Montagsdemo am Samstag: Gegen Israel und die Medien
Die Montagsdemonstrationen für den Frieden bleiben sich treu: Dem Publikum werden Verschwörungstheorien und Medienschelte dargeboten.
BERLIN taz | Werner Altnickel hat das Wort. 20 Minuten soll er über „Geo-Engineering“ sprechen. Mit einem Vortrag über „Chemtrails“ versucht Altnickel das Publikum auf seine Seite zu ziehen, was aber nur mäßig gelingt.
Bei brütender Hitze um den Neptunbrunnen am Alexanderplatz setzen sich die Demonstranten für Frieden allmählich hin oder nutzen die Zeit, Getränke zu beschaffen. „Chemtrails“, also Kondensstreifen, mit denen vornehmlich die amerikanische Regierung angeblich das Wetter kontrollieren und den Menschen Schmerzen bereiten können, kommen nicht wie gewünscht an. Applaus bekommt Altnickel trotzdem. Wie eigentlich jeder, der bei der „ersten bundesweiten Montagsdemo“ am Samstag redet.
Seit ein paar Monaten treffen sich in zahlreichen Städten Menschen zu diesen „Montagsdemonstrationen“. In Berlin versammeln sich Demonstranten, deren selbst ernanntes Hauptziel der Frieden ist, inzwischen gar an vier Tagen die Woche zu Mahnwachen, um „offene Gespräche“ zu führen.
Zur bundesweiten Aktion am Samstag sind nach Polizeiangaben etwa 2.500 Frauen und Männer mit verschiedensten Anliegen gekommen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist „Frieden“ – oder das, was sie dafür halten. Plakate mit „Free Palestine“ oder die palästinensische Flagge werden hochgehalten. Auf einem anderen Schild hat jemand geschrieben: „Austritt aus der faschistischen EU-Diktatur“ oder „Auflösung der nicht legitimierten kriegstreiberischen BRD-Regierung“.
Weder „rechts noch links“
Mit ähnlich konkreten Forderungen wendet sich von der Bühne aus kaum einer ans Publikum, auch nicht später, als die Masse zum Potsdamer Platz umzieht. Der Publizist Jürgen Elsässer ist als Hauptredner am Neptunbrunnen angekündigt. Er hält sich weder für „rechts noch links“, sein Hauptadressat sei das Volk. Und er lasse sich auch nicht die „Kritik am Zionismus“ verbieten.
„Was die Zionisten in Gaza machen, ist Völkermord“, ruft Elsässer einer jubelnden Menge zu. „Frau Merkel muss aufhören, das zionistische Regime in Israel zu unterstützen“, schreit er. Neben solchen antiisraelischen Tönen, bestimmen Antiamerikanismus, Russlandliebe und harsche Medienkritik die Redebeiträge. Einer spricht von der „gleichgeschalteten Systempresse wie im Dritten Reich“, die allesamt „Marionetten der Bild-Zeitung“ seien. Ein anderer beschreibt Bundeskanzlerin Angela Merkel als „Angestellte von Obama“ und bringt als Argument: „Frau Merkel, Sie sehen scheiße aus“.
Oliver Janich, Chefredakteur des Compact-Magazins, der offensichtlich um die verbeitete Kritik an den Demos weiß, begrüßt alle „Antisemiten, Neonazis und Verschwörungstheoretiker“. Er befindet, dass eigentlich alle ganz normal aussähen. Womit er Recht hat: junge Frauen, die Friedenstauben verteilen, Familien, die ihre Kinder mitgebracht haben oder StudentInnen – sie alle jubeln den Rednern zu.
Ein Polizist, den man nach einer Gegenbewegung fragt, lacht. „Wer ist schon gegen Frieden?“ sagt er erstaunt. Offensichtlich etwa 20 Antifa-Aktivisten, die den Tönen der Demo immerhin mit Israel- und USA-Flaggen Paroli boten. „Antideutsche Idioten“, so der Kommentar von der Demo.
Immer wieder bleiben Passanten angelockt von der Musik zwischen den Redebeiträgen neugierig stehen. Erst am späten Samstagabend gibt die Polizei den teilweise gesperrten Verkehr am Potsdamer Platz wieder vollständig frei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen