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Nach Erdoğans WahlsiegMehr vom Gleichen

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdoğan hat die Türkei tief gespalten. Aber es gibt Hoffnung: Der Dauer-Herrscher hat fast alle Metropolen verloren.

Erdoğan in der Wahlnacht. 48 Prozent der WählerInnen haben ihn nicht gewählt Foto: Mustafa Kaya / XinHua

D ie Hoffnung starb zuletzt. Bis zu dem Moment, in dem auch die der Opposition nahestehende Nachrichtenagentur Anka den ewigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vorne sah, gab es immer noch eine schwache Hoffnung auf einen Sieg des Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu.

Der Absturz ist nun umso heftiger. Erdoğan triumphiert erneut, für fast 50 Prozent aller Türkinnen und Türken gehen die Lichter aus. Im hundertsten Jahr der Türkischen Republik und genau zehn Jahre nach den ersten massiven Protesten gegen Erdoğan im Istanbuler Gezi-Park scheint das Anrennen gegen den Autokraten endgültig gescheitert. Ein Debakel vor allem für diejenigen, die die Kämpfe für Demokratie und Freiheit ins Gefängnis gebracht haben. Nach 20 Jahren an der Macht hat Erdoğan es geschafft, die türkische Gesellschaft in zwei völlig unversöhnliche Lager zu spalten. Wir und die Anderen, Erdogans Mantra von Beginn seiner Regierung an, hat sich durchgesetzt.

Alle gesellschaftlichen Versöhnungsangebote des Erdoğan-Herausforderers Kemal Kılıçdaroğlu sind von den AnhängerInnen des Reis, ihres Führers, brüsk zurückgewiesen worden. Egal ob die Wirtschaft durch Erdoğans irrationalen Kurs abstürzt oder die Häuser seines Modernisierungsprogramms beim Beben einstürzen, für seine AnhängerInnen bleibt ein Mann wie Kılıçdaroğlu ein „ungläubiger Terrorist und Verräter“.

Erdoğan kann sich jetzt in seiner Spaltungspolitik bestätigt sehen. Was kommen wird, ist nichts Neues, sondern ein Mehr vom Gleichen. Mehr Moscheen, mehr Repression, mehr Beton und mehr Abhängigkeit von Putin und den Potentaten am Golf, denjenigen, die Erdoğan finanziert haben und schon vor den Wahlen den finanziellen Kollaps der Türkei verhinderten. Erdoğan wird für diese politischen Kredite mit politischem Wohlverhalten zahlen müssen – umso peinlicher sind die devoten Gratulationen von Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen.

Erneuerung aus den Städten

Die Oppositionskoalition wird an der Niederlage wohl erst einmal zerbrechen, andere Konstellationen mit anderen Personen werden folgen. Denn so schmerzlich die Niederlage nun ist, es gibt sie ja, die knapp 50 Prozent der Türkinnen und Türken, die Erdoğan ebenso sehr ablehnen wie seine Fans ihn anhimmeln. Und diese 50 Prozent sind die moderne Türkei, die Menschen in den großen Städten am Mittelmeer und der Ägäis, in Istanbul und Ankara.

Aus diesen Städten und mit den jungen Leuten, die ganz überwiegend Erdoğan nicht gewählt haben, wird die Erneuerung des Landes kommen. Weil Erdoğan außer Bursa im Westen und Gaziantep im Osten alle Millionenstädte der Türkei verloren hat, sprechen Oppositionsmedien bereits von einem „Pyrrhus-Sieg“.

Die Kommunalwahlen im kommenden Frühjahr werden es zeigen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • »Das ganze System beruht auf der Idee, dass man der Mehrheit alles einreden kann, solange man es laut und oft wiederholt. Und es funktioniert.« (Edward Snowden, zitiert von P. Grohmann in der letzen Kontext). Ja es funktioniert: Wer die Propagandamaschine kontrolliert, der gewinnt die Wahl mit den dümmsten und dreistesten Lügen, da kennt der Machtapparat keine Scham und das Wahlvolk(*) kein Halten. Es ist zum Haareausreißen, was alles weggeglaubt wird "wenns im Fernsehen kommt". Wie kann man nur so dumm, so blind sein?! Ist es gar im Interesse des Machtapparats, dummes Wahlvolk zu haben?

    (*) tragen sie hier ........ 3 Länder ihrer Wahl ein, min. 2 europäische, bei denen asymmetrische Medienkriegsführung herrscht.

  • Vorsicht: man sollte die eigene Wertschätzung städtischer Lebensweisen nicht projezieren, zumal das Oppsitionsbündnis ja durchaus auch Kräfte umfasst, die in Deutschland wahrscheinlich AfD-affin wären. Wie viel Zukunft soll daraus erwachsen?



    Im Übrigen ist es auch so, dass wenn das Label "Terrorist" in der türkischen Debatte zieht, historisch gesehen auch die CHP daran ihren fairen Anteil hat.

  • Sehr sehr schade.



    Chance verpasst.



    Arme Türkei.

  • ein super ergebnis ...

    erdogan bleibt präsident des landes.

    und er muß all die suppen auslöffeln, die er dem land, der wirtschaft, dem arbeitsmarkt, den familien, den erdbebenopfern, und-und-und eingebrockt hat !

    • @adagiobarber:

      Der Erdogan löffelt nichts, aber auch garnichts aus. Alle Parteigänger, Profiteure und Speichellecker werden alles dran setzen, legal oder scheißegal, ihren Status, ihre Pfründe, ihre Macht zu erhalten.



      Wenn die Faschisten mal dran sind, gibt es kein Zurück.



      Polen, Ungarn, Italien (ich wette) und demnächst Frankreich.

  • Ich würde nicht von einem Sieg Erdoğans sprechen, weil der Wahlkampf, die Pressefreiheit und eigentlich alle Bedingungen massiv manipuliert gewesen sind. Er ist nicht mehr abwählbar. Erdoğan wird jetzt diktatorischer werden. İstanbul, Ankara, İzmir, Tekirdağ dort geht es nur noch über Repression und Kontrolle. Die echten AKP-Jahre sind vorbei, es ist eine Erdoğan-Show, ein Klan bestimmt, eine Konstellation an Gunstlingen darf weitermachen, sich bereichern. Mit Aufbauhilfen nach dem Erdbeben werden die gleichen Fehler nochmals gemacht. Eigentlich muss Erdoğan täglich beten, dass die Erde zwischen İznik und Edirne nicht bebt.

  • Ob den hier feiernden Landsleuten bewusst ist, dass ihr Land so mit 100% Sicherheit nicht in die EU kommt und das Land wirtschaftlich weiter gegen die Wand gefahren wird?



    Aber hauptsache übersteigertes Selbstbewusstsein und "Türkei first".



    Ich gratuliere von Herzen.

    • @Schängel:

      Vielleicht haben die hier Feiernden ja gar kein Interesse daran.



      Das ließe doch tief blicken, oder?

      Mir tun all diejenigen Türken und Türkinnen sehr leid, die sich für die Opposition ausgesprochen hatten. Wenn “ für seine AnhängerInnen… ein Mann wie Kılıçdaroğlu ein „ungläubiger Terrorist und Verräter“ bleibt, haben sie Erdogan nie kapiert.



      Es sei denn sie unterstützen bewusst antidemokratisches brutales Vorgehen…

      Welch ein Armutszeugnis.

  • Warum werden hier eigentlich die staatlichen Propaganda-Medien der Türkei geduldet?



    Und gleichzeitig von einer demokratischen Wahl gesprochen?



    Ja, es hat (vielleicht, ich kann es nicht prüfen) eine Mehrheit für Erdogan gestimmt.



    Nur waren die Wahlen nicht "demokratisch", denn das erfordert auch allgemeine, freie Wahl mit gleichen Chancen.



    Siehe: www.bundesregierun...rundsaetze-1938242



    Eine radikale Medieneinseitigkeit und die Nutzung der Regierungsmacht erzeugt unfaire Wahlen, die damit undemokratisch sind.

    • @mensch meier:

      Und warum gratulieren Scholz und van der Leyen einem Autokraten? Genauso doppelzüngig wie die deutsche Klimapolitik:



      kein Öl aus Russland aber Kohle aus Kolumbien…

      “ Die Energiewende zeitigt teilweise sonderbare Konsequenzen. Während sich Deutschland von russischem Gas, der Atomkraft und heimischen Kohleförderung verabschiedet, wird immer mehr Kohle aus Kolumbien importiert.” (Deutsche Welle, 29.05.2023)

      • @POFF KAMITO:

        warum sie ihm gratulieren;



        eine ganz ehrliche Antwort die keiner hören will:



        Weil der Westen Erdogan damit beauftragt hat "uns" die Afrikaner vom Hals zu halten um zu verhindern dass die Rechten in Europa die Überhand gewinnen!



        Deshalb muss der Westen freundlich gratulieren. Und das weiß Erdogan und nutzt es zu seinen Gunsten aus.

        • @Schängel:

          Das Dumme an der Sache ist nur, dass die Rechten auch so die Oberhand in Europa gewinnen werden.



          Das kommt davon, wenn die EU sämtliche humanitären Standards in der Migratiinspolitik fahren lässt, Autokraten und Diktatoren in aller Welt (auch inmitten Europas) die Hände schüttelt und zugleich von „wertebasierter“ Außenpolitik schwadroniert.

          • @Abdurchdiemitte:

            Da bin ich 100% bei dir.



            Autokraten und Diktatoren die Drecksarbeit machen lassen und Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen ist keine Lösung.