Nach 18 Jahren US-Krieg in Afghanistan: Lügen, verlieren, weiterlügen
Dokumente und Interviews belegen: US-Politik und Militär wussten, dass der Afghanistankrieg nicht zu gewinnen ist – und bejubelten stets „Erfolge“.
Das geht aus umfangreichen Dokumenten hervor, die die Washington Post nach langem Rechtsstreit aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes (Freedom of Information Act) einsehen konnte und jetzt veröffentlicht hat.
Kernstück sind zur internen Auswertung ab 2014 geführte Interviews mit verantwortlichen Militärs, Diplomat*innen und Entwicklungspolitiker*innen, deren Abschriften der Post nunmehr vorliegen, wenn auch zum großen Teil anonymisiert.
Grundtenor der Analysen: Die USA sind 2001 reflexhaft in Afghanistan einmarschiert, eigentlich um al-Qaida zu treffen, die mutmaßlichen Verantwortlichen der Anschläge in New York und Washington am 11. September. Die Taliban, die al-Qaida Unterschlupf gewährt hatten und sich weigerten, deren damaligen Chef Osama bin Laden zu übergeben, wurden eher nebenbei zum direkten Kriegsgegner. Eine Strategie, wie sie in Gespräche über ein zukünftiges Afghanistan einzubinden seien, gab es nicht. Und zu keinem Zeitpunkt verstanden die US-Entscheidungsträger*innen wirklich, wie die afghanische Gesellschaft konstituiert ist.
Immer mehr Ziele, aber keine Strategie
Bush, Obama und Trump versicherten öffentlich, in Afghanistan kein „nation building“ betreiben zu wollen, gaben aber genau dafür Rekordsummen aus: Insgesamt 133 Milliarden US-Dollar, mehr als der gesamte Marshallplan für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg gekostet hat, haben die US-Regierungen in Afghanistan für Wiederaufbau, Hilfsprogramme und die afghanischen Sicherheitskräfte investiert – ohne damit jedoch nennenswerte Erfolge zu erzielen. Der Versuch, so geht es aus zahlreichen der veröffentlichten Interviews hervor, in Afghanistan eine demokratische Zentralregierung nach westlichem Vorbild aufzubauen, ist grandios gescheitert.
Und: Auf der Suche nach dem Sinn des einmal begonnenen Krieges wurden immer mehr Ziele formuliert: Kampf gegen den Terror, Demokratieaufbau, Durchsetzung von Frauenrechten, Kampf gegen die Drogen … Und entsprechend viele US-Institutionen mit zum Teil vollkommen widersprüchlichen Zielstellungen beteiligten sich. Die einen sprachen von Demokratie, Menschen- und Frauenrechten, während die anderen die direkte Zusammenarbeit mit afghanischen Warlords organisierten, die für das Gegenteil standen.
Immer mehr fanden die USA sich in der Rolle, mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai eine Regierung stützen zu müssen, die immer offenkundiger genauso korrupt wie unfähig war. Und während die USA und die anderen involvierten Nato-Mitgliedstaaten beständig der Öffentlichkeit über „Fortschritte“ an der Kriegsfront und bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte berichteten, zeigen die Interviews, wie beständig Statistiken gefälscht und Wahrheiten verschwiegen wurden, die genau solche Fortschrittsberichte ad absurdum geführt hätten.
George W. Bush und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die den Krieg begonnen hatten, zogen schon im Folgejahr gedanklich weiter zum Einmarsch in den Irak 2003 und interessierten sich nicht mehr weiter für das, was in Afghanistan geschah.
Obama verkündete bei seinem Amtsantritt eine Neufokussierung, erhöhte Truppenstärke und Hilfszusagen massiv, konnte aber abgesehen vom Propagandaerfolg, Osama bin Laden aufgespürt und getötet zu haben, auch keine Erfolge vorweisen.
Eine Exitstrategie haben die USA bis heute nicht, Gespräche mit den Taliban laufen zwar wieder, aber mit unklarem Ausgang. Die Afghan Papers der Washington Post sind ein Dokument kopfloser Kriegführung – mit Zehntausenden von Toten.
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