibischer Musik, die er durch seine Interpretationen buchstäblich zu Welterfolgen machte: „Jamaica Farewell“, „Mary’s Boy Child“, „Banana Boat Song“, „Mama Look at Bubu“, „Cocoanut Woman“ oder die unverwüstliche Schnulze „Island in the Sun“ – alles Chartkracher der fünfziger Jahre, die ästhetischen Spitzenangebote jenseits des wachsenden Einflusses des Rock, später des Beat.
Harry Belafonte, den sie „Mr. Calypso“ nannten, war ein Star geworden: Er sah vorzüglich aus, aus jenen Jahren wird überliefert, dass er, ein formidabler Tänzer, als Wunschkandidat sehr, sehr vieler Zuschauerinnen für sehr vieles galt.
Engagiert an der Seite von Martin Luther King
Dass er deshalb seinen Mund zu halten wusste, ist nicht das, was ihn auszeichnete. Belafonte wusste sehr wohl, dass er ein ebenso guter Schauspieler wie hellsthäutige Kollegen war – aber für gewisse Rollen nie infrage kommen würde. Politisch engagierte er sich an der Seite der Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King, hielt sich in der öffentlichen Rede wider Rassismus, Segregation und Gewalt gegen Schwarze Menschen nicht zurück. Er habe selbst so viel Niedertracht durch andere erlebt, dass man ihm keine Würde mehr nehmen könnte – er wisse, was seine Dignität ausmache, und die könne ihm niemand absprechen, da lache er doch nur.
In den sechziger Jahren sah man ihn auch im bundesdeutschen Fernsehen, damals, als die ARD noch wusste, dass internationale Entertainer ihr Publikum auch hierzulande haben können: Nina Simone, Miriam Makeba, Esther & Abi Ofarim, Caterina Valente, Nana Mouskouri, Nina & Frederik – und auch Harry Belafonte waren die ästhetischen Signaturen einer TV-Kultur, die noch nicht nur im eigenen deutschen Saft zu schmoren beliebte.
Konzerte waren eilends ausverkauft
Konzerte mit Harry Belafonte verhießen frühes Anstehen für Tickets, denn sie waren, nicht nur hierzulande, eilends ausverkauft. Dass die Linken und Friedensbewegten ihn besonders liebten, weil er deren faktischen Antiamerikanismus mit bediente, störte weder diese noch den Sänger selbst. Er hatte Gründe, sein Heimatland nicht bruchlos für „God’s own country“ zu halten, sondern vielerorts für den Vorhof zur Hölle.
So lobte er Kuba (und dessen damaligen Chef Fidel Castro), sagte: „Es dürfte schwer sein, ein Land zu finden, das mehr Wert legt auf die Kultur seiner Menschen und die Entwicklung dieser Kultur als Kuba.“
Oder er nannte Colin Powell, den Außenminister George W. Bushs, „Haussklaven“ des Präsidenten, weil er die entscheidende Lüge wider das irakische Saddam-Regime vor der UN formulierte.
Sein liebstes Hobby
2006 wurde Belafonte gefragt: „Sie sind ein überzeugter Gegner des Irakkrieges, kämpfen offensiv gegen George W. Bush.“ Woraufhin der Entertainer, keineswegs altersmilde geworden, erwiderte: „Das ist mein liebstes Hobby. Wer gibt uns das Recht, die Menschen im Irak zu töten? Bush behauptet, dass Amerika zum ersten Mal Terroristen jagt – dabei ist Terrorismus ein Teil des amerikanischen Systems. Amerika hat ein ganzes Volk vernichtet, die Indianer. Das ist Terror.“
Dass ihn die Republikaner hassten, verstand sich von allein. Belafonte, der Sänger, der für einen „Hamlet“ oder andere weiße Paraderollen immer übersehen wurde, der Schauspieler, der sich trotzdem weitschweifenden Partys und Liebesaffären hingab, ein Hedonist, wie es sich nur ziemte, ist am 25. April in der Upper West Side, New York City, gestorben – ein Mann, ohne den es die Bewegungen gegen Rassismus, ohne den es #BLM, Black Lives Matter, so nicht hätte geben können.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links