Mögliche Vize-Kandidaten: Weiblich, 59, sucht Running Mate
Nach Bidens Rückzug steht Harris als Kandidatin der US-Demokraten so gut wie fest. Doch wer wird ihr Vize? Wer infrage kommt – und wer nicht.
„Wenn Sie die Umfragen machen und es sich herausstellt, dass Sie einen 49-jährigen glatzköpfigen schwulen Juden aus Boulder, Colorado, brauchen – Sie haben meine Nummer.“
Schöner als Jared Polis, der demokratische Gouverneur von Colorado, kann man das Problem kaum zusammenfassen, mit dem die designierte US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris bei der Auswahl ihres Vize-Kandidaten konfrontiert ist. Harris ist noch nicht einmal nominiert, aber unter normalen Umständen geht kein Weg mehr an ihr vorbei. Wenn es auch schwer zu sagen ist, was in den USA im Moment als normal durchgeht.
Doch durch das demokratische Amerika geht eine Welle der Euphorie. Die Wahlkampfspenden sprudeln, Harris trendet auf allen Kanälen, vorübergehend ist sie zur Pop-Figur geworden. Die Euphorie wird Harris zur Nominierung tragen.
Eine virtuelle namentliche Abstimmung vor dem eigentlichen Nominierungsparteitag am 19. August in Chicago ist in Planung, am Mittwoch tagt dazu der Regelausschuss der Demokraten, die Kandidatin (oder der Kandidat) soll bis zum 7. August feststehen. Man bekommt den Eindruck, die Demokrat.innen glauben wirklich, Harris könnte gegen das Duo Donald Trump – J.D. Vance gewinnen.
Um so wichtiger ist nun die Frage, wer an ihrer Seite möglichst viele Wählerinnen und Wähler anspricht – vor allen in den „Swing States“, also Bundesstaaten, die nicht auf eine der Parteien festgelegt sind. Aus dem Rennen genommen haben sich bereits Gretchen Whitmer, Gouverneurin in Michigan, und Wes Moore, Gouverneur in Maryland. Aber eine zweite Frau wäre in den USA ohnehin ein Ausschlusskriterium (im Gegensatz offenkundig zu zwei Männern) und Wes Moore als zweiter Schwarzer auf dem Ticket ebenfalls. Gavin Newsom wiederum, Gouverneur in Kalifornien, kann schon alleine aus rechtlichen Gründen nicht antreten, im Duo dürfen nicht beide aus einem Bundesstaat sein. Und sowieso brauchen die Demokraten nicht noch einen elitären Westküstenmann auf dem Ticket. Was spricht für wen und vor allem gegen? Im Netz laufen schon die Wetten.
Josh Shapiro, 51
Jetzt, wo Biden nicht mehr als Übervater des Bundesstaates antritt, hat der Gouverneur von Pennsylvania einen der wahlentscheidenden Swing States im Angebot. Wie Biden fühlt sich der Bilderbuchfamilienvater in gemäßigten Breiten der Demokraten wohl und spricht Menschen im Rust Belt an. Ein Gegenmittel zu J. D. Vance also. Sein Malus im Gestrüpp antizipierter Vorurteile? Er ist jüdisch. Und Gaza-Protestierende vermissen bei ihm mindestens den Aufruf zum Waffenstillstand.
J. B. Pritzker, 59
Der Gouverneur von Illinois bringt den Mittleren Westen in den Wahlkampf und dazu noch Geld. Pritzker ist einer der reichsten Männer der USA, seiner Familie gehört das Hyatt-Imperium. Nur kann man sich vorstellen, dass Wähler.innen, die mit Eliten fremdeln, einen Milliardär wählen, der ein Schusswaffenverbot durchgesetzt hat? Wo Illinois doch demokratisch ist und Pritzker – um harte Kampagnenrealitäten zu benennen – auf Wahlplakaten weniger hermacht als J. D. Vance?
Andy Beshear, 46
Wenn Harris nach einem Gegenentwurf zu Vance sucht, wird sie sich auch den Gouverneur von Kentucky ansehen,Andy Beshear. Immerhin hat er in diesem tief republikanischen Bundesstaat schon Wahlen gewonnen und repräsentiert die Appalachen, die Vance in seiner Hillbilly Elegy besungen hat. Damit wären wir aber schon beim Nachteil: Er repräsentiert einen bei den Präsidentschaftswahlen für die Demokraten nicht gewinnbaren Staat.
Pete Buttigieg, 42
An der Seite einer Juristin von der Westküste würde sich ein (ehemaliger) Bürgermeister von South Bend, Indiana, als Stimme des Mittleren Westens bestimmt gut machen. Nur wer soll dem amtierenden Verkehrsminister unter Joe Biden und dazu noch Harvard-Absolventen diese Rolle wirklich abnehmen? Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass die USA vermutlich noch nicht reif sind für einen offen schwulen Vize-Präsidenten neben einer Schwarzen Frau mit asiatischen Wurzeln.
Tim Walz, 60
Er gilt eher als Nebenfigur, aber eine, die man zumindest nicht sofort aussortieren sollte. Immerhin ist Tim Walz ebenfalls Gouverneur – von Minnesota, einem Bundesstaat, der in diesem Wahlzyklus zu den Swing States gezählt wird. Und an nichts wird sich Harris’Auswahl so orientieren wie an den umkämpften Bundesstaaten. Ausnahmsweise lautet die Kandidatensuche ja auch: mittelalt, weiß, männlich (und nicht zu auffällig). Den letzten Punkt erfüllt Walz definitiv.
Mark Kelly, 60
Am Dienstag stand der Senator aus Arizona hoch im Kurs. Er hat nicht das Gewicht eines Gouverneurs, beim Kampf um den Swing State könnte Kelly jedoch relevant werden. Der Ex-Nasa-Astronaut wurde eigentlich erst durch seine Frau, die ehemalige Kongressabgeordnete Gabby Giffords, bekannt, die 2011 angeschossen wurde. Diese Überlebensgeschichte könnte ihm nach dem Trump-Attentat zum Vorteil gereichen. Nur seine Glatze lässt Kelly alt aussehen.
Roy Cooper, 67
Der Gouverneur von North Carolina vertritt einen kritischen Swing State, zumal einen Bundesstaat, in dem er gewinnen konnte, obwohl Donald Trump dort bei den Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020 vorne lag. Ansonsten ist Cooper ein Mann der Mitte und nicht übermäßig aufsehenerregend. Letzteres könnte ihn als Vize-Kandidat neben der eher extrovertierten Präsidentschaftskandidatin qualifizieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste