Nach Polens Getreideimportverbot: Streit ums Korn
Erst verbietet Polen den Import von ukrainischem Getreide, dann fordert Polen von der Ukraine mehr Dankbarkeit. Die Nachbarstaaten liegen im Clinch.
Eigentlich sind Polen und die Ukraine gute Verbündete. Doch mit Putins Aufkündigung des Getreidedeals ist es dem russischen Kriegstreiber gelungen, Zwietracht zu säen. Am Dienstag bestellten Warschau und Kiew sogar gegenseitig die Botschafter ein. Marcin Przydacz, der außenpolitische Berater des polnischen Präsidenten, hatte zuvor im Staatssender TVP den polnischen Importstopp für ukrainische Agrarprodukte verteidigt – und in diesem Zusammenhang mehr Dankbarkeit von Kiew für die „viele Hilfe“ Polens gefordert. „Die Ukraine sollte damit beginnen, das zu schätzen, was Polen in den vergangenen Monaten und Jahren für sie getan hat. Für uns am wichtigsten ist jetzt die Interessenverteidigung der polnischen Bauern.“
Das kam im kriegsgeschüttelten Nachbarland gar nicht gut an. „Es gibt nichts Schlimmeres als einen Retter, der von dir schon Geld für die Rettung fordert, während noch das Blut aus deinen Wunden trieft“, schrieb Andrij Sybiha, stellvertretender Büroleiter des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, auf Facebook und wies den Vorwurf zurück, die Ukraine sei nicht dankbar genug. Die ukrainischen Soldaten verteidigten jeden Tag die westlichen Werte und die Sicherheit der ganzen Region gegen den russischen Aggressor, so Sybiha auf Facebook weiter. Sie täten dies auch im Interesse Polens. Die Äußerungen seien „inakzeptabel“, musste sich dann auch der Botschafter Polens in Außenministerium der Ukraine anhören.
Daraufhin bestellte Polens nationalpopulistische Regierung ihrerseits den ukrainischen Botschafter ein. Noch am Dienstagabend warf Polens PiS-Premier Mateusz Morawiecki der Ukraine einen „Fehler in der Außenpolitik“ vor. „Wir werden immer den guten Ruf Polens und seine Sicherheit verteidigen“, so Morawiecki auf Twitter.
Spät abends schrieb Selenski ebenfalls auf Twitter, dass die Freiheit und das Wohlergehen beider Länder sowie das Zusammenhalten gegen den russischen Krieg an erster Stelle stehen sollten. Doch am nächsten Morgen drohte Radoslaw Fogiel (PiS), der Chef des polnischen Parlamentsausschusses für Außenpolitik: „Die Ukraine muss sich darüber im Klaren sein, dass es bei solchen Streitigkeiten für Polen deutlich schwerer wird, die Ukraine weiterhin zu unterstützen.“
Hintergrund der Animositäten ist der Streit über den Export von Getreide und anderer Agrarprodukte aus der Ukraine in die EU und nach Afrika. Nachdem die EU schon 2016 einen Großteil der Zölle für ukrainische Importe landwirtschaftlicher Produkte liquidiert hatte, importierten Großaufkäufer in den unmittelbaren Nachbarstaaten Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine.
Das Nachsehen hatten die meist kleineren Bauernhöfe in Polen, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien, die sich an Umweltauflagen der EU halten müssen, viele Pestizide, die in der Ukraine erlaubt sind, nicht einsetzen dürfen – und damit nicht konkurrenzfähig waren. Ihr Getreide blieb häufig unverkauft in Speichern und Silos liegen.
Dramatisch wurde die Situation aber erst mit Aufkündigung des Getreidedeals seitens Russlands. Seitdem dürfen ukrainische Getreideexporte nicht mehr das Schwarze Meer passieren. Zwar verhängte die EU auf Antrag der ukrainischen Nachbarstaaten einen befristeten Importstopp für ukrainisches Getreide in die EU, erlaubte aber ausdrücklich den Transit durch EU-Staaten bis zu den Häfen, von denen aus das ukrainische Getreide vor allem nach Afrika verschifft werden sollte. Zu wenig berücksichtigt wurde dabei aber, dass die Umschlagkapazität der Häfen beschränkt war.
Die Transitstaaten – darunter Polen – sahen sich nicht in der Lage, das logistische Problem zu meistern, die Kapazitäten auszubauen oder auch andere EU-Länder in die neue Lieferkette aufzunehmen. Die Folge: ein starker Preisverfall bei Agrarprodukten in Polen und den anderen vier Nachbarstaaten der Ukraine. Eigentlich sollte das EU-Exportverbot am 15. September auslaufen, doch Polen kündigte bereits an: „Ohne uns.“ Im Herbst sind Wahlen in Polen. Auch das muss die PiS berücksichtigen. Denn in Polen werden die Wahlen auf dem Land gewonnen, nicht in den Städten. Daher der plötzlich so scharfe Ton der PiS-Politiker gegenüber der Ukraine.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen