Museumsdirektorin über Bashing von rechts: „Zwischen Skylla und Charybdis“
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden reagieren auf die Debatten über Kolonialzeit und Raubkunst. Ein Gespräch mit der Generaldirektorin Marion Ackermann.
taz am wochenende: Frau Ackermann, auch der sächsische „Staatsschatz“, den Sie hüten, ruht nicht unberührt in einer Truhe. Seine Rezeption unterliegt Veränderungen. Und so haben Sie in aller Stille 2020 begonnen, als besonders diskriminierend empfundene Objektbezeichnungen zu ändern. Folgen Sie darin nur einem Trend, oder warum war das notwendig?
Marion Ackermann: Eine Überprüfung gehört seit jeher zur permanenten Forschertätigkeit und passiert auch nicht im Stillen. Wir hatten zum Beispiel einen Fall aus dem Kupferstich-Kabinett, Rembrandts „La négresse couchée“. Da ist gar keine schwarze Frau abgebildet, sondern Rembrandts Geliebte, die aber im Schatten liegt, und Rembrandt hat ziemlich viel Druckerschwärze verwendet. Es handelte sich somit nicht um einen Originaltitel, sondern nur um eine Erläuterung, die zudem noch auf einer falschen Annahme beruhte. Der Titel wurde schon vor zehn Jahren geändert, weil sich die Rembrandt-Community darauf verständigt hatte.
Geb. 1965 in Göttingen. Wuchs in Ankara auf. Studierte Kunstgeschichte, Geschichte, Germanistik. Promovierte 1995 über Wassili Kandinsky. Vor der Berufung zur Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 2016 leitete sie das Kunstmuseum Stuttgart und die Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen.
Die Überprüfung von Bezeichnungen anderer Objekte ist vielleicht umstrittener?
Änderungen erfolgen mit einem besonderen Augenmerk auf Titel, die man heute als abwertend empfinden würde. Und die keine Originaltitel sind. Ein weiteres Beispiel: In den 1970er-Jahren hat ein Mitarbeiter des Kupferstich-Kabinetts zu Otto Dix’ Kinderbild ins Inventar eingetragen: „Negerkopf Susu“. Das ist wieder gestrichen worden. Die jetzige große Resonanz hängt wohl damit zusammen, dass wir mehr Werke für die Öffentlichkeit in unserer Online-Datenbank zugänglich machen. Wir haben noch gar nicht alles inventarisiert.
Das „Daphne“-Provenienzforschungsprogramm befindet sich also noch im Zwischenstadium?
Ja. Besonders bei unseren reichhaltigen ethnologischen Sammlungen, die oft einen kolonialen Hintergrund haben. Wir haben diskutiert, was wir nach einer digitalen Erfassung online stellen. Und ob es da Grenzen gibt. Gilbert Lupfer, der jetzt Leiter des Zentrums für deutsche Kulturgutverluste ist, leitete bis Sommer 2021 unsere Forschungsabteilung. Da gibt es beispielsweise viele Aktdarstellungen. Und die betreffenden Menschen sind damals nicht gefragt worden, ob man sie nackt fotografieren darf. Wir erwähnen in diesen Fällen nur den Titel, zeigen aber das Bild nicht. Die Schwelle der Online-Freischaltung ist eine entscheidende, da verlassen wir Sachsen und sind weltweit präsent.
Damit reagieren Sie auch auf die internationalen Debatten über die Kolonialzeit und Raubkunst?
Genau. Da soll nichts versteckt bleiben. Wir haben eine Liste von Begriffen erstellt, über die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beraten haben. Was machen wir mit überlieferten oder in bestimmten Kontexten problematischen Bezeichnungen wie „Hottentotten“, „Halbblut“, „Viertelblut“, „Zigeuner“? Wir können ja bei 95 Prozent unseres Bestandes von knapp 1,5 Millionen Objekten nicht von Originalbezeichnungen sprechen. Sie können also auch nicht als sakrosankt gelten. Wir haben nur in wenigen Fällen den „Asterisk“ eingesetzt, also vier Sternchen, die den „Mohr“ im „Mohr mit der Smaragdstufe“ im Grünen Gewölbe beispielsweise ersetzen. Ein Versuch, der zwei Möglichkeiten der Lesart für unser sehr diverses Publikum erlaubt: die überkommene, tradierte Bezeichnung oder die alternative.
Sie sind vor allen von rechts unter politischen Druck geraten, zuletzt auch bei einer von der AfD beantragten Debatte im Sächsischen Landtag vom 18. November? Um was ging es da, eigentlich genießen Sie doch Autonomie und Kunstfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz?
Diese Freiheit haben wir. Und auf diese Freiheit wurde im Sächsischen Landtag von fast allen Parteien auch leidenschaftlich verwiesen. Wir sind formal ein nachgeordneter Staatsbetrieb. Das Kultur- und Tourismusministerium hat die Dienstaufsicht, übt aber keine Fachaufsicht aus.
Hatten Sie mit einem so heftigen Echo gerechnet, von rechts wird Ihnen ein „sprachpolizeiliches“ Vorgehen in den Dresdner Sammlungen unterstellt?
Eher nicht. Doch auch bei Bizot, unserem internationalen Museumsverbund, ist es seit fünf Jahren ein Hauptthema, wie wir uns als Museen auf solch ein öffentliche Bashing von verschiedenen Seiten einstellen können. Nicht von ungefähr ist im Gegenzug dazu der Begriff der „Wokeness“ entstanden. Die #MeToo-Debatte fand ich ebenfalls sehr wichtig, auch wenn ich die teils damit verbundene Hysterie ablehne.
Die rechte Kritik spricht von einer elitären kulturellen Blase?
Es geht häufig leider generell gegen jegliche Form von Intellektualität und Expertise. Dagegen müssen wir verstärkt unsere Rolle in der Gesellschaft erklären. Die Diskussion über unsere Überprüfungs- und Bezeichnungsdebatte wurde jedoch stark von Fake Narrationen bestimmt. Auch große deutsche Medien hatten sie teils übernommen, ohne bei uns nachzufragen.
Die sächsische AfD hat im Landtag beantragt, dass sie Ihre sprachlichen Überarbeitungen in den Sammlungen zurücknehmen müssten. Ähnlich die Freien Wähler. Beide waren nicht erfolgreich. Hätte man vielleicht insgesamt unaufgeregter diskutieren können?
Vielleicht. Aber wir befinden uns insgesamt zwischen Skylla und Charybdis. Einerseits ist da der Vorwurf, wir würden über unsere Museumsarbeit nicht umfassend genug kommunizieren. Auf der anderen Seite sollen wir aber bloß keine Reizthemen setzen und polarisieren. Gute Kunst und Kultur polarisiert aber immer, Avantgarde meint Abstoßung des Vorhergehenden.
Die AfD attackiert die Großen wie die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden oder die öffentlichen Theater, aber auch angeblich „linksextreme“ kleinere Kulturvereine. Gerne würde die Rechte in Dresden die gesamte kommunale Kulturförderung kappen. Erleben wir in Sachsen einen zugespitzten Kulturkampf?
Es scheint so. Aber was wir tun, tun wir im demokratischen Geist. Wir haben in diesem Jahr zwei Parlamentarische Abende veranstaltet. Wir laden ständig Abgeordnete ein, auch von der AfD. Wir stellen uns den Diskussionen. Ich spreche persönlich intensiv mit Abgeordneten aller Fraktionen. Wir bemerken aber auch, dass „demokratisch“ wie ein Triggerwort wirkt. Etwa bei dem Versuch, uns durch Kleine Anfragen aus dem Parlament zu zermürben. Die korrekte Beantwortung solch parlamentarischer Anfragen frisst viel Zeit. Zuvor waren die Staatstheater mit Semperoper und Schauspiel „dran“.
Erstrecken sich die Angriffe auch auf laufende Ausstellungen?
Manches bleibt da auch unkommentiert. Wie etwa die Plakate „Geh zurück, wo Du herkommst!“ des Künstlers Emeka Ogboh. Er stellt aktuell seine Intervention zu der Debatte über die Benin-Skulpturen im Albertinum aus. Es ist ein ironischer künstlerischer Kommentar: Bestimmte Menschen duldet man hier nicht, aber Skulpturen aus Afrika möchte man lieber nicht zurückgeben.
Bekommen Sie Rückhalt für Ihre Arbeit durch das Ministerium von Barbara Klepsch?
Ich schätze Barbara Klepsch als Ministerin. Die gegenwärtige Debatte hat zu einem guten Klärungsprozess geführt, wo die Kompetenzen und die Zuständigkeiten des Bundes, des Landes und der Staatlichen Kunstsammlungen liegen. Ich gehe mit Zuversicht ins neue Jahr.
Zu einem anderen Streitthema: Spürt man noch Nachwirkungen des „Bilderstreits“ von 2017, als es um die Präsenz und Repräsentation von DDR-Kunst ging?
Diese Erfahrung hat sich gelohnt, meinen Hilke Wagner als Direktorin des Albertinums und ich. Wir haben viel öffentlich geredet, die einstigen Kontrahenten grüßen sich wieder. Dafür war die persönliche Präsenz im Raum sehr wichtig. Wir hatten bis zu 500 Gäste bei den einzelnen Veranstaltungen im Albertinum. Digital ist das derzeit schwierig fortzusetzen. Im neuen Jahr planen wir weitere „Kontrapunkte“ zur deutsch-deutschen Geschichte. Wir knüpfen an die Ausstellung „Deutsches Design“ an, also über Gestaltung im geteilten Deutschland. Aber auch der Untergrund, die nicht konformistische Kunst der DDR im Vergleich etwa zu der Polens rücken wir in den Blick. Oder: Was bedeutete Luxus im Osten?
Der Einbruch ins Grüne Gewölbe vor zwei Jahren war spektakulär, welch traumatische Spuren hat der Juwelendiebstahl hinterlassen?
Ich habe noch in keinem anderen Bundesland erlebt, dass sich Menschen so mit „ihrer“ Kunst identifizieren. Ein Verlust steigert dieses Empfinden noch, ebenso die geschichtliche Aufladung. Die zusätzlichen Investitionen des Freistaates in neue Sicherungstechnologien sind wichtig und gut.
Stichwort angesägte Fenstergitter …?
Wir haben als geschädigte Partei immer noch keine Akteneinsicht. Die haben wir beantragt. Erst dann kann ich wirklich beurteilen, was im Zusammenspiel nicht funktioniert hat.
Noch ein Wort zur Pandemie: Wie funktioniert der digitale Ersatz nach der angeordneten Schließung?
Erstaunlicherweise sind gerade ältere und bildungsbürgerliche Stammbesucher auf die Onlineformate umgestiegen. Sie pflegen damit sozusagen den Kontakt zu vertrauten Kunstwerken.
Und wie ist die Impfsituation bei Ihnen im Hause?
Persönlich hat mich doch schockiert, dass es auch im Bereich der Kultur noch so viele ungeimpfte Menschen gibt. Inzwischen haben wir als SKD wieder weitgehend auf Homeoffice umgestellt, das Ausstellungsprogramm ist ja quasi eingefroren. Wir werben mit eigenen Impfaktionen oder Plakaten: „Impfen schützt auch die Kultur“. Ich hoffe persönlich auf eine allgemeine Impfpflicht, das sage ich ganz offen.
Und wie kommt die Kunst durch Corona?
Vielleicht so: Im Sommer werden im Japanischen Palais Stipendiaten der Villa Massimo ausstellen. Sie haben quasi zwei Coronajahre eingeschlossen in Rom gearbeitet. Wir werden sehen, was für eine großartige Kunst auch in Abgeschiedenheit und Krise entstehen kann. Und unser Jahresthema wird lauten: „Der Schlüssel zum Leben“. Bildlich anknüpfend an die große Automatensammlung des Mathematisch-Physikalischen Salons.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste