Montagsdemonstrationen in Sachsen: Rechter Aufzug blockiert

In Leipzig gingen am Montag tausende Menschen gegen rechte Mobilisierung auf die Straßen. Mit Sitzblockaden wurden Demorouten der Rechten gestört.

Gegendemonstranten sitzen auf dem Boden, während einer Demonstration die sich gegen die Energiepolitik der Bundesregierung, Russlandsanktionen und Coronamaßnahmen richtet.

Gegendemonstranten blockieren den Aufzug der „Freien Sachsen“ Foto: Tobias Junghannß/dpa

LEIPZIG taz | Die Abschlusskundgebung der aus dem Querdenken-Umfeld organisierten Demonstration „Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“ ist gerade vorbei, als Frank Irmler um 18 Uhr auf dem Augustusplatz steht. Hinter ihm befindet sich die Leipziger Oper. Er ist der Vater von einem der sieben Jugendlichen, die vergangene Woche Montag in Leipzig von Rechtsextremen aus einer Demo heraus angegriffen und verletzt wurden – vier davon so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Irmlers 15 Jahre alter Sohn, der an dem Abend mit seinen Freun­d:in­nen gegen die rechte Montagsdemonstration protestierte, habe einen Schlag auf den Hinterkopf abbekommen und nun ein großes Hämatom, erzählt sein Vater. „Mich macht dieses Ereignis fassungslos. Die aus der Querdenkerdemo losgelaufenen Schläger wurden als erwachsene Männer in meinem Alter beschrieben. Sie waren doppelt so viele wie die Jugendlichen“, sagt Irlmer ins Mikrofon. „Allein das zeigt die Fiesheit, Feigheit, Boshaftigkeit und Perfidität dieser Leute.“ Auf seine Worte folgt kräftiger Applaus.

Dem Vater stehen gut tausend Menschen gegenüber. Sie alle demonstrieren am Tag der Deutschen Einheit gegen die rechte Demo „Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“, viele von ihnen schon seit Stunden. Zu dem Gegenprotest aufgerufen hatte das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ – in Reaktion auf den brutalen Angriff vergangene Woche. Das Motto der Demo: Legida 2.0 verhindern. „Wir können nicht hinnehmen, dass jeden Montag Fa­schis­t*in­nen zusammen mit deutlich über tausend anderen Rechten durch unsere Stadt marschieren und den antifaschistischen Gegenprotest angreifen“, teilte das Bündnis im Vorfeld mit. „Lasst uns zeigen, wofür wir als Gesellschaft stehen und dass wir die Opfer körperlicher Angriffe nicht alleinlassen.“

Verschwörungsideologische und rechtsextreme Parolen

Schon seit Monaten ziehen in Leipzig jeden Montag An­hän­ge­r:in­nen rechter Gruppierungen durch die Innenstadt. Einst protestierten sie gegen die Coronamaßnahmen, nun wettern sie gegen die Energiepolitik der Bundesregierung und fordern den Stopp sämtlicher Russland-Sanktionen. Auf ihren Demos verbreiten sie Verschwörungsideologien und rechtsextreme Inhalte. Seit dem 5. September – dem Tag, an dem Linke und Rechtsextreme auf dem Augustusplatz zeitgleich gegen die hohen Energiepreise protestierten – ist die Zahl der rechten De­mons­tran­t:in­nen in Leipzig stark gestiegen. Während vor einem Monat um die 1.000 Menschen an der rechten Demo teilnahmen, waren es vergangene Woche knapp 2.500. Am gestrigen Montag lag die Teil­neh­me­r:in­nen­zahl laut Leipziger Polizei „im unteren vierstelligen Bereich“.

Wie viele Menschen dem Aufruf von „Leipzig nimmt Platz“ folgten, konnte die Polizei am Montagabend nicht sagen, da das Demonstrationsgeschehen „sehr dynamisch“ gewesen sei und die Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen an vielen verschiedenen Orten in der Innenstadt gleichzeitig protestiert hätten.

Auch die Versammlungsbehörde Leipzig hat Dienstagmorgen noch keine Zahlen vorliegen. Irena Rudolph-Kokot, Sprecherin von „Leipzig nimmt Platz“, geht von „mehr als 5.000 Teilnehmer:innen“ aus. Sie ist sich sicher: „An unserer Demo haben definitiv mehr Menschen teilgenommen als an der rechten.“

Es ist 13.30 Uhr, als der Gegenprotest unter dem Motto „Legida 2.0 verhindern“ im alternativen Stadtteil Connewitz mit mehreren hundert Teil­neh­me­r:in­nen startet. Gegen 14.30 Uhr erreicht der Demozug den Wilhelm-Leuschner-Platz, wo eine erste Kundgebung stattfindet. Mehr als tausend Menschen haben sich hier versammelt, darunter viele Jugendliche und Studierende, aber auch Familien mit Kindern und Rentner:innen. Auch eine „Oma gegen rechts“ ist mit ihrem Fahrrad gekommen. „Seit dem 5. September hat sich die Zahl der rechten De­mons­tran­t:in­nen in Leipzig stark erhöht“, sagt sie. Viele Bür­ge­r:in­nen hätten keine Berührungsängste, mit Rechten zu demonstrieren. „Es besteht Legdida-Potenzial“, warnt die 64 Jahre alte Leipzigerin, die jeden Montag gegen die Rechten demonstriert.

Gegenprotest ist lauter als rechte Demo

Parallel zu der Kundgebung von „Leipzig nimmt Platz“ findet auf dem wenige hundert Meter entfernten Augustusplatz die rechte Versammlung „Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“ statt. Daran nehmen laut Polizei „Personen im mittleren dreistelligen Bereich“ teil. Es wehen Deutschland- und Russlandflaggen, Fahnen der rechtsextremen Splitterpartei „Freie Sachsen“ sowie Fahnen mit Friedenstauben. Gegen 15.30 Uhr setzt sich die Runde in Bewegung und läuft über den Stadtring in Richtung Wilhelm-Leuschner-Platz. Die De­mons­tran­t:in­nen rufen „für die Heimat, für das Land, Leipzig leistet Widerstand“. Als sie am Wilhelm-Leuschner-Platz vorbeigehen – auf dem sich hunderte Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen befinden –, rufen Letztere Parolen wie „Nazis raus, Nazis raus!“ und „Alle zusammen gegen den Faschismus“. Eine Frau hält ein Plakat hoch, auf dem steht: „ökologische soziale Wende statt Volksgeschwurbel“.

Viele Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen zeigen den Mittelfinger in Richtung des vorbeiziehenden Aufzugs, sie pfeifen, trommeln, grölen. Der Gegenprotest ist deutlich lauter als die rechte Demo. Da die Polizei den Wilhelm-Leuschner-Platz mit ihren Bullis komplett umstellt hat und sie die Lücken zwischen den Fahrzeugen bewacht, können die beiden Gruppierungen nicht aufeinandertreffen.

Als die Teil­neh­me­r:in­nen der Demo „Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“ den Wilhelm-Leuschner-Platz hinter sich lassen und weiter geradeaus gehen, können sie an der nahe gelegenen Kreuzung nicht wie geplant rechts auf den Innenstadtring abbiegen. Wegen einer Sitzblockade von Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen müssen sie ihre Route ändern.

Im Laufe des Nachmittags kommt es immer wieder zu Sitzblockaden auf dem Leipziger Innenstadtring, zum Beispiel auf dem Ranstädter Steinweg Ecke Goerdelerring. Hier sitzen um 16.15 Uhr knapp 50 junge Erwachsene im Schneidersitz auf dem Asphalt und blockieren die breite Straße. Fast alle von ihnen tragen schwarze Regenjacken, FFP2-Masken und Kapuzen. Die Sitzblockade wird sofort von zahlreichen Po­li­zei­be­am­t:in­nen eingekesselt. Knapp zehn Minuten später rückt die Polizei mit zwei Wasserwerfern an, die allerdings nicht zum Einsatz kommen. Die Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen dürfen sitzen bleiben. Aufgrund der Sitzblockaden, die teilweise als Spontanversammlungen angemeldet wurden, muss die Polizei den rechten Demozug mehrmals stoppen und umleiten. „Die Route war eigentlich ganz anders“, teilt eine Sprecherin der Polizei der taz am Montagabend mit.

Auch die Abschlusskundgebung der Rechten und Quer­den­ke­r:in­nen muss verlegt werden – auf den Wilhelm-Leuschner-Platz, wo einst der Gegenprotest stattfand. Die Rechten erreichen den Platz um 17.30 Uhr. An dessen Rand stehen einige Gegendemonstrant:innen. Sie rufen lautstark „Lauft mit Nazis Hand in Hand, ihr seid nicht der Widerstand“ oder „Ihr könnt nach Hause gehen“ und stören damit die Redebeiträge der Rechten. Gegen 17.45 Uhr endet deren Abschlusskundgebung, danach begleitet die Polizei rechte De­mons­tran­t:in­nen zum Bahnhof.

Polizei ermittelt wegen Angriff auf Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen

Zeitgleich steht Irena Rudolph-Kokot von „Leipzig nimmt Platz“ auf dem Augustusplatz und blickt zufrieden in die Menge. Es sind nur noch wenige Minuten, bis Frank Irmler, der Vater des verletzten Jugendlichen, auf der abendlichen Kundgebung des Bündnisses spricht. „Das Platznehmen hat heute an ganz vielen Stellen geklappt“, sagt Rudolph-Kokot stolz. Mindestens sieben Sitzblockaden habe es gegeben. „Damit konnte die Route der Rechten empfindlich gekürzt werden.“ Später am Abend schreibt sie auf Twitter: „Die rechte Melange konnte nur ein Ministück Ring und ein wenig in Zentrum-West hin-her laufen. Danke #Leipzig fürs #platznehmen #le0310.“

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Insgesamt waren am Montag rund 1.000 Polizeibeamte im Einsatz. Unterstützt wurden die Leipziger Po­li­zis­t:in­nen von der sächsischen Bereitschaftspolizei sowie von Polizeikräften aus Nordrhein-Westfalen und Berlin. Wegen der Sitzblockaden sei es ein „teilweise dynamischer, aber grundsätzlich friedlicher Einsatz gewesen“, sagte die Polizei am Montagabend. Was den gewalttätigen Angriff auf die sieben Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen vergangene Woche Montag betrifft, ermittelt die Polizei momentan gegen „unbekannte Tatverdächtige“ sowie gegen die verletzten Jugendlichen. Letztere wurden wegen des Anfangsverdachts der gefährlichen Körperverletzung angezeigt. Es gebe Hinweise darauf, dass sie die An­grei­fe­r:in­nen ebenfalls verletzt hätten, teilte eine Sprecherin der Polizei Leipzig der taz mit.

Kritische Aufarbeitung durch die Polizei gefordert

Au­gen­zeu­g:­in­nen zufolge habe die Polizei die Täter:innen, die nach dem Angriff auf die Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen weggerannt seien, nicht verfolgt. Spricht man die Leipziger Polizei darauf an, entgegnet sie, dass die Lage sehr dynamisch gewesen sei. Die Polizei geht nicht von einem einseitigen Angriff auf die jungen Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen aus, sondern von einer „Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen“.

Frank Irmler, dessen 15 Jahre alter Sohn bei der Montagsdemo vergangene Woche verletzt wurde, fordert von der Polizei, dass sie den Vorfall „kritisch aufarbeitet“. Die Be­am­t:in­nen müssten diejenigen festnehmen, „die nur da sind, um Gewalt auszuüben und unsere demokratische Grundordnung mit Füßen zu treten“, sagt Irmler. Sein Sohn, der nach dem Vorfall fälschlicherweise für einen Täter gehalten und kurzzeitig verhaftet wurde, sei noch nicht wieder in der Lage, auf eine Demo zu gehen.

Die nächste linke Großdemo in Leipzig findet am 15. Oktober statt. Dann demonstriert das Leipziger Aktionsbündnis „Jetzt reicht's! – Wir frieren nicht für Profite!“, das aus mehr als 30 Gewerkschaften, Klimagruppen, Mie­te­r:in­nen­in­itia­ti­ven und anderen sozialen Gruppen besteht, gegen die Energie- und Sozialpolitik der Regierung.

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