Nach rechten Demos in Chemnitz: Streit unter AfDlern
Weil die AfD den Abbruch des „Schweigemarschs“ durch die Polizei in Chemnitz akzeptierte, tobt ein Streit in der Szene. Auch ein AfD-Abgeordneter poltert.
Im neurechten Portal Sezession.net schreibt er: „Die Szene war von seltener Würdelosigkeit. Aus dem Lautsprecher auf dem Demonstrationswagen kam von irgendjemandem die Ansage, dass der Rechtsstaat kapituliert habe und die Versammlung aufgelöst sei“. Dann hätten die an der „Spitze stehenden Parteioberen durch eine Rettungsgasse“ sich „schnellen Schrittes als erste entfernt“, schildert er. „Ich stand mitten in der Menge und musste Beschimpfungen meiner Partei anhören, die ich hier besser nicht wiedergebe. Fakt ist: Die polizeiliche Anweisung war Willkür.“
Gegen diese Anordnung hätte sich widersetzt werden müssen, klagt Tillschneider, der Vorsitzender der Patriotischen Plattform und eng mit der Identitären Bewegung verbunden ist. „Eine Partei, die sich Alternative für Deutschland nennt, aber im Angesichts des Unrechts keine Alternative mehr zu bieten und sogar nichts Besseres zu tun hat, als das Unrecht eilfertig zu befolgen, gefährdet ihre Substanz.“ Es hätte viele gewaltlose Alternativen des zivilen Ungehorsams gegeben, beispielsweise Sitzstreiks oder Spontandemonstrationen.
Schon am Samstag hatten die Mitunterstützer Pro Chemnitz und Pegida behauptet, dass die Verantwortung des Stopps nach 500 Metern alleine bei der AfD lag. Sie hätten diese Polizeimaßnahmen nicht so hingenommen, meinte Pegida-Begründer Lutz Bachmann in einen Livestrem und bilanzierte eine „grandiose Niederlage“. Einen Tag später legt er auf seinem Youtubekanal ausführlich nach. Die zentrale Botschaft: Pegida hätte die nötige Erfahrung für Großaufmärsche, die AfD nicht.
Das ist auch ein Affront gegen den thüringischen AfD-Fraktionvorsitzenden, Björn Höcke. Der hat schließlich 2015 über Wochen hinweg Aufmärsche mit bis zu 5000 Teilnehmenden mitverantwortet. In dem Clip wirft Bachmann auch Teilen der AfD-Führung, insbesondere den West-Verbänden vor, jetzt Pegida auszugrenzen.
Dem Kritisierten springt ein enger Freund bei: Götz Kubitschek, Mitgründer des neurechten Thinktanks „Institut für Staatspolitik“. Die „anwesenden AfD-Spitzen“ hätten sich zwar durch „einen unschönen Abgang durch die verblüfften und aufgebrachten Menschen“ der Auseinandersetzung entzogen: „Man sah die Abgeordneten und Landeschefs nebst ihren Leibwächtern im selben Moment durch eine Gasse das Feld verlassen, als die ersten Sprechchöre gegen die Blockade aufbrandeten und gegen den Riegel der Polizeikräfte gedrückt wurde“, schreibt er auf Sezession.net.
Kein friedlicher Protest
Doch er erklärt zudem, dass die AfD gar nicht anders gekonnt hätte. „Die AfD will und muss sich als Verteidigerin des Rechtsstaats gegen die Rechtsbeugung und die Auslegungswillkür der Altparteien präsentieren und legitimieren und dieser Wunsch nach einer lupenreinen Weste führt in Ausnahmesituationen regelmäßig dazu, dass man den Staat und seine Machtmittel nicht als Gegner wahrnimmt“, führt er aus und setzt fort: „Was für ein grandioser Irrtum!“.
Das Dilemma der „konservativ-revolutionären AfD“ wäre des Weiteren, dass sie auch als „diejenige Kraft“ angetreten sei, die „gerechtfertigten Protest, Zorn, Aufstand der Bürger gegen die Zerstörung der Ordnung in unserem Land eine wirkungsvolle Stimme geben“ will. Beiden Ansprüchen – für die Ordnung und für die Grenzüberschreitung – einzutreten, könne die AfD allerdings nicht gerecht werden.
„Die Reaktion unkontrollierbarer Gruppen innerhalb der Demonstrationsteilnehmer und die überproportionale Steigerung solcher Vorfälle durch die Deutungsmacht der Leitmedien machen der AfD in solchen Situationen jeden Ungehorsam unmöglich“, betont er und fordert: „Keine Großdemonstrationen mehr unter der Fahne der AfD. Lasst das andere machen!“. In dieser Forderung Kubitscheks schwingt mit, dass der Protest nicht friedlich verlaufen müsse. Verwunderlich ist das nicht: Schon länger spekuliert er in seinen Schriften über einen „Vorbürgerkrieg“.
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