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Nach 18 Jahren US-Krieg in AfghanistanLügen, verlieren, weiterlügen

Dokumente und Interviews belegen: US-Politik und Militär wussten, dass der Afghanistankrieg nicht zu gewinnen ist – und bejubelten stets „Erfolge“.

Das US-Präsidentenpaar George W. und Laura Bush mit Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai 2007 Foto: reuters

Berlin taz | Seit inzwischen über 18 Jahren kämpfen US-Truppen in Afghanistan. Es ist der längste Krieg der US-Geschichte. Drei US-Präsidenten – George W. Bush, Barack Obama und schließlich Donald Trump – standen dem US-Militär in dieser Zeit als Oberbefehlshaber vor. Was alle drei eint: Sie haben die Öffentlichkeit andauernd über den Krieg belogen, und zu keinem Zeitpunkt verfügten die USA auch nur über eine einigermaßen kohärente Strategie, was sie mit diesem Krieg eigentlich erreichen wollen.

Das geht aus umfangreichen Dokumenten hervor, die die Washington Post nach langem Rechtsstreit aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes (Freedom of Information Act) einsehen konnte und jetzt veröffentlicht hat.

Kernstück sind zur internen Auswertung ab 2014 geführte Interviews mit verantwortlichen Militärs, Diplomat*innen und Entwicklungspolitiker*innen, deren Abschriften der Post nunmehr vorliegen, wenn auch zum großen Teil anonymisiert.

Grundtenor der Analysen: Die USA sind 2001 reflexhaft in Afghanistan einmarschiert, eigentlich um al-Qaida zu treffen, die mutmaßlichen Verantwortlichen der Anschläge in New York und Washington am 11. September. Die Taliban, die al-Qaida Unterschlupf gewährt hatten und sich weigerten, deren damaligen Chef Osama bin Laden zu übergeben, wurden eher nebenbei zum direkten Kriegsgegner. Eine Strategie, wie sie in Gespräche über ein zukünftiges Afghanistan einzubinden seien, gab es nicht. Und zu keinem Zeitpunkt verstanden die US-Entscheidungsträger*innen wirklich, wie die afghanische Gesellschaft konstituiert ist.

Immer mehr Ziele, aber keine Strategie

Bush, Obama und Trump versicherten öffentlich, in Afghanistan kein „nation building“ betreiben zu wollen, gaben aber genau dafür Rekordsummen aus: Insgesamt 133 Milliarden US-Dollar, mehr als der gesamte Marshallplan für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg gekostet hat, haben die US-Regierungen in Afghanistan für Wiederaufbau, Hilfsprogramme und die afghanischen Sicherheitskräfte investiert – ohne damit jedoch nennenswerte Erfolge zu erzielen. Der Versuch, so geht es aus zahlreichen der veröffentlichten Interviews hervor, in Afghanistan eine demokratische Zentralregierung nach westlichem Vorbild aufzubauen, ist grandios gescheitert.

Und: Auf der Suche nach dem Sinn des einmal begonnenen Krieges wurden immer mehr Ziele formuliert: Kampf gegen den Terror, Demokratieaufbau, Durchsetzung von Frauenrechten, Kampf gegen die Drogen … Und entsprechend viele US-Institutionen mit zum Teil vollkommen widersprüchlichen Zielstellungen beteiligten sich. Die einen sprachen von Demokratie, Menschen- und Frauenrechten, während die anderen die direkte Zusammenarbeit mit afghanischen Warlords organisierten, die für das Gegenteil standen.

Immer mehr fanden die USA sich in der Rolle, mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai eine Regierung stützen zu müssen, die immer offenkundiger genauso korrupt wie unfähig war. Und während die USA und die anderen involvierten Nato-Mitgliedstaaten beständig der Öffentlichkeit über „Fortschritte“ an der Kriegsfront und bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte berichteten, zeigen die Interviews, wie beständig Statistiken gefälscht und Wahrheiten verschwiegen wurden, die genau solche Fortschrittsberichte ad absurdum geführt hätten.

George W. Bush und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die den Krieg begonnen hatten, zogen schon im Folgejahr gedanklich weiter zum Einmarsch in den Irak 2003 und interessierten sich nicht mehr weiter für das, was in Afghanistan geschah.

Obama verkündete bei seinem Amtsantritt eine Neufokussierung, erhöhte Truppenstärke und Hilfszusagen massiv, konnte aber abgesehen vom Propagandaerfolg, Osama bin Laden aufgespürt und getötet zu haben, auch keine Erfolge vorweisen.

Eine Exitstrategie haben die USA bis heute nicht, Gespräche mit den Taliban laufen zwar wieder, aber mit unklarem Ausgang. Die Afghan Papers der Washington Post sind ein Dokument kopfloser Kriegführung – mit Zehntausenden von Toten.

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Da ja auch unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird, stellt sich die Frage, ob Merkel von 2005 bis heute den Lügen der amerikanischen Regierungen auf den Leim gegangen ist oder ob sie genauso dreist gelogen hat. ("Ein Teil dieser Antwort würde die Bevölkerung verunsichern")

  • Und was sagen die deutschen Kriegstrommler*innen dazu? Ich kann mich noch gut an empörende Talkshow-Auftritte im Fernsehen und Deutschlandfunk erinnern, in denen z.B. Frau Müller, damals grüne Staatssekretärin im Außenministerium genau diesen Blödsinn gequatscht hat. Sie ist natürlich nicht die einzige, aber sie ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil sie pausenlos ihren Gesprächspartner*innen Ahnungslosigkeit glaubte vorwerfen zu müssen: "Man muss Afghanistan differenziert sehen: Norden, Süden, Osten, Westen" - und damit erschöpfte sich dann die Differenzierungsfähigkeit.

  • Waffenlobby ist halt Waffenlobby!

  • "Arcana imperii“ oder Im Westen nichts Neues

    Das erinnert an Hannah Arendt „Lying in Politics“: „Geheimhaltung nämlich und Täuschung - was die Diplomaten Diskretion oder auch „arcana imperii“, die Staatsgeheimnisse, nennen -, gezielte Irreführungen und blanke Lügen als legitime Mittel zur Erreichung politischer Zwecke, kennen wir seit den Anfängen der überlieferten Geschichte. Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik.“ („The New York Review Of Books“, 18. 11. 1971) In ihrem berühmten Essay analysierte Hannah Arendt die geheimen „Pentagon-Papers“, die den gigantischen Schwindel der US-amerikanischen Vietnam-Politik offenlegten. Die gefühlte Glaubwürdigkeitslücke (credibility gap) habe sich durch die Enthüllungen Daniel Ellsbergs, des Vaters aller Whistleblowers, „plötzlich in einen Abgrund verwandelt“. Die gesamte „Infrastruktur der amerikanischen Außen- und Innenpolitik“ beruhe auf einem „Flugsand unwahrer Behauptungen aller Art, von Täuschungen und Selbsttäuschungen“.

    Nichts Neues also vom Potomac.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Flugsand - die frühere Version dessen, was Sir nun "fake news" nennen.