Nach dem SPD-Debakel im Norden: Roter Doppelwhopper
Nach der Wahlniederlage in Schleswig-Holstein setzt die SPD nun voll auf Sieg in NRW. Wahlkampfjoker soll der Kanzler sein.
![Thomas Kutschaty und Olaf Scholz auf SPD-Wahlplakat für NRW Thomas Kutschaty und Olaf Scholz auf SPD-Wahlplakat für NRW](https://taz.de/picture/5550766/14/30128765-1.jpeg)
Nur 16 Prozent der Wähler:innen hatten sozialdemokratisch gewählt, das reichte nur noch für Platz drei hinter den Grünen. „Es ist uns nicht gelungen, mit unseren Themen durchzudringen“, trug Klingbeil die Analyse des Präsidiums vor. Ausdrücklich bedankte er sich bei dem glücklosen Spitzenkandidaten Thomas Losse-Müller.
Der Ex-Grüne war dem amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther zu keiner Zeit gefährlich geworden. Zu beliebt war dieser und zu unbekannt der Herausforderer, der gegen Günther auch im gemeinsamen Heimatwahlkreis Eckernförde untergegangen war mit 16,1 zu 58,4 Prozent. Eine schmerzhafte Niederlage, aber keine ganz überraschende.
„Es war schon in der Aufstellung klar, dass es eine sehr große Herausforderung wird, gegen den beliebtesten Ministerpräsidenten anzutreten“, teilte Losse-Müller am Montag in Berlin mit. Die viel bekanntere SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli hatte dankend auf die Spitzenkandidatur verzichtet. Doch auch sie hatte es unerwartet hart getroffen: Sie war extra umgezogen, um im Wahlkreis Kiel-Ost antreten zu können. Am Wahlabend aber musste sie sich in der SPD-Hochburg Seyran Papo von der CDU geschlagen geben.
Midyatli und Losse-Müller: ein Team
Einen wirklichen Vorwurf für das Wahldebakel im einstigen Stammland wollte Losse-Müller denn auch niemand machen. Dass er dennoch in den Landtag einziehen werde, hatte er schon am Vorabend klargemacht, den Anspruch auf eine Spitzenposition erhebt er aber nicht. Er schlage vor, dass Midyatli Fraktionsvorsitzende bleibe, sagte Losse-Müller am Montag: „Wir werden uns als Team aufstellen.“ Klingbeil bekräftigte, dass man in Berlin sehr gern mit beiden weiter zusammenarbeite.
Kiel ist also abgehakt. Lieber blickt der Parteivorsitzende nach Nordrhein-Westfalen, wo am kommenden Sonntag gewählt wird. Dort herrsche eine ganz andere Ausgangslage. „Ich bin ziemlich sicher, dass Thomas Kutschaty neuer Ministerpräsident wird“, versuchte Klingbeil sodann das Sandwich zuzuklappen.
Ein Wahlsieg im mit 18 Millionen Menschen einwohnerstärksten Bundesland wäre der Hauptgewinn. In Umfragen liegen der amtierende Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und sein sozialdemokratischer Herausforderer Kutschaty tatsächlich Kopf an Kopf. Wobei Wüst leicht führt, doch die Mehrheit der Bürger:innen wünscht sich laut Umfragen eine rot-grüne Regierung.
Obwohl der Rückenwind aus Schleswig-Holstein nun ausbleibt, will Thomas Kutschaty mögliche Folgen für die Wahl an Rhein und Ruhr nicht erkennen. In NRW stünden „die Zeichen auf Wechsel“, macht Kutschaty sich und seinen Genoss:innen Mut. „In Bochum oder Bielefeld haben die Leute andere Probleme. Die interessiert in den kommenden fünf Jahren nicht, wie in Eckernförde abgestimmt worden ist“, bekräftigt ein Sprecher Kutschatys.
Und tatsächlich dürften Kutschaty und Genoss:innen die Klatsche in Kiel längst eingepreist haben, die eine „reine Personenwahl“ gewesen sei. Kutschaty will nun also weiter mit seinen Themen soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit auch für Kinder aus finanzschwachen Familien, bezahlbares Wohnen und bessere Pflege punkten. Und setzt doch im Endspurt auf Personalisierierung.
Denn die gesamte Parteiprominenz rückt an: Zum Wahlkampfabschluss am Freitag in Köln werden neben Klingbeil auch Co-Parteichefin Saskia Esken und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer erwartet. Und Olaf Scholz. Den Kanzler setzt die SPD im Wahlkampfendspurt gewissermaßen als Joker ein. Neue Plakate zeigen Scholz und Kutschaty Schulter an Schulter: „Für die Menschen in NRW ist es gut, dass der künftige Ministerpräsident einen guten Draht zur Bundesregierung hat“, prahlt Kutschaty.
Ob es denn nicht riskant sei, auf diesen Doppelwhopper zu setzen, wird Klingbeil am Montag im Willy-Brandt-Haus gefragt. „Überhaupt nicht“, meint dieser. In Nordrhein-Westfalen stünden viele Arbeitsplätze auf der Kippe, da sei ein direkter Zugang ins Kanzleramt gut. Subtext: Wehe, wenn der Falsche gewinnt.
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