Nach der Amokfahrt in München: Ermittler:innen gehen von islamistischem Motiv aus
Die Amokfahrt in München mit 36 Verletzten war laut der Generalstaatsanwältin religiös motiviert. Der Täter hatte eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
![Blumen und Kerzen sind an der Stelle zu sehen, wo am Donnerstag ein Auto in in eine Verdi-Demonstration gerast war. Im Hintergrund fährt ein Polizeiauto vorbei. Blumen und Kerzen sind an der Stelle zu sehen, wo am Donnerstag ein Auto in in eine Verdi-Demonstration gerast war. Im Hintergrund fährt ein Polizeiauto vorbei.](https://taz.de/picture/7531008/14/Blumen-und-Kerzen-1.jpeg)
Der 24-jährige Beschuldigte habe in einer Vernehmung Äußerungen getätigt, die auf „eine religiöse Tatmotivation“ schließen ließen, sagte die Leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann am Freitag in München. Hinweise auf eine Einbindung in extremistische Organisationen gebe es aber nicht. Man gehe von einem Einzeltäter aus, einen Bezug zu einer terroristischen Vereinigung gebe es derzeit nicht. Ein Gericht solle im Tagesverlauf über Untersuchungshaft entscheiden.
Als Anhaltspunkte für eine islamistische Motivation nannte Tilmann unter anderem die Aussage von Polizisten, der Fahrer habe nach der Tat „Allahu Akbar“ gerufen. Er habe in einer Vernehmung auch eingeräumt, den Wagen absichtlich in das Ende eines Verdi-Demonstrationszugs gesteuert zu haben. Die Aussagen deuteten auf eine religiöse Motivation hin, sagte Tilmann.
Zwar stünden die Ermittlungen noch am Anfang, betonte Tilmann. Sie traue sich aber, nach derzeitigem Stand von der Annahme eines islamistischen Hintergrunds zu sprechen.
Der Täter habe sich mit einem Auto von hinten dem Demonstrationszug der Gewerkschaft ver.di genähert, dabei Polizeifahrzeuge umkurvt und sei dann wohl mit erhöhter Geschwindigkeit „in die Menschenmenge hineingerast“, hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Donnerstagabend dem Radiosender Bayern2 gesagt.
Nach Angaben der Polizei waren bei dabei 36 Menschen verletzt worden. Dazu zählten zwei lebensgefährlich Verletzte, darunter ein zweijähriges Kind, sowie acht Schwerverletzte, sagte Polizeivizepräsident Christian Huber bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Oberstaatsanwältin Tilmann. Laut Polizei waren 1.500 Menschen unterwegs zur Schlusskundgebung am Königsplatz, als das Auto in die Menge raste.
„Ich glaube wir haben Schlimmeres verhindert“, sagte Huber. Polizisten, die den Demonstrationszug streikender Verdi-Mitglieder begleitet hätten, hätten während des Vorfalls einmal auf den Kleinwagen geschossen. Dabei sei niemand verletzt worden. Der Afghane habe bei seiner Festnahme in seinem Auto nicht von sich aus aufgegeben.
Nicht ausreisepflichtig, nicht vorbestraft
Bereits zuvor waren Angaben zum Aufenthaltsstatus und polizeilichen Aufzeichnungen über den Tatverdächtigen korrigiert worden. Anders als ursprünglich angegeben, war er nicht ausreisepflichtig und auch nicht als Ladendieb bekannt.
Der 24-Jährige habe keine Vorstrafen, sagte Tilmann. Es habe nur einmal in Bayern ein Verfahren wegen Arbeitsamtsbetrugs gegeben. Er habe sich arbeitslos gemeldet, dann eine Tätigkeit begonnen und sich nicht rechtzeitig wieder abgemeldet, sagte Tilmann. Das Verfahren sei gegen eine Geldauflage eingestellt worden, weil es nur ein sehr kurzer Zeitraum gewesen sei. Dies sei das einzige Ermittlungsverfahren in Bayern gewesen, das es gab.
Inzwischen ist auch klar, dass der festgenommene tatverdächtige Afghane nicht ausreisepflichtig war. Er war weder illegal im Land noch nur geduldet. Die Landeshauptstadt München habe ihm eine Aufenthaltserlaubnis sowie eine Arbeitserlaubnis erteilt, sagte Herrmann. „Er hat sich insofern rechtmäßig in München aufgehalten“, betonte der CSU-Politiker und korrigierte damit frühere Angaben. Dem Bayerischen Rundfunk (BR) bestätigte Herrmann auch, dass gegen den Mann nicht wie irrtümlich mitgeteilt wegen Ladendiebstahls ermittelt wurde. Er sei als Ladendetektiv nur Zeuge eines Diebstahls gewesen.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Abend im ZDF, der Tatverdächtige sei „wohl bislang eher unauffällig“ gewesen. „Und auch bisherige extremistische Hintergründe sind jedenfalls nicht auf den ersten Blick so leicht erkennbar“, so Söder. Deshalb müsse jetzt weiter ermittelt werden, was der Grund für die schlimme und furchtbare Tat sei. Auch Herrmann bestätigte, dass es bisher keine eindeutigen Hinweise auf das Motiv gebe.
Scholz für schnelle Abschiebung
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich bestürzt über die Tat und versprach, den Mann schnell in sein Heimatland abschieben zu wollen. „Wer hier keine deutsche Staatsangehörigkeit hat und Straftaten dieser Art begeht, der muss auch damit rechnen, dass wir ihn aus diesem Land wieder zurückbringen, wegbringen und ihn abschieben“, sagte Scholz am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Klartext“.
Das gelte ausdrücklich auch für den Tatverdächtigen, betonte Scholz. „Denn wir werden ihn sicherlich verurteilt sehen von den Gerichten und noch bevor er das Gefängnis verlässt, wird er dann auch in sein Heimatland zurückgeführt werden“, versicherte der Kanzler. Dieses Vorgehen sei aktuell zwar „nicht einfach“, aber es werde dann umgesetzt, sagte Scholz. Deutschland organisiere auch jetzt schon Abschiebeflüge nach Afghanistan.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte, dass die Abschiebungen nach Afghanistan weitergehen würden. Die Tat von München müsse noch weiter aufgeklärt werden, aber es stehe jetzt schon fest: „Es war erneut ein junger Afghane, wir müssen mit aller Härte des Gesetzes reagieren.“ Es könne nicht sein, dass Menschen nach Deutschland kämen und hier Straftaten begingen, sagte Faeser.
Polizeigewerkschaftler kritisiert Politiker*innen
Rainer Wendt kritisierte die Reaktionen von Politiker*innen auf den mutmaßlichen Anschlag in München. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sagte im Interview mit dem Fernsehsender phoenix: „Man ist schon bemüht beherrscht zu sein, wenn man immer wieder dieselben Sätze hört. Auch von Frau Faeser: ‚Jetzt wird der Täter hart bestraft.‘ Das bestimmt die Frau Faeser überhaupt nicht, Herr Scholz auch nicht.“ Politiker würden sich Dinge anmaßen, die ihnen nicht zustünden. „Denn in einem Rechtsstaat sprechen die Gerichte Strafen aus und nicht Politiker“, sagte Wendt.
Anm. der Redaktion: Dieser Text wurde nach der Pressekonferenz der Polizei am Freitagvormittag mehrfach aktualisiert.
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