Nachhaltige Schifffahrt: Ein Tesla fürs Wasser?
In Stockholm soll eine elektrische Fähre Dieselschiffe ersetzen. Mit dem Konzept will das Unternehmen für Klimaneutralität auf dem Wasser sorgen.
Nebenan, vor dem kleinen Hafen von Gåshaga im Osten von Stockholm, zischt eine weiße Motoryacht übers Wasser: Acht Meter lang, mit bequemen Sitzen und der Aura des Jetset-Luxus. Solange sie im Wasser dümpelte, sah die „C-8 Polestar“ aus wie eines der vielen Luxusboote, in das reiche Kapitäne eine halbe Million Dollar investieren. Aber wenn sie über das Wasser fliegt, soll sie etwas ganz anderes darstellen: die Zukunft des Wasserverkehrs in den Städten, schnell, bequem, cool, CO₂-frei und praktisch lautlos.
Mikael Mahlberg blickt der großen Fähre „Cinderella II“ hinterher, wie sie vor einer großen weißen Heckwelle um eine Landzunge verschwindet. „Man sieht, wie sich diese Schiffe durchs Wasser kämpfen, um voranzukommen“, sagt der junge Mann, zuständig für PR bei Candela. Dann zeigt er auf sein Boot, das ein paar hundert Meter draußen vor dem Hafen scheinbar schwerelos auf drei Ständern über das graublaue, leicht wellige Wasser gleitet. „Wir bauen etwas ganz anderes“, lacht er: „Ein wasserscheues Boot.“
Das Stockholmer Start-up-Unternehmen will gleich alles anders und besser machen als bisher. Es baut elektrische Yachten, die sich auf Tragflächen aus dem Wasser heben. Anders als die vielen anderen Elektroboote versprechen sie fast doppelt so viel Reichweite, bis zu 100 Kilometer. Der Motor des E-Autos Polestar, die leichte Konstruktion und vor allem die „foils“, Tragflächen, auf denen die Candela-Boote fliegen und die den Wasserwiderstand halbieren: Es ist ähnliche Technik, wie sie für die spektakulären Segelyachten, mit denen etwa der deutsche Skipper Boris Herrmann über die Weltmeere flitzt, verwendet wird. Wichtig dabei: Sensoren und Computer, die das Schiff in der Balance und am Schweben über den Wellen halten.
Technik unverändert „seit 1871“
Volle Radwege trügen: Klima- und menschenfreundliche Mobilität ist längst nicht normal. In Deutschland etwa ist der Anteil des Verkehrs an den CO2-Emissionen in den letzten 30 Jahren von 13 auf fast 20 Prozent gestiegen – zu viel Gütertransporte auf der Straße, zu viel Individualverkehr. Doch es gibt spannende neue Konzepte für Räder, Busse, Bahnen und Schiffe mit E-Mobilität und neuen Formen des Teilens. Oder auch mehr Verantwortung für Umweltschädigung. Hier stellen taz-Autor:innen Ideen vor, die bereits ausprobiert werden.
Jetzt soll das Luxus-Spielzeug zum Massentransport taugen. In einer Werkshalle im Norden der Stadt entsteht das Boot, das alles ändern soll: Die „P-12“, eine kleine Fähre für etwa 30 Passagiere, die ein bisschen aussieht wie ein Kleinbus auf Schienen. Sie soll erst einmal den öffentlichen Nahverkehr in Stockholm schneller, leiser und grüner machen – und sich dann auf dieser Erfolgswelle durch die ganze Welt tragen lassen.
Die Rechnung sei einfach, meint Candela-Gründer Gustav Hasselskog. Hasselskog ist ein kompakter Mann mit wachen Augen und zupackender Art, der sich in seinem Großraumbüro in Gåshaga schnell noch einen Kaffee holt und ein Stück Kuchen abschneidet. Die bisherigen Stockholmer Fähren, auf denen immerhin 1,5 Millionen Fahrgäste pro Jahr unterwegs sind, seien von der Technik her praktisch unverändert „seit 1871“: Schwere Schiffe, ausgelegt für 350 Passagiere, die im Schnitt nur zu 17 Prozent ausgelastet sind; eine Lärm- und Wellenbelastung, die an den Nerven der Menschen, am marinen Ökosystem und an den Küsten der Inselwelt nagt. Und schwere Dieselmotoren, deren Treibstoff teuer und – anders bei den Bussen in Stockholm, die viel mit Biodiesel fahren – kaum anders als fossil herzustellen ist.
Das System zielt nicht auf die großen Pötte der globalen Schifffahrt, das machen sie bei Candela klar: Für die Dekarbonisierung von Containerfrachtern, Kreuzfahrtschiffen oder Öltankern brauche es andere Techniken. Gerade hat sich die UN-Schifffahrtsorganisation IMO nach Jahrzehnten des Widerstands das Klimaziel gesetzt, gegen 2050 die CO₂-Emissionen auf null zu bringen. Doch dafür sind ganz andere Mittel nötig: neue Treibstoffe, mehr Einsatz von Segelkraft, CO₂-Preise. Bis 2030 sollen die Emissionen mindestens um 20 Prozent sinken, bis 2040 um mindestens 70 Prozent. Immerhin emittiert der internationaler Schiffsverkehr 3 Prozent aller Klimagase, mehr als Deutschland – und unterlag bislang keinen Klimazielen.
In Schweden sind Schiffe immerhin für etwa 4 Prozent der Emissionen aus dem Verkehr verantwortlich. Weil der Strom aus dem schwedischen Netz durch Wasser- und Atomenergie fast CO₂-frei ist, würden elektrische Boote die Emissionen deutlich senken.
90 Prozent weniger Energieverbrauch
Für Candela-Gründer Hasselskog ein zusätzlicher Grund für seine Stromboote: Sein Antrieb, so rechnet er vor, bringe null Emissionen, null Wellenschlag und eine „CO2-Reduktion von 97,5 Prozent über die Lebensdauer“. 200 kleinere Fähren will er einmal durchs Stockholmer Verkehrsgebiet schicken – schneller, bequemer, sauberer als die 65 Schiffe, die bisher einen Teil des öffentlichen Nahverkehrs in der Stadt am Mälarsund abwickeln. Das würde bedeuten: 90 Prozent weniger Energieverbrauch für eine Stadt, die schon 2040 klimaneutral sein will, Ladestationen wie für E-Autos ohne großen Aufwand, eine Wasser-Infrastruktur, die man anders als Straßen und Brücken nicht bauen muss. Mit einer Reichweite von etwa 50 nautischen Meilen, knapp 100 Kilometern, sei der Verkehr in der Innenstadt gut zu schaffen.
Bescheiden sind die Ziele nicht: „Wir denken in Stockholm nicht über ein paar neue Boote nach, sondern über den Ersatz der ganzen Flotte“, sagt Hasselskog. Und Candela zielt nicht nur auf Stockholm: Viele Städte in der ganzen Welt nutzen das Wasser für Passagiertransport: San Francisco, Venedig, aber auch viele Städte im Globalen Süden, die im Verkehrsstau auf der Straße ersticken. Wenn man ihn fragt, ob er sich als Elon Musk der Passagierschiffe fühlt, der eine ganze Sparte revolutioniert, lacht er nur: „Was wir planen, ist viel größer. Musk hat nur den Antrieb ausgewechselt. Wir wollen das ganze System ändern.“
Zumindest mit einem Teil des Systems werden sie bei Candela das ab Frühjahr 2024 versuchen: Die Pendlerroute nach Ekerö, einem boomenden Vorort im Südwesten der Stadt, soll die „P-12“ bestreiten. Mit den alten Fähren dauert das bisher 55 Minuten, die E-Fähre soll es in 25 Minuten schaffen. „Wir wollen sehen, ob die Technologie so gut ist, wie sie aussieht“, sagt Hans Hedenfelt, bei der Stadt Stockholm zuständig für die Verkehrsplanung. „Wenn es klappt, könnte es das ganze Spiel ändern.“
Hedenfelt ist gerade zu Besuch im Büro von Candela, ein Stockwerk tiefer werden die fertigen Elektro-Yachten verladen und auf Tiefladern verschickt. Die Halle ist voller Menschen, gerade wurde eine EU-Delegation durch die Räume geführt. Für Hans, wie ihn hier alle nennen, kommt die Candela-Idee zur richtigen Zeit. Die Stadt überlegt, ob und was sie nach 30 Jahren in die Erneuerung der alten Flotte von etwa 60 Fähren investieren soll. Die Schiffe sind als Transportmittel beliebt, aber sie verbrauchen pro Kilometer etwa siebenmal so viel Treibstoff wie Busse. Zudem sind sie teuer, weil jedes Schiff praktisch handgefertigt wird. Und: Die neuen E-Fähren könnten einen Teil der 10 Millionen Liter Diesel einsparen, die die Fähren jedes Jahr verbrennen.
„Der Klimaschutz ist einer der Hauptgründe“
„Wir werden nicht die ganze Flotte ersetzen“, so Hedenfelt. Für die weiten Wege in die Schären vor der Küste würden weiter schwere Maschinen gebraucht; auch auf manchen beliebten Routen in der Stadt, etwa zum Amüsierpark Grönalund, bräuchte es große Fähren, die bis zu 350 Menschen transportieren können. Und dann gibt es noch ein sehr schwedisches Problem: „Die Tragflächenboote können nicht im Eis fahren.“ Das ist immer mal wieder wichtig in skandinavischen Wintern.
Trotzdem: „Das Konzept von Candela sieht großartig aus“, meint der Stockholmer Verkehrsplaner: kleinere Boote, die häufiger fahren, besser ausgelastet sind und schneller sein können – weil die Bahn auf dem Wasser meist frei ist und sie in der Innenstadt das Tempo nicht wie andere Schiffe wegen des Wellenschlags drosseln müssten. Jetzt muss das Unternehmen alle Lizenzen besorgen, dann könne es im Frühjahr losgehen mit dem Startschuss für den dekarbonisierten Fährverkehr.
„Der Klimaschutz ist ja auch einer der Hauptgründe“, sagt Hedenfelt. Dann entschuldigt er sich. Es ist Freitagnachmittag, er muss los. Zu seinem Ferienhaus in den Schären.
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