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Nach bizarrem Machtkampf im SaarlandGrünen-Liste endgültig abgewiesen

Der Bundeswahlleiter bestätigt den Ausschluss der Liste der Saar-Grünen von der Bundestagswahl. Für die Partei ist das ein harter Imageschaden.

Meine Stimme zählt: nicht mehr für die Saar-Grünen bei der Bundestagswahl Foto: Oliver Dietze/dpa

Frankfurt am Main taz | Die Partei der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wird bei der Bundestagswahl am 26. September keine einzige Zweitstimme aus dem Saarland verbuchen können. Am Donnerstag wies der Bundeswahlausschuss die Beschwerde des saarländischen Landesverbands mit 6 zu 2 Stimmen bei zwei Enthaltungen zurück. Damit bleibt es bei der Entscheidung des Landeswahlausschuss von Ende Juli: Ausschluss der Grünen-Landesliste.

Grund für die Entscheidung ist, dass das Bundesschiedsgericht der Grünen vor der Listenwahl am 17. Juli in letzter Minute 49 Delegierten aus Saarlouis das Stimmrecht entzogen hatte. Bei der Delegiertenwahl in Saarlouis sei die Parteiöffentlichkeit nicht gegeben gewesen, so die Begründung des Parteigerichts damals.

Doch diese Argumentation wurde vom Wahlausschuss des Landes abgelehnt und als zu leicht befunden, um ein Drittel der Wahlberechtigten nicht wählen zu lassen. Gegen den sich daraus ergebenden Ausschluss der Landesliste legten die Grünen Beschwerde ein – welche nun wiederum vom Bundeswahlausschuss abgelehnt wurde.

Es ist dies der Schlusspunkt im monatelangen Gezerre über die Grünen-Spitzenkandidatur im Saarland. Im Zentrum des Machtkampfs steht der umstrittene frühere Landesvorsitzende Hubert Ulrich, der mit seiner Hausmacht im Ortsverein Saarlouis die Politik der Grünen an der Saar seit Jahrzehnten prägt. Nach seinem Scheitern als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2017 hatte der 63jährige eigentlich Platz für einen personellen Neuanfang gemacht.

Baerbock hatte sich von Ulrich distanziert

Doch beim Listenparteitag am 20. Juni ließ er sich überraschend zum Spitzenkandidaten wählen – nach Überzeugung des Grünen-Bundesschiedsgerichts ein Bruch des Frauenstatuts. Ungerade Listenplätze sind danach eigentlich für weibliche Bewerberinnen reserviert. Bei einer daraufhin per Gericht durchgesetzten zweiten Wahlversammlung am 17. Juli trat Ulrich dann nicht mehr an. Den 49 Delegierten aus seinem mächtigen Ortsverband war zuvor das Stimmrecht entzogen worden.

Nach Überzeugung des gescheiterten Kandidaten Ulrich haben vor allem die Verantwortlichen der Bundespartei diesen Machtkampf verloren. „Der Bundesvorstand – und damit auch Michael Kellner und Annalena Baerbock – haben massiv in Kompetenzen eines demokratisch gewählten Landesvorstandes eingegriffen“, zog Ulrich bitter Bilanz und beklagte sich, noch am Tag vor der Neuauflage des Parteitags habe die Bundespartei „massiv Druck“ auf den Landesvorstand ausgeübt.

Tatsächlich hatte sich Kanzlerkandidatin Baerbock bereits im Juni öffentlich vom frisch gewählten Spitzenkandidaten Ulrich distanziert. „Wir haben uns das anders vorgestellt“, sagte sie nach dem ersten Listenparteitag. Intern wurde Bundesgeschäftsführer Michael Kellner noch deutlicher:„Wie ihr mit dieser Vorgehensweise eine Rückkehr in den Landtag erreichen wollt, ist mir schleierhaft“, mailte er an die Mitglieder des zerstrittenen Landesvorstands. Die Annullierung der Ulrich-Liste und die Wahl der Landessprecherin der Grünen Jugend Jeanne Dillschneider zur neuen Nummer eins hatte er schließlich als „Signal des Neuaufbruchs“ gefeiert.

Im nächsten Bundestag wird nun wohl keine Grünenmitglied aus dem Saarland vertreten sein. Bei der Bundestagswahl stehen an der Saar lediglich die Grünen-DirektkandidatInnen auf den Stimmzetteln. Dass die sich gegen die prominenten KandidatInnen von CDU und SPD, darunter immerhin drei BundesministerInnen, durchsetzen können, gilt als unwahrscheinlich. Grüne Zweitstimmen aus dem Saarland wird es nicht geben. Das kann die Partei vielleicht verschmerzen, im Saarland lebt immerhin nur ein knappes Prozent der Wahlberechtigten, doch der Imageschaden wiegt schwer.

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23 Kommentare

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  • Ja, und jetzt: Schweigen im Wald!

    Seehofer hätte schon lange zurücktreten müssen, doch wird er gedeckt von der kriminellen Vereinigung, die sich "CDU" schimpft. Und dieser installiert seinerseits den reaktionären Hardliner Thiel an der Spitze des statistischen Bundesamts, der zugleich Bundeswahlleiter ist und die Mitglieder des Bundeswahlausschusses ERNENNT.

    Merkt ihr was?

    Der BWA sanktioniert WAHLBETRUG offensichtlich nur, wenn es der CDU nutzt. DAS ist der eigentliche Skandal! Diese CDU und ihr separatistisches Anhängsel haben in KEINEM Ministerium noch was verloren. Sie muss dringend ABGESETZT werden.

    Liebe Leute, mitte, links und grün: Wenn ihr das versemmelt, habt ihr's nicht anders verdient. Ignoranz bestraft das Leben, doch viele Andere müssen es mit ausbaden. Also rauft euch zusammen!

    • @What would The Doctor do?:

      Nur zur Info… die AFD wurde in Bremen nicht zur Bundestagswahl zugelassen. Die Faschos kochen.

      Im Saarland wird die Liste der Grünen nicht zugelassen. Das Grüne Kleinbürgertum …..

      Nur zur Info



      Das Verfassungsgericht hat die Bürgerschaftswahl 1991 in Hamburg für ungültig erklärt. Begründung war das die CDU ein Blockwahlverfahren nutzte. Man konnte nur einen Block von Kandidaten wählen.



      www.grin.com/document/2690

      Unsere Demokratie funktioniert

  • Man muss sich wirklich fragen welches Demokratieverständnis die haben, die einen Ortsverband von der Stimmabgabe ausschließen, weil ihnen deren wahrscheinliches Abstimmungsverhalten nicht passt? Und das wird auch noch vom Bundesschiedsgericht so angeordnet. Was waren da für Juristen am Werk. Da fügt es sich nur allzu schön, dass sich gleich eine Jungjuristin zur Spitzenkandidatin wählen lässt. Wieso setzt hier jeder juristische Sachverstand aus? Mir scheint, immer mehr dass Michael Kellner eine totale Fehlbesetzung als Wahlkampfleiter ist!

  • Tatsächlich ein spannendes Kopf an Kopf Rennen in der Disziplin "Sich selbst ins Knie schießen". Aber da waren die Grünen vor großen Wahlen schon immer Titelfavorit.

    Das wird die Partei mehr Stimmen kosten, als alle Baebockschen Fettnäpfchen zusammen. Die Wähler sind nicht so blöd, nicht zu erkennen, dass sich zu viele Leute selbst und ihre sturen Nischenziele wichtiger nehmen, als das große Ganze.

    Da hat man jetzt mit der groben Keule die Frauenquote einer kleinen Landesliste durchgestzt, dafür aber demokratische Beschlüsse mit Füßen getreten und am Ende die Chance auf wirklich mehr Gleichberechtigung durch eine starkes Abschneiden bei der BT Wahl erheblich geschwächt.

    So blind kannste gar nicht sein.

  • Das wirklich bittere an den Vorkommnissen für mich als Wähler ist doch: Die Grünen legen mehr wert auf innerparteiliche Befindlichkeiten als auf Sachpolitik. So kann aber kein Machtanspruch erwachsen dieses Land zu reformieren. Partei und Satzung vor Land und Wählern. Ein Desaster dieses Signal!

  • Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

    Erschreckend finde ICH, dass der von Ulrichs korrupter Krawalltruppe zu verantwortende WAHLBETRUG bei der ersten Listenwahl offenbar weder für die Wahlausschüsse eine Rolle spielte, noch überhaupt jemanden zu interessieren scheint. Und das in Deutschland!

    Der Hubert ist ein Heiliger, der Liebling aller Antigrünen. Wer ihn angreifen will, muss den Aufschrei mit einpreisen. Seinem ihm treu ergebenen Ortsverband gelingt es seit Jahrzehnten immer wieder, eine sinnvolle Parteiarbeit zu unterbinden und Frauen und Jugend zu marginalisieren. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.

    Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses ist als parteipolitisch zu werten. Hier ist Horst Seehofer der Strippenzieher, der autoritär-reaktionäre Bundeswahlleiter Georg Thiel zu einer unabhängigen Sichtweise außerstande. Das statistische Bundesamt ist eine „Behörde im Verfall“.

    de.wikipedia.org/wiki/Georg_Thiel



    Da es aussichtslos erscheint, sich der kriminellen reaktionären Unterwanderung zu entledigen, plädiere ich dafür, eine Auflösung des Landesverbands zu überlegen, um einen Neubeginn unter Leitung des progressiven Grünen Bündnis Saar zu initiieren.

  • Ich erinnere mich noch an die hämischen Kommentare zur Schlammschlacht der Saarland-Linken, aber, Lafontaine hin oder her, immerhin konnten sie eine Liste aufstellen.

  • Politikberatung ist ein Business, wie auch die Image-Pflege und - früher besonders intensiv -die Landschaftspflege. Da darf man nicht arrogant sein oder kleinlich, das Thema Kandiat:innen-Liste im Saarland bleibt virulent, weil es Vorurteile bestätigt. Man hätte es mit höherer Professionalität geräuschlos abwickeln können und müssen. Warten wir mal auf Lern- und Abfärbeeffekte. Früher war nicht nur mehr Lametta, auch mehr Teflon.

  • Wenn man versucht ca. die Hälfte der Bevölkerung zu benachteiligen, wird es evtl. schwer Mehrheiten zu gewinnen.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Baerbock hatte sich von Ulrich distanziert"



    Geht Frau Baerbock auf Distanz,



    gibt es einen Eiertanz



    Leider fehlt die Eleganz.

  • Mir fällt zu den Grünen so langsam nichts mehr Positives ein. Da macht das Fremdschämen irgendwann keinen Spaß mehr. Und dass Herr Laschet auch peinlich ist, macht es nicht besser.



    Das hier ist keine Lappalie. Da versucht die Parteiführung um die Kanzlerkandidatin einen unliebsamen Kandidaten zu verhindern, und nimmt dabei lieber in Kauf, dass die Liste gar nicht zugelassen wird. Intriganter geht nicht. Woanders wäre ein Parteivorsitzender, der sowas zu verantworten hat schon lange fällig.



    Und nein, hier kann man sich nicht wirklich auf irgendein Parteistatut berufen - wenn in einem Land mit großer Wahrscheinlichkeit nur der Kandidat auf Platz 1 der Liste eine Chance hat, dann kann man nicht einfach die Hälfte der Leute wegen ihres Geschlechts ausschließen, das widerspricht komplett der Idee von Gleichberechtigung. Dass man die Männer aus einem Foto rausschneidet, passt da ins Bild. Aber gut, die Hinterzimmerentscheidung für Baerbock und gegen Habeck hat ja schon gezeigt,vwas man da für ein Verhältnis zu innerparteilicher Demokratie hat.



    Und inhaltlich? Wenn die originellste Antwort der Grünen auf den Klimawandel ist, ein Ministerium umzubenennen und mit einem (verfassungsrechtlich fragwürdigen) Vetorecht zu belegen, dann ist die Klimakompetenz bei SPD und Linken wahrscheinlich deutlich höher.

    • @Ruediger:

      Das retuschierte Foto ist für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Grünen befinden sich auf einem für die Demokratie gefährlichen Weg.



      Bisher war ich noch unentschlossen, jetzt werde ich Linke oder SPD wählen.

  • Selbstzerfleischung war doch schon immer die Königsdisziplin der Grünen.

    Ich erinnere nur an die Fundi/Realo-Grabenkämpfe.



    An die Zwistigkeiten in Sachen Afghanistankrieg (mit den bekannten desaströsen Folgen)



    An die Anti-Atomzerwürfnisse.



    ...



    ...

    • @Bolzkopf:

      Früher gab es bei den Grünen heftige Debatten um politische Inhalte, auch um Personalentscheidungen. Das war gelebte innerparteiliche Basisdemokratie.



      Heute werden bei den Grünen die wichtigen Entscheidungen im Hinterzimmer getroffen, Debatten finden nicht oder nicht öffentlich statt - und unliebsame Entscheiden werden per Intrige gelöst, wie jetzt im Saarland. Das ist eher nicht so demokratisch.

  • Selber Schuld. Es wird hier ja gerne unterschlagen, dass die Frau, die für Platz 1 nominiert wurde und damit das erstzugriffsrecht hatte, auf dem Parteitag durchgefallen ist. Danach wurde demokratisch ein Mann gewählt. Das zu kritisieren, heißt die Demokratie kritisieren.

  • 100 Prozent Machtgeilheit 0 Prozent gesunder Menschenverstand, eben Grüne 2.0

  • Es bewahrheitet sich doch immer wieder: Linke (und da subsummiere ich jetzt die Grünen einfach mal, wenn ihre Agenda auch sicher nicht rein "links" ist), brauchen keinerlei Intrigen oder sonstige Machenschaften der Rechten, um ihre Ziele zu sabotieren.



    Das schaffen sie am zuverlässigsten ganz alleine.



    Der bisherige Auftritt im Wahlkampf 21 ist eine einzige Demonstration dieser Tatsache.

  • Es ist schade dass die Wähler im Saarland nun keine Grünen wählen können aber die Entscheidung ist nachvollziehbar und konsequent.

    Letztendlich verbockt hat es das Schiedsgericht der Grünen mit der Entscheidung 1/3 der Delegierten auszuschließen. Dass dort niemand auf den Gedanken gekommen ist dass das aus demokratischer Sicht bedenklich sein könnte ist das eigentlich erschreckende.

  • Der Imageschaden dürfte noch viel schwerer wiegen als das eine Mandat, das man durch die Vorgänge vielleicht unmittelbar verliert.

  • Dumm gelaufen für die Grünen. Manchmal kommt's zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen.

    Bei der BTW2017 gab es 46.976.341 Wähler, davon haben 4.158.400 = 8,85% für die Grünen gesstimmt. Von denen stammten 35.117 aus dem Saarland = 0,075% der Gesamtstimmenzahl. D.h. ohne das Saarland hätten die Grünen bei der BTW2017 ca. 8,78%



    erhalten. Mal schauen, ob das was ausmacht.



    (Abweichungen durch Rundungen :-D)

    • @Marius:

      Es soll 1 - 2 Mandate weniger werden. Fall das Rennen knapp wird kann es sehr entscheidend sein.

  • Wie kann nur einer kompletten Ortsgruppe das Stimmrecht entzogen werden?

    Die Entscheidung der Bundeswahlleitung war zu erwarten und einfach nur peinlich…

  • Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Die Frauenstatuten der Grünen sind sowieso schon fragwürdig verfassungskonform. Dann um ihrer Durchsetzung willen die Parteiinterne Demokratie auszuhebeln muss Konsequenzen haben.

    Anscheinend ist es immer wieder notwendig die lokalen Großkopferten darauf hinzuweisen, dass ihre Intrigen weitreichende Konsequenzen haben können.