Anschlag in Kabul: Frustrierte Islamisten
Den Taliban gehen die Friedensgespräche mit den USA nicht schnell genug. Das Selbstmordattentat in Kabul könnte eine Warnung sein.
Außer sich selbst tötete der Attentäter vier Kadetten, einen Dozenten der Akademie und zwei Zivilisten und verletzte weitere 20 Menschen, darunter 13 Armeeangehörige und 7 Zivilisten. Dazu gehören offenbar Personal und Kunden von Teeständen, die sich gegenüber der Akademie aufhielten. Nach Angaben des Innenministeriums in Kabul konnte außerdem eine Autobombe entschärft werden.
Seit der afghanischen Präsidentenwahl am 28. September hatte es in Kabul nur einen größeren Anschlag gegeben. Am 13. November wurden 12 Menschen, darunter 3 Kinder, umgebracht und 20 verletzt, als ein mit Sprengstoff gefülltes Auto ein Fahrzeug einer kanadischen Sicherheitsfirma rammte. Bis Mitte September registrierte die UNO 11 schwere Anschläge mit mindestens 203 Toten sowie insgesamt 1.431 zivilen Opfern für die Provinz Kabul, fast 20 Prozent der landesweiten Gesamtzahl.
Der Anschlag kommt zu einem kritischen Zeitpunkt und lenkt den Verdacht auf die Taliban. In den letzten Tagen hatten die Taliban in Medien des ihnen gewogenen Nachbarlandes Pakistan lanciert, dass „Hardliner“ in ihren Reihen darauf drängten, die seit Oktober 2018 laufenden Gespräche zwischen den USA im Golfstaat Katar über einen Truppenabzug und Anti-Terrorismus-Garantien abzubrechen.
Schleppende Verhandlungen für Feuerpause
Die Gespräche stocken seit einigen Wochen, obwohl ein Abkommen unterschriftsreif vorliegen soll. Washington verlangt, dass die Taliban vor der Unterzeichnung eine zehntägige Feuerpause einhalten sollen; die Aufständischen sagen nur eine – schwer überprüfbare – „Reduzierung der Gewalt“ zu. Sie befürchten, bei einer offiziellen Waffenruhe könnten ihnen Kämpfer weglaufen.
Auch das Anschlagsziel, eine Gruppe afghanischer Militärangehöriger, scheint mit Bedacht ausgewählt. Die anvisierte Feuerpause würde vor allem die gegenseitige Attacken der Taliban und des US-Militärs aufeinander beenden, aber die afghanischen Streitkräfte außen vor lassen – mit Ausnahme, wo sie Basen gemeinsam mit den Amerikanern nutzen. Die Taliban wollen mit der afghanischen Regierung erst über einen Waffenstillstand reden, wenn das Abkommen mit den USA besiegelt ist.
Ein erfahrener afghanischer Sicherheitsanalyst, der um Anonymität bat, sagte der taz, er halte den gestrigen Anschlag für einen „Ausdruck der Frustration der Taliban mit den sich hinziehenden Gesprächen und gleichzeitig als Signal neuen Drucks auf die USA, das Abkommen zu unterschreiben, bevor sie ihre Frühjahrsoffensive starten“. Die könnte die Gespräche ganz beenden, wenn dabei US-Amerikaner ums Leben kämen. US-Präsident Donald Trump hatte nach einem solchen Vorfall im September das Abkommen schon einmal gestoppt.
Die zuletzt relative Ruhe in Kabul werteten hiesige Beobachter als Zeichen der Taliban an die USA, dass sie eine Feuerpause einhalten können, selbst wenn sie nicht offiziell erklärt wird. Im Ergebnis sank laut Jahresbericht der Afghanischen Unabhängigen Menschenrechtskommission, der vor einer Woche veröffentlicht wurde, die Gesamtzahl der zivilen Opfer 2019 um 7 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 2014.
Doch während es zuletzt in Kabul und anderen Großstädten Afghanistans relativ ruhig geblieben war, hielten die Kämpfe in den Landgebieten und Mordanschläge auf Regierungsvertreter an. Der Afghanistan-Sonderinspektor der US-Regierung verzeichnete in seinem Jahresbericht einen Gewaltanstieg von 6 Prozent von 2018 auf 2019.
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