Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest: Ab jetzt Party ohne Prügel
Künftig wird beim Borkumer Fest auf das Schlagen von Frauen verzichtet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen einen Täter und gegen die Polizei.
Er gilt als höchster Feiertag auf Borkum: Seit über einem Jahrhundert wird das Klaasohm-Fest am 5. Dezember gefeiert. An diesem Tag verkleiden sich sieben Männer als winterliche Fabelwesen, geschmückt mit Tierpelzen und Möwenfedern. Ihr Ziel: Frauen mit Kuhhörnern auf den Po hauen. Abends versammeln sich Tausende in der Innenstadt, kehren in Kneipen ein und treffen sich nach der Frauenjagd an der Litfaßsäule im Ortskern. Auf Borkums Straßen verkleiden sich junge Frauen mit dicken Pullis und Rufhörnern, um unter den Männern nicht aufzufallen, und begeben sich waghalsig in die Katz-und-Maus-Jagd. Borkumer*innen, die auf dem Festland wohnen, kehren extra für Klaasohm in die alte Heimat zurück. Ansonsten blieben sie dabei gerne unter sich.
Doch in diesem Jahr wird das Fest etwas anders ausfallen. Nach NDR-Recherchen und bundesweiter Empörung gelobt der veranstaltende Verein, Borkumer Jungens (VBJ), die Gewalt gegen Frauen nun zu unterlassen. „Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen.“ Man wolle sich nun auf das festlegen, was das Fest wirklich ausmacht: „den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner“, teilte der Verein mit.
Angeblich hätte es bereits vor zwei Jahren erste Bestrebungen gegeben, das Schlagen mit dem Kuhhorn zu unterlassen, räumt der Verein Tage nach der Veröffentlichung des „Panorama“-Films ein. Doch offenbar konnte der Verein das Schlagverbot in den vergangenen Jahren nicht durchsetzen.
Juristische Konsequenzen
Jetzt hat das Ganze auch juristische Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft Aurich teilte der taz auf Anfrage mit, nun in einem „Verfahren gegen unbekannte Täterschaft im Zusammenhang mit dem VBJ wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung“ zu ermitteln. Eigentlich müssen Behörden und Beamte des Polizeidienstes Straftaten ermitteln, dafür braucht es auch keine Anzeigen von mutmaßlichen Opfern. Die Polizei Borkum muss von Amts wegen ermitteln, weil das Schlagen mit dem Kuhhorn als Traditionspraxis der Polizeistation auf der Insel wohl bekannt ist. Falls die Polizei nicht ermittelt, stellt es nach Paragraf 258 StGB eine Strafvereitelung – nach Paragraf 258 a gar eine Strafvereitelung im Amt – dar. Die Freiheitsstrafe dafür beläuft sich auf sechs Monate bis zu fünf Jahre.
Da die Schläge mit dem Kuhhorn starke Verletzungen verursachen können, kann diese Praxis als gefährliche Körperverletzung gesehen werden, die erst nach 10 Jahren verjährt. Die Polizei auf Borkum muss also alle Klaasohm-Feste der vergangenen Jahrzehnte aufarbeiten, was für die kleine Inselpolizei, die der Polizei Leer/Emden unterstellt ist, eine Mammutaufgabe wird. Ein Verfahren gegen den Bürgermeister, Jürgen Akkermann (parteilos), ebenfalls wegen Strafvereitelung im Amt, werde noch geprüft. Es ist der Versuch einer Aufklärung dieser historisch gewachsenen Gewalt gegen Frauen.
Akkermann warnt nun davor, „nicht die ganze Insel unter Generalverdacht zu stellen“, und legt mit dem Borkumer Stadtrat für den heutigen Klaasohm-Tag ein Sicherheitskonzept vor. Tatsächlich hatten „Strg_f“ und „Panorama“ mehrfach versucht, mit dem Bürgermeister und dem VBJ über Klaasohm zu sprechen. Die Polizei wolle nun eine „Nulltoleranzlinie“ gegen den Klaasohm fahren. Vom Verein sollen Ordnerinnen eingesetzt und auch Schutzräume für Frauen eingerichtet werden.
Hämatome vom Steiß bis zum Knie
Auf dem Festland hat man weniger Verständnis für Borkums höchsten Feiertag. Inzwischen meldete sich Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zu Wort: „Die Berichterstattung über das Klaasohm-Fest auf Borkum zeigt, dass längst nicht alle betroffenen Frauen mit diesem gewalttätigen Brauch einverstanden waren und es ihnen dennoch nicht leichtgefallen ist, das auch so zu artikulieren“, sagte sie der dpa. Es sei „folgerichtig und überfällig, dass die Veranstalter angekündigt haben, diesen Teil des Festes abschaffen zu wollen“. Bürgermeister Akkermann beteuert in einem Interview mit der Ostfriesen.tv-Redaktion, dass das Schlagen „nie den Hauptteil der Tradition“ ausgemacht habe.
Mittlerweile gibt es viel Widerspruch gegen die Aussage des Bürgermeisters, vor allem von Borkumerinnen. „Ich hatte vom Steißbein bis zur Kniekehle alles voller Hämatome“, berichtet eine Borkumerin in der NDR-Reportage anonym über ihre erste Begegnung mit dem Klaasohm-Fest. Frauen, die vom Klaasohm erwischt werden, fühlen sich hinterher alleingelassen. „Die lassen hinterher einen einfach so stehen und fragen nicht einmal, wie es dir geht“, sagt eine andere Borkumerin. Auch ein ehemaliger Klaasohm kommt in der Reportage zu Wort. Bei der Frauenjagd komme es immer zu Zwang. Und wenn sich eine Frau zu sehr wehrt, „muss halt ein Mann mehr festhalten. Man kann sich dem nicht entziehen“, sagt er.
Das Klaasohm-Fest wird organisiert von dem gemeinnützigen Verein Borkumer Jungens e. V. 1830. Aus ihren Reihen von unverheirateten Männern werden die Klaasohme ausgesucht. Klaasohm kann werden, wer mindestens zehn Jahre auf Borkum lebt.
Woher diese brutale Tradition kommt, lässt sich heute nicht mehr eindeutig klären. Auf Borkum erzählt man sich, dass das Klaasohm-Fest eine alte Walfängertradition sei. Der Legende nach waren die Männer über Monate auf Walfang weit von zu Hause und mussten bei ihrer Rückkehr feststellen, dass die Frauen auf Borkum nun das Sagen hatten. Um sie wieder zurück ins Glied zu prügeln, wurde Klaasohm geschaffen.
Bei all der medialen Aufmerksamkeit ist davon auszugehen, dass das Klaasohm-Fest in diesem Jahr tatsächlich weniger gewalttätig wird. Doch es ist nicht die einzige Wintertradition, die auf Gewalt gegen Frauen baut. Ein weiteres Beispiel ist das Sunneeklaas-Fest auf der niederländischen Insel Ameland. Dort ziehen Männer vermummt durch die Straßen, während für Frauen wiederum eine Art Ausgangssperre gilt.
Yasemin Fusco ist freie Journalistin und hat „Strg_f“ und „Panorama“ bei den Recherchen für die Reportage „Das Schweigen der Insel – Wenn Borkum Klaasohm feiert“ unterstützt. Als Borkumerin ist sie mit Klaasohm aufgewachsen.
Hinweis: In einer vorherigen Version stand, dass das Schlagen mit dem Kuhhorn als „schwere Körperverletzung“ gesehen werden kann. Es muss allerdings „gefährliche Körperverletzung“ heißen. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.
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