Muslime in Deutschland: Imame made in Germany
In Osnabrück hat das Islamkolleg geöffnet. Es bildet Imame für die deutschen Moscheen aus. Zurzeit noch kommen sie meist aus dem Ausland.
„Erstmals gibt es in Deutschland eine praktische Ausbildung für Imame in Kooperation mit islamisch-theologischen Instituten, die nahe an den Gemeinden vor Ort und unabhängig von den Herkunftsländern ist“, sagt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat.
Das sei ein großartiges Signal für alle Muslime in Deutschland. Und für die Muslime, die das Projekt mittrügen, sei es ein ganz besonderer Tag, weil sie seit zehn Jahren darauf hingearbeitet hätten.
In einem Bundestagsantrag für solch eine Ausbildungseinrichtung wiesen die Grünen 2018 darauf hin, dass ein Großteil der 1.700 bis 2.500 Imame in deutschen Gemeinden im Ausland ausgebildet wurde. Allein in den Jahren 2015 und 2016 seien 495 Visa für Imame aus der Türkei ausgestellt worden – Seelsorger, die oft wieder in die Türkei zurück gingen, sobald sie sich einigermaßen eingelebt hätten.
Seelsorger für die Bundeswehr
Das Kolleg in Osnabrück könne hingegen Imame hervorbringen, die mit den Lebenswirklichkeiten der hier lebenden Muslimen tatsächlich vertraut seien, wie Polat sagt. So könnten sie ihre Rolle als Seelsorger und religiöse Instanz sehr gut ausfüllen. „Das Kolleg hat damit auch Modellcharakter für die Ausbildung von Imam*innen in ganz Europa“, findet Polat.
Wer sich am Islamkolleg als Imam oder speziell als Seelsorger etwa für die Bundeswehr, Krankenhäuser oder Gefängnisse ausbilden lassen will, kann, muss aber nicht vorher islamische Theologie studiert haben, was in Deutschland unter anderem in Osnabrück möglich ist. Alternativ müssen Bewerber nachweisen, dass sie in einer Moscheegemeinde tätig waren.
Die Ausbildung im Kolleg findet in deutscher Sprache statt. Theoretikern liefert sie sozusagen das praktische Rüstzeug und Praktikern den theoretischen Hintergrund. Esnaf Begić, der Vorstandsvorsitzende des Kollegs, vergleicht das mit der Praxis der Kirchen: „Ein Uni-Studium befähigt noch lange nicht dazu, dass man als Pastor tätig sein kann.“ Und einen Leichnam etwa nach islamischen Vorschriften zu waschen, lerne man nicht im Studium.
Ditib ist nicht dabei
Demgegenüber kennen sich die Leute, die aus den Gemeinden kommen, schon einigermaßen in den religiösen Alltagsfragen, im rituellen Gebet oder der Koranrezitation aus. Für sie könnten die Module zur politischen Bildung, Familienpädagogik oder sozialen Arbeit besonders interessant sein. Es strebten keineswegs alle 30 Teilnehmer pro Jahrgang an, nach dem Abschluss den Beruf des Imams zu ergreifen, schon allein deshalb, weil sich die wenigsten Gemeinden eine ordentliche Bezahlung leisten könnten.
Filiz Polat, Grüne Bundestagsabgeordnete
Zu den Gründungsmitgliedern des IKD gehören das Bündnis Malikitischer Gemeinden Deutschland, die Muslime in Niedersachsen, die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland, der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland, der Zentralrat der Muslime in Deutschland, als auch islamische Theologen und muslimische Personen des öffentlichen Lebens.
Nicht dabei sind unter anderem der von der türkischen Religionsbehörde Diyanet abhängige Verband Ditib und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), die selbst Imam-Kurse in Deutschland anbieten. Der VIKZ sehe seinen Bedarf an Imamen durch die eigene Ausbildung, die auf türkisch und arabisch stattfindet, gedeckt, sagt dessen Sprecher Erol Pürlü. Das Kolleg bilde eben für dessen Trägervereine aus.
Die Abgeordnete Polat geht davon aus, dass das Kolleg den Druck auf Verbände wie Ditib erhöht. Die hier ausgebildeten Absolventen könnten ihre Rolle als Seelsorger und religiöse Instanz sehr gut ausfüllen. „Das hat eine andere Qualität als beispielsweise weisungsgebundene Beamte, die aus der Türkei entsendet werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland