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NSU-Prozess in MünchenVorwürfe gegen Verfassungsschutz

Zwei Kripo-Beamte sagen als Zeugen im NSU-Prozess aus: Der Verfassungsschutz behinderte die Ermittlungeneines NSU-Mordes in Kassel.

NSU-Prozess: massive Vorwürfe gegen Geheimdienstler. Bild: dpa

MÜNCHEN dpa | Mit schweren Vorwürfen gegen den hessischen Verfassungsschutz ist am Mittwoch der Münchner NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mitangeklagte mutmaßliche Unterstützer in die Sommerpause gegangen. Als Zeugen waren zwei Kripo-Ermittler geladen, die den Mord an dem Besitzer eines Internet-Cafés im April 2006 in Kassel untersuchten. Einer der Anwälte der Opfer-Familie, Thomas Bliwier, warf anschließend dem hessischen Verfassungsschutz vor, er habe die Ermittlungen der Kripo „massiv behindert“.

Die Tat in Kassel ist die letzte einer Serie von neun Morden, bei denen Gewerbetreibende mit türkischen oder griechischen Wurzeln getötet wurden. Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt, dass die Verbrechen auf das Konto des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ gehen. Der Kasseler Mord gilt als besonders brisant, weil sich laut Anklage zur Tatzeit ein Beamter des hessischen Verfassungsschutzamtes in dem Internet-Café aufhielt. Gegen diesen Beamten war kurz nach der Tat wegen Mordverdachts ermittelt worden, allerdings ergebnislos.

Anwalt Bliwier sagte, nach der Aussage der beiden Kripo-Ermittler sei jetzt aber „bewiesen“, dass der verdächtigte Verfassungsschützer Insiderwissen zur Tatwaffe besessen habe. Eine der beiden Waffen war auch in Kassel die Pistole vom Typ „Ceska“, die bereits bei den acht vorangegangen Morden der Serie verwendet worden war. Der Verfassungsschützer hatte bei einem früheren Termin im Gericht geltend gemacht, von dem Mord nichts mitbekommen zu haben. Anwalt Bliwier hält diese Aussage jetzt für widerlegt. Der Beamte sei „als Täter verstrickt“ oder habe „als Augenzeuge Wahrnehmungen gemacht, die er nicht kundtut“.

Die beiden Kripo-Ermittler berichteten vor Gericht, dass der Verfassungsschutz ihnen nur Einblick in ausgewählte Akten erlaubte und die Vernehmung von Zeugen verweigerte. Bei den Zeugen handelt es sich um V-Leute, die der fragliche Beamte führte. Stattdessen hätten leitende Verfassungsschutzbeamte vorgeschlagen, die Kripo-Ermittler dürften mit falscher Identität und getarnt als Verfassungsschützer an Gesprächen mit den V-Leuten teilnehmen. Das hätten sie nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft abgelehnt, sagte einer der beiden Polizisten. „Wir können ja keine Zeugen täuschen.“

Zum Ende der Verhandlung führte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl zahlreiche Dokumente im „Selbstleseverfahren“ in den Prozess ein. Sie gelten damit als Beweismittel, ohne wie sonst üblich laut verlesen zu werden. Darunter ist der Roman „Turner Diaries“, den ein amerikanischer Neonazi verfasste und der unter militanten Rechtsextremisten als strategische Anleitung für einen „Rassenkrieg“ gilt.

Die Bundesanwaltschaft wirft dem NSU insgesamt zehn Morde vor, neben der fremdenfeindlichen Serie außerdem den Mord an einer Polizistin im April 2007 in Heilbronn. Außerdem soll die Gruppe für zwei Sprengstoffattentate mit zahlreichen Verletzten und mehrere Banküberfälle verantwortlich sein. Um diese Taten wird es nach der Sommerpause gehen. Der Prozess wird am 4. September fortgesetzt.

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5 Kommentare

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  • Wer nicht fragt bleibt dumm, und deswegen sollte man sich im Untersuchungsausschuss endlich einmal die Frage vorlegen, ob Halit Yozgat einer der 5 islamischen V-Leute von Andreas Temme war, und das der Grund ist, warum die Ermittler die V-Leute nicht vernehmen durften.

     

    Auch das 2 Jahre zuvor schon ein Verwandter der Familie Yozgat wegen Drogengeschäften in Kassel mit einem Messer ermordet wurde, sollte erörtert werden.

     

    Möglicherweise findet man nämlich in Kassel auch heute noch das Fell von dem Wolf, welchen sich Beate Zschäpe bei ihrer Flucht gelaufen hat und man kann ihr auch diesen Mord noch anhängen.

  • Ich denke, dass der 'Verfassungsschutz' (pffft) viel tiefer verwickelt und beteiligt ist als man im Moment ahnt, aber der einzige Mensch, der da richtig viel zu erzählen könnte, der hat keine Lust, plötzlich an einer 'unerkannten Diabetes' o.ä. zu versterben: Frau Zschäpe

     

    Sie hat ihre Lektion begriffen, wird vermutlich ein paar Jahre im Bau verschwinden und dann wird dank 'Nachhilfe' eine vorzeitige Entlassung erwirkt werden ...

     

    Danke den beiden Kripobeamten für ihren Mut, den Mund aufzumachen!

     

    Für mich läuft das Ganze nicht unter 'rechter Terror' sondern unter 'Staatsterror' - und alle Beteiligten bis hoch zur Bundesanwaltschaft wissen (oder ahnen zumindest ebenso wieich), was hier abläuft, aber alle Mauern fleissig mit, und dem Wahlvieh wird fleissig dummes Zeug in die Birne gestreut.

  • Es fällt immer schwerer zu glauben, dass die Anwesenheit des Verfassungsschützers Andreas T. beim Mord in Kassel reiner Zufall war.

  • Was ist die "Kasseler Problematik"? - Am 29. Mai 2006 führte der Vorgesetzte von Andreas T. ein Gespräch mit diesem, das die Polizei mitschnitt:

    "Verfassungsschützer F. schärft seinem Schützling Andreas T. ein, dass er zu der Situation und dem Verlauf der Ermittlungen der Polizei gegen T. nichts sagen dürfe. Dann sagt er noch, dass es nicht um ihn oder “um alle” gehe. Es gehe um die “Kasseler Problematik” und in dieser Problematik “sitzt du ja ein bisschen drin, ne?”, so F."

    http://hajofunke.wordpress.com/2014/01/29/welt-geheimdienst-verschleierte-kasseler-problematik/

    Was ist damit gemeint? Wer kann Hinweise dazu geben?

  • Das Verfahren ist eine reine Farce!