Polens Regierung in der Kritik: Aufstand gegen die PiS

Bislang sah es so aus, dass Polens Nationalpopulisten nach der Wahl weiterregieren können. Doch ein umstrittenes Gesetz mobilisiert ihre Gegner.

Donald Tusk auf einer Bühne.

Polens Opposition schöpft neue Zuversicht: Donald Tusk am Sonntag in Warschau Foto: Attila Husejnow/Zuma Press/imago

WARSCHAU taz | „Wir sind auf dem Weg zum Sieg!“, rufen sich in Polen viele Gegner der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) immer wieder zu. Sie lachen dabei. Denn seit Sonntag ist bei der Opposition die Zuversicht zurück. An diesem Tag kamen in der Hauptstadt Warschau rund eine halbe Million Menschen aus dem ganzen Land zusammen, um gegen die PiS und für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren.

Die PiS regiert das Land seit 2015. In diesen acht Jahren baute sie Demokratie und Rechtsstaat immer weiter zurück, erst unmerklich, später immer deutlicher. Die Parlamentswahlen im Herbst will die Partei wieder gewinnen und damit ihre Macht in Staat und Gesellschaft verfestigen. Bis dato standen die Vorzeichen dafür auch nicht schlecht: Immerhin waren die Parteien der demokratischen Opposition bislang so zerstritten, dass ein Sieg gegen die PiS und eine Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaat unmöglich erschien.

Doch dann machte die PiS zwei entscheidende Fehler. Zum einen peitschte sie ein Gesetz durch den Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, das sich eindeutig gegen Donald Tusk, den früheren Premier Polens, ehemaligen EU-Ratspräsidenten und aktuell wichtigsten Oppositionspolitiker, richtet. Das Gesetz wurde daher im Volksmund sofort als „Lex Tusk“ bezeichnet. Vordergründig geht es um eine Kommission, die „russische Agenten“ entlarven soll – unter Politikern, die zwischen 2007 und 2022 Verantwortung trugen.

Das laut Gesetz beim PiS-Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki angesiedelte Sondergericht soll schon in den kommenden Tagen zusammentreten und die ersten Verdächtigen vorladen – darunter Tusk, wie aus PiS-Kreisen zu hören ist. Dazu müssen die Parlamentarier nur noch die neun Kommissionsmitglieder aus ihren Reihen wählen. Nur: Die demokratische Opposition im Sejm schloss bereits aus, sich an dieser gegen sie selbst gerichteten „Russen-Hatz“ zu beteiligen. Also werden – sollte es wirklich zur Gründung des Sondergerichts kommen – nur PiS-Partei-Funktionäre und vielleicht der eine oder andere rechtsradikale Abgeordnete in der „Russen-Kommission“ sitzen.

Auschwitz-Video mit gelöschtem Twitter-Beitrag

Juristische Vorkenntnisse sind laut Gesetz für die Kommissionsmitglieder nicht notwendig. Als Ankläger und Richter in einer Person könnten sie nicht nur Politiker rückwirkend verurteilen und für die nächsten zehn Jahre für öffentliche Ämtern sperren, sondern zudem Journalisten und jeden politisch aktiven Bürger. Eine Berufung gegen das Urteil dieser „Kommission“ soll nur vor Verwaltungsgerichten möglich sein.

Dort aber ist nicht vor Ablauf von rund drei Jahren mit einem Urteil zu rechnen, also lange nach den Wahlen. Das liegt an den „Reformen“ des Justizministers. Damit könnten Oppositionelle wirksam von der Teilhabe am politischen Leben ausgeschlossen werden. Andererseits sichert das Gesetz den Kommissionsmitgliedern eine weitgehende Immunität zu. Sie können nicht verklagt werden, etwa wegen der Verbreitung von Lügen, Rufmords oder übler Nachrede. Das Gesetz rief sofort massiven Protest in Polens Zivilgesellschaft hervor, erinnert es doch viele an die kommunistischen Schauprozesse der Stalinzeit.

Der zweite große Fehler der PiS war ein Wahlkampf-Videoclip, in dem die Partei das frühere Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau dazu missbrauchte, die Polen von der geplanten Großdemo in Warschau abzuschrecken. „Wir sind doch keine SS-Leute, nur weil wir anders denken als die PiS“, empörten sich viele Demonstranten am Sonntag. Darunter auch Wanda Traczyk-Stawska und Anna Przedpelska-Trzeciakowska, die beide Mitte 90 sind und beim Warschauer Aufstand 1944 gegen die deutschen Besatzer kämpften. In Polen gelten sie heute als moralische Autoritäten.

Im PiS-Videoclip fliegt eine Kameradrohne über Zuggleise auf das breite Ziegelsteingebäude mit dem Eingangstor der heutigen KZ-Gedenkstätte. Dann ist der Satz in den weiß-roten Farben der polnischen Flagge zu lesen: „In Auschwitz wurden über eine Million Personen ermordet“. Und: „Sechs Millionen Polen wurden während des Kriegs ermordet.“ Dabei zeigt die Drohnenkamera die bis heute erhaltenen Ruinen der Holzbaracken. In Wirklichkeit wurden in Auschwitz-Birkenau über 1 Million Juden ermordet und im gesamten Holocaust 6 Millionen europäische Juden.

Dann fliegt die Drohne auf das Eingangstor des drei Kilometer entfernt liegenden Stammlagers Auschwitz I zu. Unter der berüchtigten Tor-Inschrift „Arbeit macht frei“ ist zunächst ein Twitter-Kommentar des früheren Newsweek-Polska-Chefredakteurs Tomasz Lis zu lesen. „Es findet sich eine Kammer für Duda und Kaczyński“, schrieb dieser, nachdem Präsident Andrzej Duda angekündigt hatte, die „Lex Tusk“ zu unterschreiben.

Während der Schriftzug „Arbeit macht frei“ mit dem Logo der Demonstration „#Marsch4Juni“ verschmilzt, fragt eine Stimme aus dem Off: „Willst du wirklich unter diesem Motto am Marsch teilnehmen?“ Dabei hatte Lis, der nach mehreren Schlaganfällen nicht immer die richtigen Worte findet, sich nach heftiger Kritik längst entschuldigt und seinen Twitter-Kommentar umgehend gelöscht. Er habe „Gefängniszelle“ im Sinn gehabt, nicht „Gaskammer für Duda und Kaczynski“, erklärte Lis ebenfalls auf Twitter.

Doch das hielt den PiS-Wahlkampfstab nicht davon ab, den Auschwitz-Clip mit diesem ­Kommentar zu veröffentlichen – obwohl dieser da längst nicht mehr online war. Für Empörung sorgt aber vor allem, dass für die PiS Oppositionelle und überhaupt Andersdenkende mit SS-Leuten in Auschwitz oder mit russischen Agenten gleichgesetzt werden.

In jüngsten Umfragen kam die PiS auf 33 Prozent, die oppositionelle Bürgerplattform auf 23. Ob sich die Stimmung bis zur Parlamentswahl im Herbst noch drehen wird? Jene, die am ­Sonntag in Warschau auf der Straße waren, hegen diese Hoffnung.

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