Nachhaltige Autobahn: Freie Fahrt für Solar
Erneuerbare Energien brauchen viel Platz. Ist es sinnvoll, Autobahnen mit Photovoltaik zu überdachen? Ein Projekt in Baden-Württemberg testet es.
Denn die Bundesregierung hat ambitionierte Ausbaupläne für Photovoltaik. Alleine 13 Gigawatt (GW) sollen 2024 neu installiert werden, knapp das Doppelte von 2022. Bis 2030 sollen insgesamt 140 GW hinzukommen.
Diese Technik braucht vor allem viel Platz. Laut WWF benötigen Solarparks und Windkraft eine Fläche, die ungefähr viermal so groß ist wie das Saarland. Das Fraunhofer Institut ermittelt fast die doppelte Fläche. Wo im dicht besiedelten Deutschland ist dieser Platz zu finden?
Die Idee, Photovoltaik in schon genutzten Flächen zu verbauen, ist nicht neu. Auf Lagerhallen, Bürogebäuden und Einfamilienhäusern finden sich die Energieproduzenten. Mit dem Projekt an der A 81 wollen Forscher:innen herausfinden, wie der ungenutzte Platz über und neben Autobahnen genutzt werden kann.
Wie realistisch die Solardächer sind
Das Solardach in der Größe eines halben Basketballfelds ist ein gemeinsames Projekt deutscher, österreichischer und Schweizer Ministerien und Forschungseinrichtungen. Die Idee: Unten rauschen Fahrzeuge durch den Demonstrator, während das Solardach in fünfeinhalb Meter Höhe Energie gewinnt.
Es kann außerdem den Asphalt vor extremen Witterungsbedingungen und Verschleiß schützen. Die Forscher:innen untersuchen an dem Modell in Hegau-Ost, ob die Solarüberdachung die Sicherheitsanforderungen erfüllt und wie viel Energie sie generieren kann und ob sich die Idee auch finanziell lohnt.
In den Ingenieur- und Verkehrswissenschaften ist der Solarpavillon nur eine Möglichkeit, Photovoltaik in Straßenwege zu integrieren. In Frankreich versuchten Forscher:innen den Straßenbelag aus Solarzellen herzustellen. Das Modellprojekt, das 2016 startete, mussten sie abbrechen, da auch die modernsten Platten kaputtgingen.
Unfallsicher und sturm- und wetterfest
Jakob Forster, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts für solare Energiesysteme, beschäftigt sich mit den Potenzialen von Photovoltaik-Anlagen im Verkehr. Die Idee, sämtliche Straßen zu überdachen, sei nach Forster nicht realistisch. Eine Straßenüberdachung dürfe maximal 80 Meter lang sein, da sie sonst als Tunnel gelte. Das hätte den Nachteil, dass der behördliche und finanzielle Aufwand zu hoch wäre.
Damit die Überdachung unfallsicher und sturm- und wetterfest ist, sind aufwändige und teure Baumaßnahmen notwendig. Aus diesen Gründen geht Forster davon aus, dass Überdachungen nur an bestimmten Abschnitten der Strecke entstehen werden.
Beispielsweise bei Tunneleingängen und Ausgängen, wo die Photovoltaik-Module den Energieverbrauch des Tunnels decken könnten. Potenzial verspricht auch die Idee, Lärmschutzwände und Wälle mit Solarzellen auszustatten, bestätigt eine Analyse des Deutschen Wetterdienstes.
Forster merkt aber an, dass sich die Materialien der Wände und Photovoltaik-Module nicht ausreichend kombinieren lassen und noch mehr Forschung notwendig ist. Baulich weniger anspruchsvoll sind Überdachungen auf Parkplätzen. Frankreich hat dieses Jahr eine Solarpflicht für größere Parkplätze eingeführt und könnte damit bald so viel Strom erzeugen wie zehn Atomkraftwerke.
Den Platz direkt neben den Autobahnen mit Photovoltaik-Feldern zu bepflastern, hat mehr Potenzial als die Überdachung. Es ist um einiges günstiger, da dafür keine Sicherheitsauflagen vorliegen und sie schneller Energie liefern.
Wer die Anlagen betreibt, ist fraglich, da Flächen entlang den Bundes- und Autobahnen oft in Privatbesitz sind. Forster schlägt vor, eine neue staatliche Instanz zu schaffen, die die Energie-Erzeugung unter einem Schirm bündelt. So wäre der Strom in öffentlicher Hand und könnte flexibel eingesetzt werden.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Selbst wenn Solarparks neben Autobahnen entstehen würden, wäre unklar, wie der erzeugte Strom genutzt wird. Kleinere Anlagen könnten direkt vor Ort, wie bei den Tunneleingängen, oder zum Beispiel für die E-Ladeinfrastruktur verwendet werden. Größere Projekte müssten an das Stromnetz angeschlossen sein, um sinnvoll eingesetzt werden zu können. Das ist jedoch sehr teuer, da die Wege zum nächsten Einspeisungspunkt weit sind und Kabel auf lange Strecken verlegt werden müssen.
Forster spricht sich für ein Energienetz aus, das an den Straßen entlang läuft, da Autobahnen energieintensive Orte, wie Ballungsräume und Industriestandorte, verbinden. Dafür müsste jedoch eine komplett neue Infrastruktur geschaffen werden. Dies lohnt sich nur, wenn Deutschlands Autobahnen flächendeckend von Photovoltaik umgeben sein würden.
Solarupgrade für neue Autobahnen
Obwohl der Forschungsbedarf noch hoch ist und die politische Umsetzbarkeit noch ungeklärt, hat es die Vision der Solarautobahnen in die neue Verkehrsreform geschafft. Die neueste Verkehrsreform sieht vor, den Neubau von Autobahnen nur zu fördern, wenn gleichzeitig Solarenergie mit ausgebaut wird.
Ende Oktober beschloss die Ampelkoalition, 138 Autobahn-Aus- und Neubauprojekte als „überragendes öffentliches Interesse“ einzustufen. Damit beschleunigen sie die Planung und umgehen die Umweltprüfung der Projekte.
Die neue Verkehrsreform stößt bei vielen Umweltverbänden auf Unverständnis. Zumal die Pläne aus einer Zeit vor dem Pariser Klimaabkommen 2015 stammen. Kritiker:innen warnen davor, den Autobahnneubau mit einem Solarupgrade grünzuwaschen.
Der Thinktank Agora Energiewende hat sich für den Spiegel angeschaut, wie viel Leistung an den geplanten neuen Autobahnen gewonnen werden kann, wenn Solarparks an die Strecken gebaut werden. Das Ergebnis: 1 bis 3 Gigawatt Leistungspotenzial für Photovoltaik.
Nicht einmal ein Fünftel der geplanten Gigawattleistungen für 2024. Bis alle Autobahnkilometer inklusive der Solaranlagen fertig gebaut sind, wird es vermutlich noch einige Jahre dauern. Die geplanten 850 Kilometer Autobahn zu bauen, wird nach Berechnungen des Verkehrsministeriums mehr als 4 Millionen Tonnen CO₂ ausstoßen.
Laut Agora Energiewende sind die Ausbaupläne nicht Klimaziel-konform. Der Ausbau von Photovoltaik auf Freiflächen bestehender Autobahnen wäre ertragreicher. Berechnungen zeigen, dass dort 146 Gigawatt Potenzial für Photovoltaik vorhanden ist. Das ist mehr, als das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bis 2030 an Solaranlagen zusätzlich installieren will. Konkrete Pläne für den Ausbau gibt es noch nicht.
Somit bleibt der Demonstrator weiterhin einzigartig. Seit Oktober dürfen Fahrzeuge unter ihm durchfahren. An das örtliche Stromnetz angeschlossen ist er noch nicht, die Kabel- und Elektroarbeiten sollen laut Bundesanstalt für Straßenwesen dieses Jahr noch abgeschlossen werden. Bis jetzt geht die gewonnene Energie noch ins Nichts.
Mitarbeit: Anaïs Agudo Berbel und Salome Neumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland