Nach Wahlen in Senegal: Der Traum von Afrikas Linken lebt

Statt Militärputsch reicht Senegal auch die Wahlurne: Der neue Präsident Faye steht für eine Befreiung von neokolonialen Abhängigkeiten.

Bassirou Diomaye Faye im weißen Gewand umgeben von vermummten Personenschützern, winkt

Senegals neue Ikone: der mittlerweile designierte Präsident Barrirou Faye in einem Wahllokal in Mbour Foto: Zohra Bensemra/reuters

BERLIN taz | Einen „Sieg des senegalesischen Volkes im Kampf um die Verteidigung seiner Souveränität“ nannte Bassirou Faye am Dienstagfrüh seinen Wahlsieg in einer ersten Erklärung. Seit das Regierungslager am Montag seine Niederlage bei der Wahl vom Sonntag eingestanden hat, steht der Kandidat der linken Opposition als Senegals nächster Präsident fest – eine historische Wende, die weit über Senegals Grenzen hinaus Beachtung findet.

„Souveränität“ ist das Leitwort einer ganzen Generation, die im 21. Jahrhundert ein neues Afrika frei von Abhängigkeiten aufbauen will. Wie es Fayes Partei Pastef (Afrikanische Patrioten für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit) ausdrückt – sie wurde zwar nach der Inhaftierung ihres Anführers offiziell aufgelöst, aber ihr Kandidat Faye trat jetzt mit ihrem Programm an: „Seit über 50 Jahren folgt die Politik, unabhängig von der jeweiligen Regierung, denselben Mustern mit derselben starken äußeren Abhängigkeit und Unterwürfigkeit. Diese Muster haben ihre Ineffizienz und ihre Schädlichkeit bewiesen und es wird politischen Mut brauchen, um damit zu brechen.“

Befreiung von neokolonialer Abhängigkeit ist ein alter Traum der afrikanischen Linken. Es geht dabei heute weniger um die koloniale Vergangenheit, die nur wenige noch aus eigener Erfahrung kennen. Es geht um eine Abwendung vom weißen Norden. Die Kritikpunkte sind zahlreich: Reiche Industrienationen wahren ihre eigenen Interessen, aber predigen anderen eine „regelbasierte Weltordnung“, deren Regeln sie selbst setzten. Weiße werden in Afrika hofiert, Schwarze in Europa wie Dreck behandelt. Jeder von einem französischen Polizisten erschossene Schwarze treibt der „Flamme des Patriotismus“, wie Pastef seine Ideologie definiert, neue Sympathien zu.

„Patriotismus“ ist die neue Antwort auf die alte Frage, ob Afrikas Staaten koloniale Machtstrukturen bewahren sollen oder ein Bruch nötig ist. Stärker als jede andere europäische Macht setzte Frankreich in Afrika bei der Auflösung der Kolonialreiche um 1960 auf neokoloniale Kontinuität. „Du willst Unabhängigkeit? Kannst du haben“, schleuderte Charles de Gaulle einst dem Guineer Sékou Touré entgegen, als der die Umwandlung des Kolonialreichs in eine von Paris geführte „Gemeinschaft“ ablehnte. De Gaulle bestrafte Guinea mit der sofortigen Unabhängigkeit unter Entzug aller finanziellen und administrativen Ressourcen.

Frankreich hält den Finger drauf

Die anderen Länder folgten lieber Frankreichs Vorstellungen, von Tschad bis Elfenbeinküste, von Kamerun bis Senegal. Sobald die Trikolore eingeholt war, traten umfassende Kooperationsabkommen in Kraft. Die Kolonialwährung CFA-Franc (Franc der Französischen Kolonien in Afrika) blieb Landeswährung. Französische Kolonialadministratoren konnten als Entwicklungshelfer weitermachen.

Nach der Unabhängigkeit lebten in vielen afrikanischen Ländern mehr Weiße als vorher, und aus ihren Geschäften mit den afrikanischen Staaten finanzierten sich nicht nur die afrikanischen Eliten, sondern auch Frankreichs politische Parteien – ein Win-Win der oberen zehn Prozent. Für die unteren 90 Prozent blieb zumeist nichts übrig. Nicht zuletzt blieben französische Sicherheitskräfte stationiert, mit Interventionsrechten in innere Angelegenheiten. „Service après-vente“, Gewährleistungspflicht, nannte man dies in Paris: Man kümmert sich um Afrika wie ein Handwerker um seine Installationen.

Jubelnde recken ihre Arme in die Höhe

Junge Freude: Anhänger des Wahlsiegers Bassirou Faye bejubeln erste Wahlergebnisse in Senegals Hauptstadt Dakar Foto: Luc Gnago/reuters

Eigentlich waren die Tage dieses Systems schon 1990 gezählt, als in einem Land nach dem anderen die Einparteienregime zerbröselten und Demokratiebewegungen eine „zweite Befreiung“ ausriefen. Zunächst sorgte Frankreich dafür, dass das nicht über die Einführung eines Mehrparteiensystems hinausging. Plumpe Wahlfälschung folgte etwa in Kamerun, Togo und Gabun.

Eine Ära ging zu Ende

Im Jahr 2000 sorgte der Wahlsieg des Sozialisten Laurent Gbagbo in der Elfenbeinküste für Heilserwartungen, ähnlich wie heute der Machtwechsel in Senegal. Gbagbo und seine Ivorische Patriotische Front träumten von einem freien geeinten Afrika. An der Macht aber spalteten sie das eigene Land. Als Rebellen zu den Waffen griffen, lehnte Frankreich ein Eingreifen zugunsten Gbagbos ab.

Auf den Tod von 9 französischen Soldaten durch einen Angriff von Regierungstruppen aber antwortete Frankreich mit der Zerstörung der ivorischen Luftwaffe. In Abidjan marschierten daraufhin Tausende Jugendliche mit Parolen wie „Nieder mit Frankreich, es lebe die unabhängige Elfenbeinküste!“ auf den Lippen zur französischen Militärbasis. Die französischen Soldaten eröffneten das Feuer. Das neokoloniale Massaker forderte über 50 Tote.

„In der Nacht auf Sonntag, den 7. November 2004 hat Frankreich ‚sein‘ Afrika verloren“, bilanzierte später der französisch-amerikanische Journalist Stephen Smith, erster Afrikareporter der taz, in seinem Buch „Comment la France a perdu l’Afrique“. In den Folgetagen wurde ein Großteil der 20.000 Franzosen der Elfenbeinküste militärisch evakuiert. Eine Ära ging zu Ende.

Faye will nun Ernst machen

Frankreich gab so schnell nicht auf. Es revanchierte sich 2011 in der Elfenbeinküste, indem es militärisch gegen eine plumpe Wahlfälschung Gbagbos eingriff und Wahlsieger Alassane ­Ouattara an die Macht verhalf. Aber die Entfremdung blieb. In Mali stoppte Frankreich mit einer Militärintervention 2014 den Vormarsch radikaler Islamisten und führte daraufhin mit seiner größten Afrikatruppe seit der Kolonialzeit einen „Krieg gegen den Terror“.

Aber es behandelte Mali nicht als gleichwertigen Partner. Die Konsequenz: 2020 putschte Malis Militär. Nachahmerputsche in Burkina Faso, Guinea, Niger und Gabun folgten. Frankreichs Militär hat die Sahelzone inzwischen komplett räumen müssen, außer Tschad und Senegal.

Im Kern geht es darum, die Zukunft des eigenen Landes selbst zu bestimmen

In Senegal hat nun ein „Patriot“ an der Wahlurne erreicht, wofür es in den anderen Ländern Putsche brauchte. Sie alle eint der Wunsch, die bis heute existierenden Abhängigkeiten von Frankreich zu beenden. „Frankreich raus!“ riefen Demonstranten der Partei Pastef in vergangenen Jahren bei Protesten gegen die Inhaftierung ihres Parteichefs Ousmane Sonko.

Ihre konkreteste Forderung ist die nach Auflösung des CFA-Franc zugunsten eigener Währungen – der CFA-Franc wird heute zwar nicht mehr von Paris aus verwaltet, bleibt aber durch Kopplung an den Euro an die Finanzpolitik der Europäischen Zentralbank gebunden. Faye will außerdem die Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) reformieren, aus der die Militärregierungen von Mali, Niger und Burkina Faso bereits ausgetreten sind.

Populistischer Nationalismus mit konservativen Bildern

In vielen Zügen erinnert das „patriotische“ Denken an die hohle Rhetorik von zu Diktatoren gewandelten Freiheitskämpfern etwa in Simbabwe. Auch ein populistischer Nationalismus bricht sich immer wieder Bahn, ­gekoppelt mit einem ausgesprochen konservativen Menschen- und Gesellschaftsbild. „Patriotisch“ ist oft auch ein Stichwort zur kollektiven Aus­grenzung missliebiger Bevölkerungsgruppen.

Aber im Kern geht es darum, die Zukunft des eigenen Landes selbst zu bestimmen, in allen Bereichen. In einem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde erklärte Faye vor wenigen Tagen, er gehöre zu „einer neuen Generation von Führern, die anders tickt, die neue Ansprüche stellt, die mehr Augenhöhe und Respekt in unseren Beziehungen fordert. Wenn Frankreich das nicht begreift, könnte es aus Afrika hinausgeworfen werden.“

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