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Nach ESC-Erfolg IsraelsDebatte um Publikumsvoting

In Spanien schlagen die Wellen nach dem Eurovision-Finale hoch. Es geht unter anderem um das umstrittene Publikumsvoting.

Yuval Raphael aus Israel läuft mit der Fahne bei einer Probe für die Finalshow des 69. Eurovision Song Contest Foto: Jens Büttner/dpa

Madrid/Brüssel dpa | In Spanien ist eine Debatte über Israels Teilnahme am Eurovision Song Contest und das gute Abschneiden des Landes beim Publikum entbrannt. Ministerpräsident Pedro Sánchez forderte den Ausschluss Israels vom Wettbewerb. Der staatliche TV-Sender RTVE kündigte derweil an, man werde eine Überprüfung des Publikumsvotings beantragen, das die Teilnehmerin Israels (Yuval Raphael mit dem Song „New Day Will Rise“) am Samstag auf Platz 2 katapultiert hatte.

Als Begründung für seine Forderung nannte Sánchez das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen. Die Offensive habe sogar in der Nacht des ESC-Finales mit weiteren Bombardierungen angedauert, betonte er. In Anspielung auf den Umgang mit Russland sagte der sozialistische Politiker: „Wir dürfen keine doppelten Standards in der Kultur zulassen.“ Niemand habe sich empört, als Russland wegen der Invasion der Ukraine vom ESC ausgeschlossen wurde. „Dasselbe sollte auch für Israel gelten“, sagte Sánchez.

RTVE wollte unterdessen seinen Antrag auf Überprüfung des Televotings nach eigenen Angaben im Laufe des Montags bei der Europäischen Rundfunkunion (EBU) einreichen. „Mehrere Länder werden ebenfalls denselben Antrag stellen, da sie der Ansicht sind, dass das Televoting durch die aktuellen militärischen Konflikte beeinflusst wurde und dies den kulturellen Charakter der Veranstaltung gefährden könnte“, teilte der Sender mit.

Bereits im Vorfeld des ESC 2025 hatte es Spannungen zwischen RTVE und der EBU gegeben. Der spanische Sender erklärte, man sei von der EBU unter Androhung hoher Geldstrafen davor gewarnt worden, während der Liveübertragungen politische Botschaften zu verbreiten. Auslöser war ein Hinweis auf die Opfer des Gaza-Konflikts, den RTVE im zweiten Halbfinale eingeblendet hatte. Trotz der Warnung zeigte der Sender unmittelbar vor Beginn des Finales erneut eine Botschaft: „Angesichts der Menschenrechte ist Schweigen keine Option. Frieden und Gerechtigkeit für Palästina.“

Belgischer Sender stellt ESC-Teilnahme infrage

Derweil stellt der belgische öffentlich-rechtliche Sender VRT wegen – aus Sicht des Senders – offener Fragen zum ESC-Zuschauervoting seine künftige ESC-Teilnahme infrage. Es brauche ernsthafte Antworten auf Bedenken bezüglich des Eurovision Song Contests, teilte der Sender mit. Nach VRT-Angaben will die für die ESC-Ausstrahlung zuständige Europäische Rundfunkunion (EBU) Gespräche mit den beteiligten Sendern führen.

Es lägen zwar keine Hinweise darauf vor, dass die Stimmenauszählung nicht korrekt durchgeführt wurde, so VRT. Weiter heißt es jedoch: „Wir fordern von der EBU volle Transparenz. Die Hauptfrage ist, ob das derzeitige Abstimmungssystem ein faires Abbild der Meinungen der Zuschauer und Zuhörer garantiert.“

Der ESC stehe zunehmend im Widerspruch zu den ursprünglichen Normen und Werten der Veranstaltung und zu den Normen und Werten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auf der Website von VRT heißt es zudem, man unterstütze die Forderung, eine Debatte über die Teilnahme Israels am ESC zu führen.

Beim Publikum lag Israel deutlich vorn. Das Land hatte die Sängerin Yuval Raphael nach Basel geschickt. Die 24-Jährige ist eine Überlebende des Massakers der islamistischen Hamas und weiterer Terrorgruppen vom 7. Oktober 2023. Wegen des Gazakriegs gab es in Basel immer wieder Proteste gegen ihre Teilnahme.

Dabei bekam Israel bei der Zuschauerabstimmung auch aus Ländern hohe Punktzahlen, in denen das Handeln von Israels Regierung eher kritisch betrachtet wird, etwa Spanien, Belgien oder Irland. Insgesamt bekam Raphael knapp 300 Punkte von den Zuschauenden aus den 37 Teilnehmerländern – so viele wie niemand sonst.

Protest auch vergangenes Jahr

Israels Teilnahme beim Eurovision-Song-Contest-Halbfinale war im vergangenen Jahr auf dem Sender VRT von einer Protestaktion begleitet worden. Am Anfang und Ende der Übertragung der Show wurde eine schwarz-weiße Texttafel eingeblendet, auf der Gewerkschaften ihren Unmut über die Politik Israels zum Ausdruck brachten. In der Einblendung wurde dem Staat Israel im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg unter anderem vorgeworfen, Menschenrechte zu verletzen und die Pressefreiheit zu zerstören.

Der Gaza-Krieg hatte im Oktober 2023 mit einem Terrorangriff der Hamas auf Israel begonnen. Etwa 1.200 Menschen wurden dabei getötet und etwa 250 entführt. In dem Krieg wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bislang mehr als 53.300 Palästinenser im Gazastreifen getötet. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten und lässt sich unabhängig kaum überprüfen.

Auf dem offiziellen EBU-Kanal für den ESC rief die israelische Sängerin Yuval Raphael vor dem Finale in einem Werbefenster Zuschauer immer wieder auf, für ihren Song zu stimmen. Diese Aufrufe liefen zum Beispiel in den Aufzeichnungen der Halbfinal-Sendungen zwischen Reklame für Burger und für Internetdienste. Seit dem Finale ist Yuval Raphael in den immer noch online stehenden Halbfinal-Sendungen nicht mehr in Werbefenstern zu sehen.

Dazu sagt die EBU auf Anfrage in einer Stellungnahme: Die ESC-Regeln verbieten es den teilnehmenden Rundfunkanstalten oder Dritten wie Plattenfirmen oder anderen nicht, ihre Beiträge online und anderswo zu bewerben. Die Werbung dürfe den Wettbewerb nicht instrumentalisieren oder gegen seine redaktionellen Richtlinien verstoßen. „Viele Delegationen setzen bezahlte Werbekampagnen ein, um den Song, das Profil und die zukünftige Karriere ihrer Künstler zu unterstützen.“ Für die Halbfinalsendungen war kein anderer Interpret mit einem Wahlaufruf in einem Werbefenster zu sehen.

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16 Kommentare

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  • Ich finde, man sollte auch Spanien vom Wettbewerb ausschließen, da es kein Rechtsstaat ist.



    Zumindest hat das ein belgisches Gericht festgestellt, als die Spanier den katalanischen Politiker ausgeliefert haben wollten.

  • Niemand habe sich empört, als Russland wegen der Invasion der Ukraine vom ESC ausgeschlossen wurde. „Dasselbe sollte auch für Israel gelten“, sagte Sánchez

    Man erkennt an dieser Argumentation, dass viele der Pro-Palästina-Aktuere für die Hamas und deren Gräuel blind sind.

    Mann kann die Ukraine nicht mit Gaza vergleichen, da diese NIE ein Massaker an den Russen angerichtet haben. Sie sind unschuldig angegriffen worden.

    Israel musste das größte Massaker seit der Shoah erleben und die Welt ist empört weil Israel seine Bürger und jeden Andersdenkenden/Gläubigen und andere Minderheiten (Homosexuelle etc.) in Palästina vor der Hamas zu schützen versucht. Auch wenn ihre Soldaten ihr eigenes Leben riskieren wie die Opferzahlen an IDF Soldaten zeigen.

    • @Pawelko:

      Ah, die Bomben sind jetzt also so weit entwickelt, dass sie queere und nicht muslimische Menschen nicht mehr treffen? Mega.

      Lassen Sie doch Ihr unreflektiertertes Pink-Washing sein.

  • Ist ja echt mal ein Skandal! Das Wahlverhalten des Publikums entspricht nicht dem Willen der Herrschenden! Das kann nicht richtig sein und muss dringend überprüft werden...

    Als wäre nicht das Faktum überprüfenswert, dass dem ungebührlich wählenden Publikum ein Korrektiv in Gestalt einer Jury an die Seite gestellt worden ist... Ohne dieses wäre Yuval Raphael ja auch noch Gewinnerin geworden. Na, da gebe es aber linke Bambule

  • Im Gegensatz zu Russland ist Israel ein mehr oder minder demokratischer Staat. Und das heißt, dass man seine Künstler nicht mit der Regierung identifizieren kann.



    Bei Russland hingegen kann man davon ausgehen, dass ein recht direkter Regierungseinfluss auf die Teilnahme besteht. Daher geht der Vergleich schon an dieser Stelle fehl.



    Allerdings zeigt diese Eskalation sehr deutlich, wohin solche Boykott-Aufrufe führen: Es wird immer mehr Ausschluss-Forderungen geben, bis sich alle einig sind, dass niemand dabei sein darf.

    Das ist nicht die Idee bei internationalen Wettbewerben. Vielmehr geht es gerade um eine gemeinsame Veranstaltung *trotz* aller Konflikte.



    Politische Botschaften der russischen Regierung haben auf dem ESC nichts zu suchen. Doch russische Künstler und Sportler sollten, solange sie keine direkte Propaganda verbreiten, in ihrem Metier überall teilnehmen können - auch wenn sie klar auf Seiten ihrer Regierung stehen. Das gilt genauso für alle anderen Staaten.

  • Die israelische Sängerin war tatsächlich die einzige, die ich schon vorher mal gehört hatte bzw. durch ihre Überlebensstory und auch die Israel-Kritik vorher (und sicher auch ihre Werbung) war sie halt schon vorher bekannt. Finde es plausibel, dass da relativ viel für sie abgestimmt wurde.



    Ich habe jetzt in meinem Bekanntenkreis das erste Mal direkt Antisemitische-Verschwörungserzählungen mitbekommen, wo darüber spekuliert wurde, ob DIE hinter dem guten Abschneiden stecken).

  • Ehrlich gesagt, fand ich die 0 Punkte für die Schweiz weniger nachvollziehbar. Und der gesungene Porno hat Punkte gekriegt, naja ...



    Aber Menschen stimmen hier eben nach Gefühl ab. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben, ob sie nun verkopfte Jury-Mitglieder oder gemeines Wahlvolk sind.



    Das Problem ist wohl weniger der ESC selbst mit seinen Teilnehmern, sondern eher die politische Weltlage. Dagegen kann man versuchen anzusingen, aber ob's was bringt ...

  • Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.

    Das russische Fernsehen ist ein gleichgeschalteter Propagandakanal, während das israelische öffentlich-rechtliche TV unabhängig ist, ähnlich wie in Deutschland. Netanjahu wollte in den 2010er Jahren das öffentliche-rechtliche TV einstellen, weil es zu kritisch über ihn berichtet hatte. Insofern ist dieser Vergleich haltlos.

    Eher sollte man überlegen, ob Aserbaidschan noch teilnehmen darf, dort ist zum einen das TV wie in Russland unter direkter Kontrolle der Regierung, zum anderen hat das Land ethnische Säuberungen in Arzach vorgenommen.

  • Israel hatte doch einen super Beitrag abgeliefert. Ich finde das Publikumsvoting in Europa für nachvollziehbar. Wie kam die Jury nur auf so schräge Punkte? Schweiz hat nur von der Jury Punkte bekommen....Österreich ist nur durch die Jury vorne. Alles sehr komisch.

  • Bei Raphael gab es eine einmalige Geschichte.



    Gab es da auch ein einmaliges Lied?

    Grand Prix/ESC ist halt ein Schlagerfestival für die, die's denn wollen.



    Nicht hochjazzen wäre auch eine Lösung.

    Der Rest in den Politikseiten. Und das Ende der Besatzung + Anerkennung beider Staaten wäre wohl ein guter erster Schritt.

  • Ich fand es eher komisch, dass der Sopranist der Wiener Staatsoper den Wettbewerb gewonnen hat. Ich beantrage daher, die Zusammensetzung der Jurys zu überprüfen.



    Die israelische Sängerin hat ihren Job ganz gut gemacht und das Lied war musikalisch sicher besser als der etwas anspruchslose deutsche Song.

    • @Aurego:

      Stimme vollkommen zu.

  • Vielleicht war das Publikum nicht neutral und hat extra für Israel abgestimmt. Aber die Jury war ebenfalls nicht neutral und hat Israel extra oftmals keine Punkte vergeben.



    Also, entweder dürfen sie beide parteiisch sein oder es zählt weder Publikum noch Jury Punkte und niemand/jeder hat gewonnen!

  • Offensichtlich hat man nichts gegen das Juryvotum - wie auch, da gabs ja die gewollten 0 Punkte (dito Belgien).



    Obwohl der israelische Beitrag rein objektiv sicher zu den besten sechs gehörte.

  • Eine ganz erstaunliche scheinheilige Debatte.



    Wenn Israel null Punkte bekommen hätte (wie andere Teilnehmer), hätte dann einer der jetzt lautstarken Sender eine Neuauszählung gefordert? Oder eine neues Auswahlsystem? Bis das Ergebnis für Israel den selbsternannten "Meinungsführern" ins Konzept passt?



    "Dabei bekam Israel bei der Zuschauerabstimmung auch aus Ländern hohe Punktzahlen, in denen das Handeln von Israels Regierung eher kritisch betrachtet wird,..." Kann es sein, dass die Meinung der Mehrheit der Zuschauer (auch in den genannten Ländern) nicht mit der veröffentlichten Meinung dort (und anderswo in Europa) übereinstimmt? Kann es sein, dass mehr Menschen Empathie mit den Israelis empfinden als manche gern glauben mögen? Kann es sein, dass sein kann, was eigentlich nicht sein darf?