Muslima über das Kopftuch-Tragen: „Nur eine Verpackung, mehr nicht“
Das Tuch gehört für viele muslimische Frauen zur Identität. Ein Gespräch über Opferrollen, gute Ausländerinnen und die Emanzipation durch das Verschleiern.
taz: Frau Ulfat, Frau Boukraf, Frau El-Hassan, Frau Mutlu-Iskender, das Wichtigste zuerst: Wie machen muslimische Frauen das Handy zum Telefonieren an ihrem Kopftuch fest?
Jasamin Ulfat: Das frage ich mich auch immer.
Zeynep Mutlu-Iskender: Ich glaube, das ist irgendwie ins Untertuch integriert.
Ulfat: Bei mir würde das nicht halten.
Nemi El-Hassan: Meine Tante macht das. Sie bindet das Kopftuch einfach sehr eng, sodass nur noch ein kleiner Spalt frei ist, und da wird das Telefon rein geklemmt. Das ist keine große Magie.
Es gibt also noch ein Untertuch?
lehrt an der Universität Duisburg-Essen britische Literatur, forscht zum Themengebiet Orientalismus, Männlichkeitsbilder und Afghanistan als Ort britischer Militär- und Kolonialgeschichte. Zudem arbeitet sie als freie Autorin für die taz, für Deutschlandfunk Kultur und andere Medien.
Mutlu-Iskender: Das ist eine Haube, wie man sie auch zum Schwimmen aufsetzt.
Malika Boukraf: Nur aus Baumwolle.
geboren 1983 in Duisburg, ist Lehrerin an einem Gymnasium. Sie unterrichtet Biologie und Sozialwissenschaften.
El-Hassan: Auf Arabisch heißt sie Amta. Bonne auf Türkisch.
Boukraf: Die kann man entweder kaufen, oder man schneidet Nylonstrumpfhosen zurecht. Dann hat man mehr Farbauswahl.
Gedöns ist Umwelt, ist, was wir essen, wie wir reden, uns kleiden. Wie wir wohnen, lernen, lieben, arbeiten. Kinder sind Gedöns, Homos, Ausländer, Alte. Tiere sowieso. Alles also jenseits der „harten Themen“. Die taz macht drei Wochen Gedöns, jeden Tag vier Seiten. Am Kiosk, eKiosk oder direkt im Probe-Abo. Und der Höhepunkt folgt dann am 25. April: der große Gedöns-Kongress in Berlin, das taz.lab 2015.
Und wozu dient die Haube?
Ulfat: Es ist nirgendwo festgelegt, dass man sie tragen muss. Ich mache es, weil mir sonst meine Haare ins Gesicht rutschen.
geboren 1993 in Bad Saarow (Brandenburg) und aufgewachsen in Fürstenwalde/Spree, studiert Medizin an der Charité in Berlin. Sie ist Slampoetin und engagiert sich bei i,Slam.
Mutlu-Iskender: Außerdem kann man sich so frei bewegen und muss keine Angst haben, dass das Tuch abfällt und man dann ohne dasteht.
Jede von Ihnen trägt das Kopftuch auf sehr unterschiedliche Weise. Warum?
geboren 1984 in Rendsburg (Schleswig-Holstein), arbeitet im Vertrieb und Marketing eines großen Konzerns für Berufsbekleidung in Hamburg. Sie betreibt den Modeblog happyzeyno.blogspot.de.
Boukraf: Ich vergleiche es mit der Handschrift. Auch die verändert sich im Laufe des Lebens. Man probiert verschiedene Stile aus. Anfangs war ich sehr unsicher. Ich wollte es ganz besonders richtig machen und habe das Tuch sehr straff gebunden und so viel wie möglich verhüllt, weil ich dachte, dass es meinen Eltern gefällt.
Heute weiß ich, wie ich ticke, kenne mich besser und kann deshalb auch mit dem Tuch lockerer sein. Auch meine Eltern hatte ich falsch eingeschätzt. Das Strenge war ihnen gar nicht so wichtig, wie ich dachte. Aber es spielen auch ganz praktische Gründe eine Rolle: Was geht am schnellsten? Was steht mir? Für jede Gesichtsform ist eine andere Art, das Tuch zu binden, ideal.
Teilen Sie das?
Ulfat: Ja. Als ich noch jünger war, wusste ich überhaupt nicht, wie ich das Tuch am besten binden soll. Es war total unpraktisch. Ich konnte mich damit nicht bewegen, keinen Sport machen. Mittlerweile habe ich eine Form für mich gefunden, mit der ich auch zum Zug rennen kann, ohne dass mir das Tuch davonfliegt.
Nun sieht man aber Ihren Hals, Frau Ulfat …
Ulfat: Es gibt bestimmte Hinweise im Koran, wie das Tuch zu tragen ist. Die lassen sich von Vollverschleierung bis kopftuchlos unterschiedlich auslegen. Für mich ist es in Ordnung, wenn man den Hals sieht. Andere sind da strikter.
El-Hassan: Mir ist es schon wichtig, dass der Hals bedeckt ist. Auch dass man die Arme nicht sieht. Aber meine Kollegin hat recht. Es gibt viele religiöse Strömungen und Rechtsschulen im Islam. Die Mainstreamauslegung lautet: Gesicht und Hände dürfen frei bleiben. Der Rest wird verhüllt. Aber es gibt keine Autorität, die einem reinreden könnte, wenn man das anders sieht.
Haben Sie alle selbst entschieden, ein Kopftuch zu tragen?
Mutlu-Iskender: Ja. Ich habe mit 14, 15 Jahren damit angefangen. Ich habe vier Schwestern. Die waren meine Vorbilder. Auch meine Mutter trägt Kopftuch. Ich wollte dazugehören. Meiner Mutter wäre es lieber gewesen, ich hätte das erst nach der Ausbildung oder nach dem Studium begonnen. Umso später, umso besser, sagte sie. Damit ich es leichter habe und nicht immer die Kämpferin sein muss, wie meine Schwestern. Aber ich habe es trotzdem gemacht.
Wogegen muss man denn kämpfen?
Ulfat: Gegen Vorurteile, gegen Anfeindungen.
Wann haben Sie damit angefangen?
Ulfat: Mit 13 Jahren. Ich komme aus einer sehr strengen islamischen Familie. Meine Mutter ist deutsche Konvertitin, mein Vater stammt aus Afghanistan. Ihm war es immer sehr wichtig, dass seine drei Töchter eine gute Ausbildung machen, aber auch dass wir Kopftuch tragen. Mit 16, 17 Jahren hätte ich es trotzdem fast abgelegt.
Weshalb?
Ulfat: Ich bin in der hessischen Provinz aufgewachsen. Meine Schule besuchten 1.700 Schüler, ich war die Einzige mit Kopftuch. Das war sehr schwer für mich. Ich konnte mich nicht modisch kleiden, fühlte mich fast wie ein drittes Geschlecht. Auf der Straße wurde ich beschimpft, angespuckt, ins KZ gewünscht, manchmal sind ältere Damen angewidert aufgestanden, wenn ich mich im Bus neben sie setzte.
Aber ich habe mich durchgebissen. Meine Schwestern haben das Tuch irgendwann ausgezogen. Man bekommt viele Jobs nicht, hat Probleme bei der Wohnungssuche. Das erzeugt Zukunftsängste. Ich verstehe jede Frau, die es nicht tragen möchte. Mein Vater hat, trotz seiner strengen Auslegung des Islam, auch Verständnis für uns. Meine Mutter, die es selbst trägt, sowieso.
Haben Sie alle so früh damit angefangen?
El-Hassan: Ich habe erst mit 17 Jahren entschieden, Kopftuch zu tragen. Und es war ein langwieriger Prozess, bis es so weit war. In den Wochen zuvor habe ich viel geweint.
Warum?
El-Hassan: Ich hatte Angst. Ich bin in Brandenburg aufgewachsen. Frauen mit Kopftuch gibt es dort kaum, schon gar keine jungen. Und die Ressentiments sind groß. Meine Eltern sind Muslime, die ganz normal beten und fasten. Meine Mutter trägt auch Kopftuch. Aber mein Vater wollte nicht, dass ich das Tuch trage. Im Osten sei das zu schwer, meinte er. Ich bin auch auf ein katholisches Gymnasium gegangen. Ich hatte Angst um meine Noten, dass ich schlechter bewertet werde, wenn ich ein Kopftuch trage. Ein gutes Abitur war mir total wichtig.
Warum haben Sie sich trotzdem für das Kopftuch entschieden?
El-Hassan: Ich habe in der 11. Klasse die Religion für mich entdeckt. Und zwar mehr oder weniger zufällig.
Wie das?
El-Hassan: Unsere Gemeinde organisiert einmal im Jahr eine Fahrt nach Hamburg zur Blauen Moschee. Meine Cousine und ich wollten nur mitfahren, weil wir uns die Stadt ansehen wollten. Weil ich aber am selben Tag erst von einer Klassenfahrt zurückgekommen war, war ich so müde, dass ich am Ende in der Moschee hängen geblieben bin.
Was ich dort erlebt habe, hat mich emotional sehr berührt. Die Menschen, die so sehr ins Gebet vertieft waren. Und alle waren so nett zueinander. Danach habe ich begonnen, mich mit dem Islam zu befassen, und bin jeden Freitag nach Berlin gefahren, um einen Islamkurs zu besuchen. Zwei Jahre später, in der 13. Klasse, war ich für das Kopftuch bereit.
Wurden Ihre Befürchtungen bestätigt?
El-Hassan: An der Schule nicht. Als alle überzeugt waren, dass ich zu nichts gezwungen werde, habe ich dort fast nur gute Erfahrungen gemacht. Außerhalb der Schule war das anders. Ohne Kopftuch hat man mich für eine Italienerin oder Spanierin gehalten, also für eine gute Ausländerin. Mit Kopftuch sieht man nun sofort, welcher Religion ich angehöre und aus welchem Kulturkreis ich stamme. Rassismus kenne ich, seit ich 17 bin.
Was haben Sie erlebt?
El-Hassan: Es passiert so viel. Drei Neonazis in Brandenburg wollten ihre Hunde auf mich hetzen. Hier in Berlin hat mich jemand angeschrien, ich Kopftuchschlampe solle dahin gehen, wo ich hergekommen bin. Und neulich in der Bibliothek hat mich ein Mann angebrüllt, was mir einfalle, mit einer Burka in die Uni zu kommen, und dass ich in der Bibliothek nichts verloren hätte. Man sieht also: Rassismus hat leider nichts mit dem Grad der Bildung zu tun.
Ulfat: Das kann ich bestätigen. Das Perfide ist: Wenn die Menschen gut ausgebildet sind, wird die Diskriminierung nur indirekter, versteckter. Man bekommt eine Stelle nicht oder nur einen Job ohne Kundenkontakt, darf nicht mit aufs Firmenfoto und all so was. Aber niemand sagt einem ins Gesicht, dass es am Kopftuch liegt. Dagegen kann man sich viel schwerer wehren als gegen offene Anfeindungen.
Boukraf: Wissen Sie, was? Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich eigentlich gar keine Lust mehr auf das Kopftuchthema.
Okay … Und wieso?
Boukraf: Weil ich nicht mehr ständig diese Opferrolle einnehmen möchte. Natürlich gibt es Vorurteile und sehr viele Probleme. Aber in den Diskussionen zu diesem Thema werden die falschen Fragen gestellt. Ich sehe keine Weiterentwicklung.
Welche Fragen finden Sie falsch?
Boukraf: Na, ob wir zum Kopftuch gezwungen werden oder ob wir es freiwillig tragen, zum Beispiel. Das Tuch ist eine Verpackung, mehr nicht. Ich finde, es sollte nicht so sehr im Vordergrund stehen. Das ist ein künstlicher Akt, den wir hier durchführen. Wir sind alle vier erfolgreiche selbstbewusste Frauen, die es zu etwas gebracht haben.
In der Modebranche, in Schule und Uni, in der Medizin. Keine von uns wird von der Familie oder von den Männern unterdrückt. Trotzdem sind wir spezielle Bürgerinnen mit Kopftuch. Warum lädt man uns nicht mal zu einem Gespräch ein, in dem wir inhaltlich zu einem anderen Thema Kompetenz zeigen können? Dass wir dabei Kopftuch tragen, sollte keine Rolle spielen.
Aber sind wir schon an diesem Punkt?
Boukraf: Ich frage mich, ob wir das erreichen, in dem wir das Thema immer so in den Mittelpunkt stellen.
Es gibt aber noch viele offene Fragen zu diesem Thema. Können wir weitersprechen?
Boukraf: Ja. Aber das war mir wichtig.
Frau Boukraf, Sie unterrichten als Lehrerin an einem Gymnasium. Das Kopftuch mussten Sie dazu bislang absetzen. Fiel Ihnen das leicht?
Boukraf: In den ersten Wochen war das sehr befremdlich. Ich trage das Tuch, seit ich zwölf Jahre alt bin. Ich fand es plötzlich ganz schön kalt um die Ohren. Was aber viel wichtiger ist: Ich fühlte mich entblößt, so, als würde ich im Bikini über den Schulhof laufen. Plötzlich musste ich Bereiche zeigen, die für mich zur Intimsphäre gehören. Eine Bekannte sagte zu mir: Du hast bestimmt schönes Haar. Den anderen wird das gefallen.
Okay. Aber für mich ist das in etwa so, als würde jemand sagen: Du hast bestimmt tolles, gewelltes Schamhaar. Zeig es mir doch mal!
Ulfat: Die Gesellschaft gibt einem manchmal das Gefühl, als habe sie ein Anrecht auf unsere Haare, als würden wir den Menschen etwas vorenthalten. Aber das ist Quatsch.
El-Hasan: Das ist absurd. Eigentlich ist es ja ein emanzipatorischer Ansatz, als Frau zu sagen: Ich möchte bestimmte Körperregionen nicht zeigen.
Frau Boukraf, warum haben Sie sich gebeugt?
Boukraf: Eigentlich wollte ich das nicht. Ich habe immer für mein Recht gekämpft und auch andere Kommilitoninnen bestärkt. Der Plan war, nach Rheinland-Pfalz zu ziehen, wo es das Kopftuchverbot für Lehrerinnen auch vor der Gerichtsentscheidung nicht gab. Dort war der Bewerbungszeitraum aber später als in NRW. Also hatte ich mich in beiden Bundesländern beworben, um auf Nummer sicher zu gehen. Noch schlimmer als der Gedanke, das Kopftuch abnehmen zu müssen, war für mich die Angst, keinen Job zu bekommen.
Ich komme aus einer marokkanischen Großfamilie. Seit ich dazu in der Lage bin, arbeite ich und unterstütze meine Eltern finanziell. Ihnen sagen zu müssen, dass ich arbeitslos bin, hätte ich nicht geschafft. Als ich die Zusage in NRW bekam, habe ich innerhalb von 24 Stunden entschieden, das Kopftuch für die Arbeit abzulegen.
Bereuen Sie das?
Boukraf: Einerseits ja. Aber wenn ich auf dem Kopftuch bestanden hätte, wäre ich mir so stur vorgekommen. Alle Kommilitoninnen zogen plötzlich an mir vorbei. Viele hatten schon irgendwo unterschrieben. Ich wollte mir meine Chance nicht verbauen.
El-Hassan: Ich bin gerade sehr traurig über das, was du sagst. Es ist so unglaublich demütigend, dass dich jemand zwingt, das Kopftuch abzulegen, nur um deinen Beruf auszuüben. Für mich wäre das, als sagte jemand zu mir: Zieh deine Unterwäsche aus. Das ist ein Armutszeugnis für Deutschland. Ich hätte den Job nicht gemacht.
Boukraf: In deinem Alter habe ich genauso gedacht. Ich hoffe, du bewahrst dir diese Einstellung.
Haben Sie sich mittlerweile daran gewöhnt?
Boukraf: Ja, und wenn man ausblendet, dass ich mir in der Hinsicht nicht treu bleiben konnte, ist es sehr angenehm. Ohne Kopftuch erlebe ich die rassismusfreieste Zeit meines Lebens. Plötzlich sehen mich die anderen als Menschen und nehmen mich als Individuum wahr. Wenn ich das Kopftuch trage, bin ich das leider nicht. Dann bin ich eine Frau mit Kopftuch, der man bestimmte Attribute zuschreibt: Putzfrau, spricht kein Deutsch, wird unterdrückt. Und ich werde als Opfer wahrgenommen, an dem einige ihre Aggressionen ablassen wollen.
Warum setzten Sie das Tuch dann nicht einfach ab?
Boukraf: Weil ich das nicht bin! Das Kopftuch gehört zu meiner Identität und wäre für mich idealerweise auch Teil meiner Lehreridentität.
Glauben Sie, dass Ihre Schüler damit ein Problem hätten?
Boukraf: Im Referendariat habe ich das Kopftuch noch getragen. Die allermeisten Schüler hatten damit überhaupt kein Problem. Die sind sehr viel aufgeschlossener, als man denkt. Die meisten Eltern übrigens auch.
Ulfat: Ich möchte noch mal auf Ihre Frage zurückkommen.
Warum sie das Kopftuch nicht einfach absetzt?
Ulfat: Ja. Denn dies impliziert, dass wir in der Bringschuld sind. Als würden wir etwas falsch machen und das Problem mit unserem Verhalten hervorrufen. Das stimmt aber nicht. Wir sind nicht schuld an der Diskriminierung, die uns widerfährt, nur weil wir so aussehen, wie wir aussehen. Genauso wie die Frau, die einen Minirock trägt, niemanden zu einer Vergewaltigung provoziert.
Natürlich ist das Leben einfacher ohne Kopftuch! Mein Mann hat mich zu Beginn unserer Ehe gefragt, ob ich mir vorstellen könne, es abzusetzen, damit wir als Ehepaar auch beruflich vorankommen. Ich habe darüber nachgedacht. Aber ich habe meine Jugend mit dem Tuch durchgemacht. Wenn ich es jetzt absetze, dann müsste ich mich noch mal ganz neu erfinden. Und das möchte ich nicht.
Ich finde es wichtig, dass ich in Deutschland mit Kopftuch leben und Karriere machen kann. Das heißt für mich, dass Deutschland ein offenes Land ist, in dem alles nebeneinander funktioniert: vom Minirock bis zur Vollverschleierung, Hetero, Homo, Trans … Ich bin für eine offene Gesellschaft in jeder Hinsicht. Wenn das unmöglich wird, dann stimmt etwas nicht.
Ihr Mann möchte, dass Sie das Tuch absetzen?
Ulfat: Er will, dass ich tue, was ich für richtig halte, und unterstützt mich bei allem, was ich entscheide. Wir haben aber schon darüber gesprochen. Es wäre für uns alle einfacher, wenn ich es nicht tragen würde. Ich werde von der Gesellschaft als Opfer wahrgenommen, er automatisch als Täter, als Unterdrücker. Ich kenne Männer, die ihre Frauen bitten ,zur Betriebsfeier das Kopftuch abzusetzen, weil das ihre Aufstiegschancen im Unternehmen einschränkt. So weit wollen wir uns aber nicht verbiegen.
El-Hassan: Ich muss sagen, ich bewundere jeden Mann, der eine Frau mit Kopftuch heiratet. Das ist schon eine ziemliche Bürde. Aber was ist das für eine Gesellschaft, in der es offenbar in Ordnung ist, uns als Mülleimer für Aggressionen anzusehen? Bin ich dazu verpflichtet, den schwarzen Gürtel in Karate zu machen, um mich verteidigen zu können?
Gibt es nicht auch Menschen ohne Kopftuch, die einschreiten, wenn Sie beschimpft werden?
El-Hassan: Extrem selten. Wenn jemand hilft, dann sind es meist Männer, die selbst aus einem anderen Kulturkreis kommen. Aber warum müssen die sich verantwortlich fühlen? Warum müssen die plötzlich alle Kopftuchfrauen von Berlin verteidigen?
In New York gibt es eine Muslimin, die den World Hijab Day ins Leben gerufen hat, und propagiert, dass an diesem Tag alle Frauen – ganz gleich, welchen Glaubens – ein Kopftuch tragen. Wie finden Sie das?
Mutlu-Iskender: Das ist eine coole Idee! Wenn es den Menschen gelingt, das Tuch unter modischen Aspekten zu sehen, wenn sie es einfach schön finden, dann gelingt es ihnen auch oft, die Vorurteile hinter sich zu lassen. Mit dem Turban, den ich trage, sind die Menschen eher neugierig als ablehnend und beginnen Fragen zu stellen.
El-Hassan: Diese Aktion ist für mich echte Empathie. Es geht ja nicht darum, jemandem das Kopftuch aufzudrängen. Ich habe nicht den geringsten missionarischen Eifer. Es geht einfach darum, einen Tag lang in den Schuhen eines anderen zu laufen und so etwas besser zu verstehen. Das ist eine Aktion, die mein Herz erwärmt. Wenn Menschen, die nicht betroffen sind, freiwillig sagen: Ich bin bei dir. Ich stehe zu dir. Du bist nicht allein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung