Nachhaltiges Nachtleben: Feiern, als gäb’s (k)ein Morgen
Hedonismus und Nachhaltigkeit vertragen sich nicht gut. Doch immer mehr Clubs und Initiativen versuchen, das Nachtleben ökologischer zu gestalten.
T ausende sind an diesem Samstag Anfang September gekommen, um zu demonstrieren – und zu tanzen, um gegen den Weiterbau einer Autobahn zu protestieren. Genau hier, am Markgrafendamm im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, soll nach aktueller Planung schon in ein paar Jahren auf der A 100 gerast werden dürfen, ganz in der guten alten deutschen Autobahntradition. Zig Clubs und andere Kulturorte, die sich in direkter Umgebung schon vor vielen Jahren angesiedelt haben, müssten dann verschwinden.
Dass die Autobahn kommen soll, ist schon seit Jahren klar. Der Club About Blank hat zur Demo-Veranstaltung „A 100 wegbassen!“ einen Stand aufgebaut, an dem hauseigene Resident-DJs für die Demonstrierenden auflegen. Das Club-Kollektiv hat bereits in den 2009 geschlossenen Mietvertrag hineingeschrieben bekommen, jederzeit kündbar zu sein. Das About Blank befinde sich eben auf einer sogenannten „Vorhaltefläche“ für die Autobahn, sagt Eli vom Kollektiv.
Das Gespenst des Clubsterbens geistert schon lange herum in Berlin. Feierläden müssen schließen, weil die Mietverträge nicht verlängert werden, das ist nichts Neues. Normalerweise kümmert sich die ziemlich einflussreiche Lobbyorganisation Berliner Clubcommission um solche Fälle, mit einem guten Draht zur Politik. Die Clubbeauftragten der einzelnen Parteien haben längst erkannt, welche Strahlkraft die Berliner Clubkultur weltweit hat, als Imagefaktor, aber auch für den Tourismus.
Party als Standortfaktor
Junge Menschen, die hier ein Wochenende lang Party machen wollen, bringen der Stadt ziemlich viel Geld. Keiner politischen Kraft, außer vielleicht der AfD, ist es also egal, was aus den Clubs wird. Viel machen kann man oft aber trotzdem nicht. Private Eigentümer von Grundstücken rührt das Argument, doch etwas für den Erhalt der Kultur in dieser Stadt beitragen zu können, eher nicht an, wenn sie gleichzeitig die Chance wittern, mit ihrer Immobilie Millionengewinne einstreichen zu können.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Der Konflikt um die A 100 ist nun aber etwas anders gelagert als üblich. Hier geht es um politischen Willen und um die zugespitzte Frage: Will man eher die auto- oder clubfreundliche Stadt? Es geht hier auch um die Zukunft Berlins in einem größeren Sinne und vielleicht sogar, wie es die Klimaaktivisten sehen, um die Zukunft generell.
Die Interessen der Clubs sind plötzlich dieselben wie die diverser Umweltbewegungen bis hin zu Fridays for Future, die sich nun Seite an Seite mit der Ravercommuniuty gegen den Weiterbau der A 100 engagieren. Das Thema Nachhaltigkeit bekommt so einen ganz neuen Schub – auch bei den Clubs. Deswegen sagt Sulu Martini vom Kollektiv des About Blank auch: „Unser größter Beitrag für den Umweltschutz könnte sein, den Weiterbau der A 100 zu verhindern.“
Nachhaltigkeit ist auch sonst ein Thema für den Club, steht aber vielleicht nicht an erster Stelle der Prioritätenliste. Einwegbecher und Plastikstrohhalme gibt es schon lange nicht mehr, außerdem beziehe man zu hundert Prozent Ökostrom, so Sulu Martini. Er verweist aber auch auf die schlichte Tatsache, dass gelebter Hedonismus in den Clubs und Ressourcenschonung erst einmal ein Gegensatzpaar sind. „Natürlich ist Clubkultur alles andere als nachhaltig. Sie ist auf Verschwendung und Raubbau aufgebaut.
Gesund geht eh anders
Es geht ja darum, sich zugrunde zu richten, auf eine schöne Art und Weise. Die Leute machen in den Clubs lauter Sachen, die nicht gesund sind. Sie setzen sich lauter Musik und starken Sinnesreizen aus und trinken oft auch zu viel Alkohol.“ Und in dieser auf Verschwendung ausgerichteten Kultur soll man sich jetzt auch noch mit solch unglamourösen Fragen auseinandersetzen, wie man den Müll richtig trennt und das Bier energieeffizienter kühlt?
Ja, unbedingt, findet Marcel Weber, Mitbetreiber des Schwuz in Neukölln, des bekanntesten und größten queeren Clubs Berlins. Sein Laden hat sich in den letzten Jahren zu einem echten Streber bei Nachhaltigkeitsfragen entwickelt. Auf einer kleinen Führung zeigt er, was man bereits alles in dieser Hinsicht verbessert hat. Hier die Lichter, die alle auf LED umgestellt wurden. Dort die Werkstatt, in der versucht wird, allerlei Dinge zu reparieren, anstatt sie einfach wegzuwerfen und durch Neuanschaffungen zu ersetzen. Und die Pissoirs sind wasserlos und stinken trotzdem nicht. Flyer und Poster, die nach Veranstaltungen sowieso nur noch Papiermüll sind, gibt es bewusst nicht mehr. Außerdem werden zwei Auszubildende gerade zu sogenannten Energiescouts geschult. Denn mehr Expertise bei Nachhaltigkeitsfragen kann ja nie schaden.
Wenn Weber über Klimaschutz spricht und die Notwendigkeit, auch als Club etwas dafür zu tun, merkt man schnell, dass ihn das Thema wirklich beschäftigt. Hemmungslos Party machen und im Sinne des Umweltschutzes zu denken, gehören für ihn zusammen.
„Die Clubkultur in Berlin sucht nach einer Existenzberechtigung“, sagt er, „und die definiert sich eben nicht mehr nur durch Hedonismus, Feiern und Ballern bis der Arzt kommt, sondern durch andere Werte wie Nachhaltigkeit und Awareness. Wir brauchen diese Transformation. Clubkultur in Berlin lebt ja schon immer davon, dass sie sich weiterentwickelt und nicht auf der Stelle stehen bleibt.“
Ein Vorzeige-Club in Sachen Nachhaltigkeit kann und will das About Blank dagegen gar nicht sein. Man trifft sich mit Sulu Martini im geräumigen und wild wuchernden Clubgarten. Dass es einen solchen überhaupt gibt, zeigt bereits, dass die Berliner Clubs mit den Jahren, wenn man so will, etwas grüner geworden sind. Als es los ging, Anfang der Neunziger, als Techno die Berliner Clubkultur so formte, wie man sie bis heute kennt, war noch Raven in stickigen Kellerlöchern angesagt.
Früher war mehr Trockeneis
Bestes Beispiel dafür ist der ursprüngliche Tresor, bevor er umziehen musste. Der war eine Druckkammer aus brutal lautem Techno und Trockeneisexzessen, in der Schweiß von der Decke tropfte und der reine Rausch der Nacht zelebriert wurde. Zwischendurch mal Chillen im Garten, das war in dieser Zeit nicht so gefragt. Damals wurde übrigens auch eine Art Standleitung direkt nach Detroit gelegt. So gut wie jedes Wochenende wurden DJs aus der Motor-City eingeflogen. Dass man sich so etwas schon aus Gründen des Klimaschutzes nicht mehr leisten sollte, haben die Berliner Clubs heute zum Großteil weitgehend verstanden. Und sowohl das Schwuz als auch das About Blank versuchen, ihre Plattendreher für die Dancefloors möglichst per Bahn anreisen zu lassen.
Mit Blick auf das ranzige About Blank, das damit ganz dem immer noch angesagten Berliner Chic entspricht, sagt Sulu Martini nun: „So etwas wie Energieeffizienz ist natürlich bei einem Gebäude wie unserem, das eher einen Ruinencharakter hat, schwer umzusetzen. Und wenn du nur einen Mietvertrag für drei oder vier Jahre hast, der dann immer wieder neu verhandelt werden muss, kannst du dir halt keine Ökostromanlage aufs Dach stellen. Dafür kriegst du auch gar keinen Kredit.“
Damit spricht er ein Problem an, mit dem sich in Bezug auf die Berliner Clublandschaft verstärkt auseinandergesetzt werden muss, wenn man auch die Feierläden klimaneutral bekommen möchte. Die Stadt Berlin hat sich das bis spätestens zum Jahr 2045 als Ziel gesetzt. Sehr viele Berliner Clubs hangeln sich nunmal von einem befristeten Vertrag zum nächsten.
Die nächste Mieterhöhung oder vielleicht gar Kündigung kann nie ausgeschlossen werden. Langfristig und nachhaltig kann so, Sulu Martini spricht es an, kaum geplant werden. Das Schwuz dagegen kann sich die Investitionen in Nachhaltigkeit auch deswegen leisten, weil es eben erst eine Genossenschaft gegründet hat und die eigene Existenz für die nächsten 99 Jahre im Erbbaurecht sichern konnte. Marcel Weber nennt diese Weichenstellung in die Zukunft ein „Privileg“, das die meisten anderen Berliner Clubs so nicht genießen könnten.
Antikapitalismus statt Imagepflege
Als Vertreter eines dezidiert linken und antikapitalistischen Clubs, als welcher sich das About Blank versteht, wirkt Sulu Martini aber auch sonst wie einer, für den es wichtigere Dinge gibt, als die Frage, ob man sich jetzt eine Wärmepumpe zulegen sollte oder nicht. „Unser Interesse ist nicht, eine Art Vorzeigeprojekt zu werden, bei dem man sagt: Schau mal, Berlin und die tollen Clubs sind auch ganz öko. Sondern es geht um die Infragestellung des kapitalistischen Wirtschaftens an sich“, sagt er. Lieber biete man deswegen klimaaktivistischen Gruppierungen wie „Ende Gelände“ Räume und Möglichkeiten, sich zu treffen und Trainings abzuhalten für deren „radikale Interventionen in den Kapitalismus.“
Eine Organisation, die am liebsten alle Berliner Clubs, vom About Blank bis zum Schwuz, auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit begleiten würde, heißt Clubtopia. Ins Leben gerufen wurde sie vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und dem Verein Clubliebe. Finanziert wird sie – zumindest noch bis Ende dieses Jahres – von der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Clubtopia bietet Veranstaltungsorten kostenlose Energieberatungen an, organisiert Nachhaltigkeits-Workshops und hat einen Code of Conduct initiiert, eine freiwillige Selbstverpflichtung für Clubs, möglichst klimaschonend zu wirtschaften. Das Schwuz gehörte zu dessen Erstunterzeichnern, inzwischen haben ihn mehr als ein Dutzend Clubs in der Stadt unterschrieben. Seit Kurzem können auch Veranstaltungsorte in Köln, Hamburg und Bremen diesen Code of Conduct unterzeichnen.
Trifft man Katharina Wolf von Clubtopia in einem Café in Treptow, kann sie einem gleich mal ganz grundsätzlich vorrechnen, was für Energieschlucker Clubs sind. „Ein mittelgroßer Club verbraucht an einem Wochenende so viel Strom wie ein sparsamer Single-Haushalt in einem Jahr“, sagt sie. Deswegen ist eine ihrer dringlichsten Empfehlungen an Clubs, auf zertifizierten Ökostrom zu setzen, womit sich bis zu 80 Prozent des Verbrauchs von CO2 einsparen ließen. Und sie hat noch viel mehr solcher Rechnungen parat. Etwa diese: „Wenn bei den Toiletten anstatt von Neun-Liter-Spülkästen Drei-Liter-Spülkästen genutzt werden, dann können circa 460.800 Liter Wasser pro Jahr eingespart werden.“
Bei den Energieberatungen schaut der Verein bei den Clubs vorbei und checken Beleuchtung, Kühlung und die Art der Mülltrennung. Auch scheinbar nerdige Fragen wie die, ob man nicht auch auf den Bezug einer regionalen Biersorte umstellen könnte, werden erörtert. „Allein schon durch minimale Verhaltensänderungen und das Umstellen bestimmter Arbeitsabläufe kann man so viel verbessern“, sagt sie, „und dabei muss man gar nicht so viel Geld investieren, um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen.“
Klimaschutz mit klammer Kasse
Geld ist in der Clubszene gerade ein Thema wie schon lange nicht mehr. Nach Corona floriert das hiesige Nachtleben nicht mehr so wie vor der Pandemie. Alle leiden unter der Inflation und weiteren Folgen des Kriegs in der Ukraine. Die Einnahmen der meisten Clubs sind gesunken, man hat weniger Geld auf der hohen Kante. „Aber manche nachhaltigen Investitionen lohnen sich auch finanziell in jedem Fall“, sagt Katharina Wolf. „Die Umstellung auf LED ist das einfachste Beispiel. Die amortisiert sich schon nach einem Jahr. Mit dem Argument bekommt man eigentlich die meisten.“
Wolf ist keine strenge Nachhaltigkeits-Zuchtmeisterin, vom Feiern nichts hält. Ganz im Gegenteil, sie sei eine fleißige Clubberin, sagt sie. Aber gerade deswegen ist es ihr so wichtig, dass die Clubs die Transformation hin zur Reduzierung ihres CO2-Ausstoßes hinbekommen. Sie formuliert es ähnlich wie Marcel Weber vom Schwuz, wenn sie sagt: „Clubs waren schon immer da, wo etwas Neues entstanden ist. Sie können auch zu Keimzellen der Nachhaltigkeit werden.“
Eine differenzierte Betrachtung des gepflegten Partyhedonismus in Berlin gehöre aber mit dazu: „Hedonismus bringt Zerstreuung im Club, die man ja auch sucht. Dadurch kann man etwa die Alltagssorgen vergessen. Wenn das aber umschlägt in ein Denken, bei dem es nur noch um mich und meinen Spaß geht und es mir dabei egal ist, ob ich 25 Einwegbecher benutze oder ob ich für zwei Tage nach Barcelona jette und zurück, dann ist das für mich kein positiver Hedonismus mehr“, sagt sie. „Achtsamer Hedonismus“, auf diese erstrebenswerte Glücksformel für das Berliner Nachtleben einigen wir uns dann im Laufe des Gesprächs.
Da zur hiesigen Feierkultur nicht auf Clubs beschränkt ist, gibt es den von Clubtopia entwickelten Code of Conduct inzwischen auch für Festivals. Dass es in der Open-Air-Szene eine gestiegene Sensibilität für Nachhaltigkeitsfragen gibt, zeigte ein direkt nach der diesjährigen Fusion veröffentlichter offener Brief, der von Initiativen wie „Feiern for Future“ und „Techno for Tomorrow“ unterzeichnet wurde. Darin wird der Fusion, bei der es immerhin kein Fleisch an den Fressbuden gibt und die eigentlich als Technofestival für Hippies gilt, attestiert, prinzipiell auf dem richtigen Weg zu sein, aber immer noch auf eine nicht mehr zeitgemäße „Mad-Max und Postapokalypse-Ästhetik aus dem letzten Jahrtausend“ zu setzen. Man habe beispielsweise beobachtet, dass bei Deko-Elementen Gas abgefackelt worden sei, „als gäbe es keine Klimakrise und schmelzenden Gletscher.“
Katharina Wolf nimmt aber ein ganz anderes Beispiel her, wenn sie sagt, bei manchen Festivals müsse wirklich noch echte Basisarbeit in Sachen Umweltschutz geleistet werden. Vor Kurzem habe sie Bilder vom diesjährigen riesigen Festival in Glastonbury in England gesehen. „Da denkst du, das Festival findet gerade noch statt, es ist aber bereits vorbei. Da wurden komplett alle Zelte stehen gelassen, kaputte Campingstühle liegen herum und überall ist Müll. Ich dachte eigentlich, da sind wir schon weiter.“
Sind wir aber offensichtlich noch nicht. Und auch die Berliner Clubkultur steht bei ihrer Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit immer noch am Anfang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken