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Nach Anschlag auf WeihnachtsmarktAngespannte Lage in Magdeburg

Migrantenorganisationen berichten: Nach Magdeburger Anschlag mehrten sich rassistische Übergriffe. Die vergiftete Stimmung bedrohe das Zusammenleben.

Seit dem Anschlag in Magdeburg gibt es vermehrt rassistische Übergriffe. Die Jonniskirche soll erst mal Gedenkort bleiben Foto: Christian Schroedter/imago

leipzig taz | „Die Lage ist weiterhin sehr angespannt“, berichtet Mamad Mohamad am Dienstag über den Alltag in Magdeburg. Er ist Geschäftsführer des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (Lamsa) und höre von dessen Mitgliedern in der Landeshauptstadt überall Ähnliches: rassistische Ausgrenzungen, Anfeindungen, offen zur Schau gestellte rechte Gesinnung. All das habe zugenommen seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am 20. Dezember. Mohamad klingt frustriert: „Es ist bitter und schmerzhaft zu erleben, dass Menschen sich in ihrer eigenen Stadt nicht mehr sicher fühlen.“

Beim Anschlag fuhr ein 50-jähriger Mann mit einem SUV durch die Menge auf dem Weihnachtsmarkt, tötete sechs Menschen und verletzte etwa 300 weitere. In der Folge thematisierten viele Po­li­ti­ke­r:in­nen vor allem die Herkunft des Täters. Der kam 1974 in Saudi-Arabien zur Welt, arbeitete ab März 2006 zunächst als Gastarzt in Deutschland und wurde zehn Jahre später als politischer Flüchtling anerkannt. Die CDU nannte den Fall Magdeburg etwa in ihrem Entschließungsantrag für erschwerte Migration, den sie mit den Stimmen der AfD-Fraktion Ende Januar im Bundestag durchbrachte. Parallel dazu häuften sich in Magdeburg rassistische Angriffe: In Türen geritzte Hakenkreuze, Beleidigungen, Pöbeleien, Schläge.

Mamad Mohamad berichtet: „Bis Ende Januar gab es jeden Tag einen Fall“, danach seien die körperlichen Übergriffe abgeebbt. Insgesamt wisse das Lamsa von 35 Vorfällen, der letzte davon ereignete sich Ende Februar. Doch Mohamad gehe von einer hohen Dunkelziffer aus. Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt hatte zwar dazu aufgerufen, alles zur Anzeige zu bringen. Aber laut Mohamad scheuten sich Betroffene, „aus Angst vor weiteren Repressalien oder mangelndem Vertrauen in die Behörden, Vorfälle anzuzeigen“. Und verbale Anfeindungen gebe es weiterhin.

„Ausufernder Rassismus“

Fast drei Monate nach dem Anschlag haben am Dienstag mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen bei einer Pressekonferenz zu mehr Zusammenhalt aufgerufen. Es gelte, Menschenfeindlichkeit und Gewalt gemeinsam zu bekämpfen.

Unter ihnen war auch die Landesleiterin des DGB in Sachsen-Anhalt, Susanne Wiedemeyer. Sie forderte von Politik und Gesellschaft, sich gegen „den ausufernden Rassismus“ zu stellen. „Wir nehmen nicht hin, dass Menschen mit Migrationserfahrung – darunter viele Kolleginnen und Kollegen – unter Generalverdacht gestellt, bedroht und angegriffen werden.“

Saeed Saeed, Mitglied im Syrisch-Deutschen Kulturverein und im Magdeburger Beirat für Integration, wurde selbst kurz nach dem Anschlag in einer Straßenbahn attackiert, wie die taz berichtete. Am Dienstag sagte er: „Magdeburg und Sachsen-Anhalt sind für viele zur neuen Heimat geworden, ein Ort, an dem sie Wurzeln geschlagen und Neues aufgebaut haben.“ Doch die vergiftete Stimmung bedrohe das Zusammenleben.

Zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt selbst haben die Mitglieder des Landtags Sachsen-Anhalt einen Untersuchungsausschuss gebildet. Dieser soll bis Jahresende 20 Mal tagen und dabei bis zu 150 Zeugen hören. Zur nächsten Sitzung am 24. März plant der Ausschuss, sich den Tatort in Magdeburg anzuschauen.

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4 Kommentare

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  • "Doch die vergiftete Stimmung bedrohe das Zusammenleben."

    Angesichts der unzähligen Tötungen von Menschen hier im Land seit 2015 durch Migranten, sei es aus religiösen, Psycho- oder Machogründen, empfinden das auch die Deutschen.

    Wieviele Migranten wurden denn seit 2015 im Vergleich dazu von Deutschen getötet?

  • "Doch die vergiftete Stimmung bedrohe das Zusammenleben."



    Ob es mit der AFD zusammen hängt? Immerhin haben über 30% diese Partei gewählt.

  • "„Es ist bitter und schmerzhaft zu erleben, dass Menschen sich in ihrer eigenen Stadt nicht mehr sicher fühlen.“"

    Das kann ich gut nachvollziehen. Ich kenne viele Menschen, mich eingeschlossen, denen es ebenso geht. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich das Verhalten der Menschen ändert und Freundlichkeit, Höflichkeit und Respekt sich als Werte etablieren. Außerdem können vielleicht auch ein paar sozialpolitische Korrekturen vorgenommen werden. Ich halte die Hoffnung auf ein besseres Zusammenleben von uns allen nicht für naiv oder ausgeschlossen.

    • @*Sabine*:

      Das geht nicht nur Ihnen so, liebe Sabine. Auch ich als Schwuler fühle mich in zahlreichen Stadtteilen Berlins nicht mehr sicher. Und Gott sei Dank - so weit ist es schon gekommen - sehe ich nicht schwul aus. Freunde von mir meiden aus schwuler Sichtbarkeit weiträumig Gebiete wie Neukölln, Moabit etc. Keine Ahnung, wie das weitergehen soll......