„Mitte“-Studie der Ebert-Stiftung: Der Riss
Die deutsche Gesellschaft erscheint gespalten: Eine Mehrheit verteidigt Demokratie und Flüchtlingspolitik. Doch der Rest radikalisiert sich.
Es dürfte ein schwieriges Unterfangen werden. Wie aus der neuen „Mitte“-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und der Universität Bielefeld hervorgeht, ist die deutsche Gesellschaft gespalten wie seit Jahren nicht – in eine demokratiebejahende, offene Mehrheit und eine ressentimentvolle, gewaltgeneigte Minderheit.
Die Befragung zählt zu den renommiertesten Sozialstudien Deutschlands. Seit 2002 wird sie unter dem Schlagwort „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ alle zwei Jahre erhoben, anfangs vom Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer. Diesmal wurden 2.000 Personen telefonisch befragt, von Juni bis August 2016.
Und 84 Prozent von ihnen lieferten ein Bekenntnis: Die hiesige Demokratie funktioniere „im Großen und Ganzen ganz gut“. Eine Mehrheit, 56 Prozent, begrüßte auch die Aufnahme von Flüchtlingen. 41 Prozent gaben an, sie selbst oder Bekannte engagierten sich auch direkt für Asylsuchende. Und die Fremdenfeindlichkeit lag zwar immer noch bei 19 Prozent unter allen Befragten – vor zehn Jahren aber war sie doppelt so hoch. „Die Bevölkerung wird in ihrer grundsätzlich positiven Grundhaltung, ihrer Gelassenheit und ihrer Bereitschaft zum Engagement für Geflüchtete unterschätzt“, konstatieren die Studienautoren.
13 Prozent glauben an White Supremacy
Das Problem nur: Parallel radikalisiert sich eine Minderheit – mit genau entgegengesetzter Stoßrichtung und einiger Lautstärke. So gab gut jeder dritte Befragte an, in Deutschland lebten zu viele Ausländer. 40 Prozent erklärten, es brauche „endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl“. Ein Viertel befand, die regierenden Parteien betrögen „das Volk“. Und 13 Prozent waren überzeugt, die Weißen seien zu recht führend in der Welt.
Vorurteile bekommen vor allem zwei Gruppen zu spüren: Muslime und Flüchtlinge. Knapp jeder fünfte Befragte äußerte Ressentiments gegen Anhänger des Islams. Und – trotz aller grundsätzlichen Zustimmung der meisten zur Flüchtlingspolitik – stiegen auch die Vorurteile über Asylsuchende: von zuletzt 44 auf nun 50 Prozent. Im Detail erklärte etwa jeder Vierte, der Lebensstandard der Deutschen werde durch die Flüchtlinge sinken. Gerade bei dieser Kategorie gebe es auch kaum noch Unterschiede zwischen der Bildung und dem Einkommen der Befragten, bemerken die Wissenschaftler. Es herrsche ein „giftiger Konsens“ über alle Milieus hinweg.
Vorurteile als Meinung getarnt
Die Forscher sehen für die Ressentiments bereits einen jahrelangen Vorlauf. Mitverantwortlich sei aber auch die seit Monaten andauernde Flüchtlingsdebatte, die von den „Asylchaos-Kampagnen“ der AfD und anderer rechter Gruppen dominiert sei. Und das mit Folgen: Vorurteile würden inzwischen nicht mehr subtil kommuniziert, sondern „ganz offen als ‚eben eine Meinung‘ verteidigt“, warnt die Studie. Die Position, dass einige Menschen minderwertig seien, sei kein Tabu mehr – sondern werde zur Normalität.
Und: Die Gewaltbereitschaft steigt. Immerhin 14 Prozent der Befragten erklärten, bereit zu sein, sich „mit körperlicher Gewalt gegen Fremde durchzusetzen“. Unter Anhängern einer rechtspopulistischen Einstellung – 21 Prozent der Befragten – stimmte dem gar jeder Dritte zu. Zahlen des BKA zeigen, dass es längst nicht mehr bei Ankündigungen bleibt: Auch in diesem Jahr wurden dort bereits wieder 843 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gezählt, 64 davon waren Brandstiftungen.
Von einem „tiefen Spalt, der derzeit kaum überbrückbar zu sein scheint“, schreiben die Studienautoren. Auf der einen Seite stehe „Wut, Hass und Aggression“, auf der anderen „eine gewisse Ratlosigkeit“.
Zu ganz ähnlichen Befunden war bereits im Sommer eine „Mitte“-Studie der Universität Leipzig gekommen. Und wie dort, kommt auch bei dem Bielefelder Pendant eine Gruppe besonders schlecht weg: die der AfD-Anhänger. Diese Gruppe ist nicht nur gewachsen – auf 26 Prozent der Befragten –, sie hat sich auch radikalisiert.
46 Prozent der AfD-Sympathisanten äußerten sich laut Studie fremdenfeindlich – vor zwei Jahren war es noch 33 Prozent. 43 Prozent zeigten sich zudem islamfeindlich, 74 Prozent lehnten Flüchtlinge ab – auch dies deutlich mehr als im Bevölkerungsschnitt. Die Studienautoren sehen diese Entwicklung im Einklang mit dem jüngsten Rechtsruck der AfD, bei dem auch Parteivordere über „völkische“ Politik räsonierten oder gegen „links-grün Versiffte“ wetterten.
Neurechte als Anheizer
Als Anheizer identifizieren die Wissenschaftler auch eine mit der AfD eng verbandelte Gruppe: die Neurechten. Diese wähnte Deutschland vom Islam unterwandert, von einem „Meinungsdiktat“ unterdrückt und forderte einen ethnisch homogenen Staat. Gemeint sind Leute wie der neurechte Vordenker Götz Kubitschek, der wiederholt auf Pegida-Aufzügen sprach.
Die Kategorie wurde erstmals abgefragt und umfasste immerhin 28 Prozent der Befragten. Einzelne neurechte Positionen finden auch Zustimmung darüber hinaus: So erklärten 40 Prozent, Deutschland werde durch den Islam unterwandert. Den Neurechten sei es gelungen, ihre Vorstellungen „bis weit in die Gesellschaft hineinzutragen“, halten die Autoren fest. Die Ideologie würde damit den klassischen Rechtsextremismus ablösen, der nur noch bei drei Prozent der Befragten festzustellen war. Die Forscher aber warnen: Auch die subtiler argumentierenden Neurechten werteten Gesellschaftsgruppen ab und stünden Gewalt nahe. Dies mache sie „nicht minder bedrohlich für die Demokratie“.
Was also tun? Die Wissenschaftler haben auch dazu einen klaren Vorschlag. Die Politik sollte sich mehr auf die demokratiezugewandte Mehrheit stützen. Die von AfD und Pegida propagierten Ängste dürften „nicht mit Fakten verwechselt und erst recht nicht weiter angestachelt“ werden. Stattdessen müssten die Aufgeschlossenen unterstützt werden. Die Zivilgesellschaft habe im Zuge der Flüchtlingshilfe ein „enormes Revival erfahren“ und einen „Schatz“ an Erfahrungen gesammelt. „Daran lässt sich anknüpfen.“
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