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Nach Anschlag und ÜbergriffenBerliner Bilderstreit

Videoüberwachung im U-Bahn-Netz, aber kein Bild vom Terroranschlag am Breitscheidplatz: Ist das logisch? Der Berliner Senat gerät unter Druck.

So friedlich bei Nacht: Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, aufgenommen aus einem Polizeihubschrauber, vermutlich vor dem Anschlag Foto: dpa

Berlin taz | Für den Berliner Senat könnte die Nachweihnachtszeit ziemlich ungemütlich werden. Schon nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in der Berliner City vor gut einer Woche hatte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die rot-rot-grüne Koalition in Berlin aufgefordert, ihre ablehnende Haltung zu einer Ausweitung der Videoüberwachung „gründlich zu überdenken“. Nun heizt ein neuer Vorfall die Debatte um mehr Kameras an.

Am frühen Sonntagmorgen hatten sieben Jugendliche in einem Berliner U-Bahnhof versucht, einen Obdachlosen anzuzünden. Aufmerksame Passanten löschten die Zeitungen, mit denen sich der Mann wärmte, und riefen die Polizei. Diese veröffentlichte am Montag die Bilder der Videokameras vom U-Bahnhof. Noch am Montagabend stellten sich sechs der Tatverdächtigen, ein weiterer ging Zielfahndern ins Netz. Gegen sie wird wegen versuchtem Mord ermittelt.

Laut Polizeiangaben handelt es sich um Geflüchtete im Alter von 15 bis 21 Jahren, die zum Teil unbegleitet nach Deutschland kamen. Sechs von ihnen seien Syrer, einer soll gebürtiger Libyer ohne bekannte Staatsbürgerschaft sein.

Die jüngste Tat war bereits die zweite in Folge, die durch eine Fahndung mit Videobildern aufgeklärt werden konnte. In dem anderen Fall konnte ein 27-Jähriger mit Hilfe von Videobildern überführt werden, der im Oktober eine Frau ohne jede Warnung eine U-Bahn-Treppe hinunter gestoßen hatte.

Einführung würde mehrere Jahre dauern

In Berlin werden U-Bahnhöfe und -Züge – anders als öffentliche Plätze – flächendeckend überwacht. Das wollte der rot-schwarze Vorgängersenat ändern und die Videoüberwachung ausdehnen. Im Koalitionsvertrag der neuen rot-rot-grünen Regierung, der Anfang Dezember unterzeichnet wurde, ist davon aber keine Rede mehr. Statt einer Überwachung auf Plätzen wie dem Alexanderplatz im Stadtzentrum soll dort nun eine mobile Polizeiwache installiert werden.

„Die Vorstellung, dass wir mal eben Kameras an öffentlichen Plätzen installieren, und die Polizei wertet ständig Livebilder aus, ist ein Hirngespinst“, sagt Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Einführung einer Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen würde mehrere Jahre dauern.

Genau solche Argumente verärgern Innenminister de Maizière. Das Bundeskabinett habe soeben „ein Gesetz beschlossen, das die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen erleichtert und damit einen wichtigen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten wird“, sagte der CDU-Mann.

In anderen Bundesländern ist flächendeckende Videoüberwachung alltäglich. In Bayern sollen schon vor vier Jahren mehr als 17.000 Kameras an öffentlichen Plätzen installiert gewesen sein. In Leipzig stehen die Kameras nicht nur am Hauptbahnhof, sondern auch im Szeneviertel Connewitz, wo es immer mal wieder zu Krawallen kommt. In der Regel speichern die Kameras die Aufnahmen 48 Stunden lang, dann werden die Speichermedien überschrieben. In Berlin gibt es nur am Holocaustmahnmal und auf acht ausgesuchten Bahnhöfen Überwachungskameras.

In der Hauptstadt will man sich von der CDU nicht unter Druck setzen lassen. Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt sollten erst einmal die Ermittlungen zu Ende geführt werden, sagte ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Dann können wir in die politische Diskussion einsteigen. Jetzt halten wir das für verfrüht.“ Zugleich betonte der Sprecher, das Thema müsse angesichts der veränderten Lage neu bewertet werden.

In der Regel speichern die Kameras die Aufnahmen 48 Stunden lang, dann werden die Speichermedien überschrieben

Damit steht die Berliner SPD ziemlich alleine da. Denn auch aus der Bundes-SPD werden die Forderungen nach einer Ausweitung der Videoüberwachung lauter. „Ich kann dem Berliner Senat nur empfehlen, die Videoüberwachung auf alle öffentlichen Plätze auszuweiten“, sagte Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Zwar räumte Lischka ein, die Videoüberwachung sei in der Regel kein geeignetes Instrument, um Anschläge zu verhindern. Sie könne aber bei der Tataufklärung helfen. Tatsächlich fehlten bei der Fahndung nach dem Mörder vom Breitscheidplatz zunächst jegliche Fahndungsbilder.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, nannte die Haltung des rot-rot-grünen Senats „unverantwortlich“. Der Innensenat bitte die BürgerInnen um Handyvideos vom Tatabend am Breitscheidplatz, wolle aber selbst nichts überwachen. Wendt findet das „absurd“.

Kritisch gegenüber einer Ausweitung der Videoüberwachung äußerte sich Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er warnte vor „postfaktischen Debatten“ über angeblich mehr Sicherheit durch flächendeckende Videoüberwachung. Die raschen Fahndungserfolge in den beiden Berliner U-Bahn-Fällen zeige, „dass das existierende System gut funktioniert“. Er lehnte Videoüberwachung zwar nicht grundsätzlich ab, forderte aber eine „personelle und materielle Verstärkung“ der Polizei vor Ort. „Im Gegensatz zu einer Kamera, die ein Ereignis nur aufzeichnet, kann ein Polizeibeamter konkret helfen“, sagt von Notz.

Ähnlich argumentiert Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Sie sagte: „Das gebetsmühlenartige Wiederholen des Mantras, wonach mehr Videoüberwachung zu mehr Sicherheit beitrage, ändert nichts daran, dass sich die Bundesregierung dabei auf keinerlei seriöse wissenschaftliche Grundlagen stützen kann.“ Auf eine aktuelle kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte die Bundesregierung, dass zumindest geplante terroristische Anschläge nicht durch Videoüberwachung vereitelt worden seien.

Ich kann nur empfehlen, Videoüberwachung auszuweiten

Burkhard Lischka (SPD)

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) indes ziehen eine positive Bilanz der Videoüberwachung in Bahnen und Bahnhöfen. Die Zahl der Gewalttaten in Bahnen und Bussen sei von 880 im Jahr 2011 auf 484 in 2015 zurück gegangen, sagte BVG-Sprecherin Petra Reetz. „Es spricht sich herum, dass die Bahnhöfe videoüberwacht sind.“

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19 Kommentare

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  • Mit einer Videokamera, deren Material alle 48 Stunden überschrieben wird, hätte ich keine Probleme, wenn das unabhängig überprüft würde. Wovor es mir graust sind die Möglichkeiten, wie sie z.B. in GB genutzt werden: Gesichtskennung und sekundenschnelles Feststellen des Aufenthaltsortes von Personen, wenn sie sich im Scanbereich einer Kamera befinden. Das ist für mich wirlich gruselig!

  • Wichtiger als die Videoüberwachung wäre mir der Rücktritt Merkels.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Nikolai Nikitin:

      Schreiben Sie doch immer gleich dazu, dass Ihre Alternative Wagenknecht heißt.

      Dann wissen wir Mitforisten, woran wir bei Ihnen sind.

      :-/

      • @571 (Profil gelöscht):

        Dafür muss man sich doch wohl nicht schämen ?

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Nikolai Nikitin:

          Nö, warum auch?

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Nikolai Nikitin:

      und dann?

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Es gibt Situationen, in denen die Aussage stimmt: "Es kann nur besser werden". Ich emfinde die jetzige Lage in Deutschland seit geraumer Zeit exakt so.

        • @Urmel:

          So ? Wie ?

  • Die reflexartige Ablehnung von Videoüberwachung durch Linke und Grüne führt nur zum erstarken der AfD. Gerade die letzten Tage haben gezeigt, wie wichtig Videoüberwachung für schnelle Erfolge bei der Ermittlung von Tätern ist. Der Freiburger Mörder und Vergewaltiger wäre ohne Videos aus der Straßenbahn vermutlich nie ermittelt worden. Dasselbe gilt für die Gruppe, die die U-Bahn-Treppe hinuntergestoßen wurde sowie den Obdachlosen, der angezündet wurde.

     

    Wer behauptet, dass Polizisten denselben Job tun könnten, übersieht, dass es dazu natürlich sehr viel mehr Polizisten bräuchte und dass auch Polizisten als Zeugen weniger zuverlässig sind als Videokameras.

     

    Mir hat auch noch keiner erklären können, warum private Videos, die anschließend auf Youtube veröffentlicht werden, besser sind als von der Polizei betriebene Kameras, die nur nach einem Verbrechen ausgewertet werden.

    • @Thiemo4:

      Mit derselben Argumentation könnte man auch gleich DNA-Proben von jedem Bürger, jeder Bürgerin nehmen und zentral speichern, am besten gleich nach der Geburt.

      Es gibt Grenzen für serielle Überwachung, das sollte auch Ihnen klar sein. Ich empfehle die Lektüre einschlägiger Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Auch dass es einen Unterschied ausmacht, ob Videos von Personen staatlich aufgenommen werden oder privat, ist selbstverständlich, das hat nichts mit "besser" zu tun, sondern mit "anders".

  • Da findet weniger Kriminalität statt und woanders dafür mehr. Altbekannt. Mehr Sicherheit kann letztlich nur eine erhöhte Polizeipräsenz bringen.

  • 3G
    36119 (Profil gelöscht)

    Als jemand, der schon seit 25 Jahren in Berlin lebt, fehlt mir jedwede Fantasie, inwiefern eine Videoüberwachung beispielsweise auf dem Breitscheidtplatz mich oder meine Kinder beeinträchtigen könnte. Vor wem wollen wir uns eigentlich schützen? Vor der Polizei oder den Verbrechern? Neben Merkel'scher Grenzöffnung für jederman wird die Sache mit der Videoüberwachung mein Wahlverhalten erheblich beeinflussen. Ich werde von den etablierten Parteien geradezu gezwungen, die AfD zu wählen, obwohl ich mit dieser sonst nichts gemeinsam habe.

    • @36119 (Profil gelöscht):

      Wie genau sich der Anschlag auf dem Breitscheidtplatz durch Kameraüberwachung hätte verhindern lassen, würde mich dann doch mal interessieren. Es wurden in Frankreich auch Anschläge trotz präventiv Maßnahmen wie VDS durchgeführt. Hier sind politische Lösungen gefragt, nicht pauschale Überwachung die ohnehin keiner leisten kann.

    • @36119 (Profil gelöscht):

      Die Grenzöffnung hat uns nicht daran gehindert, rechtzeitig genau Bescheid zu wissen, wer diesen Anschlag plant.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @36119 (Profil gelöscht):

      ...wünsche viel Spaß mit der AfD ; )

      • 3G
        36119 (Profil gelöscht)
        @81331 (Profil gelöscht):

        Der AfD kann man einiges vorwerfen, jedoch nicht die Toten auf dem Breitscheidtplatz. Deren Mörder haben nämlich andere ins Land gelassen und anschliessend frei rumlaufen und morden lassen. Es gibt so etwas wie einen Verursacherprinzip, und dieses tragen eindeutig die etablierten Parteien.

        • @36119 (Profil gelöscht):

          So ein Unsinn, als ob je eine Bundesregierung wirklich hätte steuern können, wer in unser Land kommt und wer nicht. Seit der Umsetzung von Schengen ist das einfach nicht mehr das Ziel und darum geht es auch definitiv nicht. Die letzte wirklich dichte Grenze Deutschlands wurde 1989/90 eingerissen, alle anderen waren schon damals so löchrig wie ein Schweizer Käse. Die Terrorgefahr aber, besteht vollkommen unabhängig vom Flüchtlingsproblem. Nur der IS und die rechten Demagogen von AfD und CSU versuchen aus naheliegenden Gründen beides miteinander zu verbinden, die Flüchtlinge sind hingegen doch genau vor diesem oder ähnlichem Terror geflohen.

    • 8G
      89318 (Profil gelöscht)
      @36119 (Profil gelöscht):

      Verzeihung, aber sie werden nicht "gezwungen" die AfD zu wählen. Sie können ja auch einfach am Wahltag Zuhause bleiben, wie ich es vermutlich machen werde. Ich jedenfalls schaff' es grad einfach nicht mehr links zu wählen. Soziale Gerechtigkeit ist alles nichts, ohne Grundbedürfnisse wie sicheres (Über)Leben. Menschen brauchen einen Rahmen um zu "gedeihen" und sich geborgen zu fühlen. Die Konservativen haben da gerade einfach die besseren und realeren Antworten.

  • Wie die Bahn ihre Anlagen, oder die Sparkasse ihre Kassenräume überwacht, ist eine Sache, die flächendeckende Überwachung von öffentlichen Plätzen und Straßenzügen ist eine andere. Wer sowas gebetsmühlenartig bei jedem Anlaß fordert, dem geht es nicht wirklich um mehr Sicherheit der Bürger, der möchte nur mehr Bürger in einer falschen Sicherheit wiegen.