Mit Kreuzen gegen völkische Siedler: Ausrufezeichen im Dorf
Ernestine Monville-Raabe und Martin Raabe vom Netzwerk „beherzt“ kämpfen gegen den Einfluss von völkischen Siedler:innen in der Lüneburger Heide.
D ie Gegend zwischen Uelzen und Lüneburg ist flach und voller Felder. Eine Landstraße führt vorbei an Häusern aus roten Klinkersteinen durch kleine Dörfer, die Allenbostel, Barnstedt oder Grünewald heißen. In manchen wohnen ein paar Hundert, in anderen keine fünfzig Menschen.
Auch weil sie dünn besiedelt ist und es viele abgelegene Höfe gibt, wohnen in dieser Gegend besonders viele extrem rechte, völkische Familien. Die Region ist schon seit den 1920er-Jahren bei Rechten beliebt. Die NSDAP holte hier früh absolute Mehrheiten.
Heute sind Völkische aktiv im Kindergarten, Sportverein oder der Freiwilligen Feuerwehr. Sie arbeiten als Anwälte, Handwerker oder Lehrer, sind Nachbarn, bei denen das Horst-Wessel-Lied zu hören ist, die Sommersonnenwende feiern und Flaggen zu Hitlers Todestag auf Halbmast setzen.
„In der Stadt kann man zwei Stunden gegen Rechts demonstrieren und danach wieder nachhause gehen“ sagt Martin Raabe, 75, in seiner Wohnküche in Ebstorf, nicht weit von der Kreisstadt Uelzen. Hier auf dem Dorf sei das anders. Ernestine Monville-Raabe, seine Frau, zündet zwei Kerzen am Adventskranz an und setzt sich mit an den Tisch. „Meine Einstellung ist: wer Angst hat, macht nix“, sagt die 74-Jährige. Ihr Mann nickt. Ende 2018 haben die Raabes das Netzwerk „beherzt“ mitgegründet, das sich auf den Dörfern im Nordosten der Lüneburger Heide gegen völkische Siedler:innen und „für ein weltoffenes Zusammenleben“ einsetzt, wie es auf der Webseite heißt.
Pink-gelbe „Kreuze ohne Haken“
Erkennungszeichen von „beherzt“ sind große pink-gelbe „Kreuze ohne Haken“, zwei Holzlatten, die ein X bilden, „fUEr Vielfalt“ steht darauf. Das UE im 'Für’ steht für Uelzen. Mittlerweile findet man sie in fast jedem Ort im gleichnamigen Landkreis. Sie hängen an Gartenzäunen, Scheunentoren und Häuserecken. Mehr als 2.500 sind es, einige davon als Solidaritätsgrüße über ganz Deutschland verteilt, so das Netzwerk.
Nach den Drohungen muss man Ernestine Monville-Raabe und Martin Raabe fragen. Von selbst erwähnen sie die nicht. Als es am Anfang von „beherzt“ eine Person brauchte, die öffentlich für die Gruppe spricht, mit Adresse und Gesicht, hätten die beiden lange diskutiert, und entschieden, dass Martin Raabe das macht. Seit einem Jahr zeigen noch mehr der rund 400 Mitglieder von „beherzt“ ihr Gesicht, auf der Webseite, bei Zeitungsinterviews und auf Instagram. „Trotzdem krieg’ ich noch den meisten Dreck übergekübelt“, sagt Martin Raabe.
Manchmal führen Autos vor, hielten an und drehten wieder um. „Wenn die Bäume wenig Blätter haben, kann ich mir die Nummernschilder merken“, sagt Ernestine Monville-Raabe. Vergangenes Jahr hätten die Drohungen sich gehäuft, anonyme E-Mails und Anrufe mit unterdrückter Nummer. Im Frühjahr 2023 habe es nachts Sturm geklingelt. Im ersten Moment habe Monville-Raabe gedacht, es sei ihre Tochter. Dann habe sie verstanden, dass das nicht sein könne und entschieden, lieber nicht aufzumachen.
Ungefähr eine Woche habe es jede zweite Nacht geklingelt. Minutenlang. „Dann hab ich gedacht: jetzt ist gut“, sagt Monville-Raabe, überkreuzt resolut ihre Arme vor der Brust, um das zu unterstreichen. „Ich habe die Klingel abgestellt.“ Nach einigen Wochen sei es nachts wieder ruhig gewesen. „Natürlich sind wir quasi Ausrufezeichen im Dorf, weil alle wissen wie wir denken“, sagt Martin Raabe.
Völkische Siedler:innen sind in den letzten Jahren sichtbarer geworden. Sie sind aber kein junges Phänomen in der rechtsextremen Szene. Die völkische Bewegung formierte sich um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Ideologie Völkische vertreten ein antisemitisch-rassistisches Weltbild und reaktionäre Geschlechterrollen. Sie glauben an die Existenz einer deutschen Rasse und denken in Jahrhunderten. Im Sinne der nationalsozialistischen Idee von „Blut-und-Boden“ ziehen Völkische das Leben auf dem Dorf den vermeintlich überfremdeten und globalisierten Städten vor.
Strategie Die meisten Familien haben viele Kinder und tragen die extrem rechte Einstellung über Generationen weiter. Völkische Siedlungen gibt es in ganz Deutschland, meist in dünn besiedelten Gegenden. Neben der Lüneburger Heide sind Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein Schwerpunkte. Dort versuchen sie, sich im Dorf zu etablieren – manchmal, indem sie sich als harmlose, alternative Ökos geben.
Die Raabes wohnen seit mehr als 35 Jahren in Ebstorf. Gekommen sind sie Ende der 1980er aus Indonesien, wo Martin Raabe als Pastor im Auslandsdienst gearbeitet hat. „Wir waren auch ’n bisschen exotisch für die“, sagt Ernestine Monville-Raabe über das Ankommen in Ebstorf. Schon damals hätten sie eine fremdenfeindliche Grundstimmung wahrgenommen. „Selbst die Jungbauern waren unglaublich konservativ“, sagt Monville-Raabe.
Extrem Rechte ziehen schon seit Jahren gezielt aufs Land. Für Völkische hat das nicht nur strategische, sondern auch ideologische Gründe. Die völkische Weltanschauung schließt an die nationalsozialistische „Blut-und-Boden“-Ideologie an. Das Leben in ländlicher Abgeschiedenheit steht für Völkische einer angeblichen Überfremdung in der Moderne entgegen. Das begründen sie rassistisch und antisemitisch.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung zählt rund 200 solcher Siedlungen im Bundesgebiet. In Niedersachsen beobachtet der Verfassungsschutz die völkischen Siedler. In der Lüneburger Heide wohnen aktuell ungefähr 20 völkische Familien – einige seit Generationen. Und es werden mehr.
„Eine Generation heiratet gerade querbeet“ sagt Olaf Meyer von der Antifaschistischen Aktion Lüneburg-Uelzen. Die Gruppe beobachtet die völkische Szene seit den 1980ern. In den letzten Jahren bemerke sie eine Zunahme an Adressen, sagt Meyer. Das liege an den Hochzeiten, aber auch daran, dass Rechte von auswärts her zögen. Zum Beispiel in einen Ort mit knapp über 150 Menschen, ganz in der Nähe der Raabes. Vor ein paar Jahren ist ein Anwalt, der 2016 für die AfD im Uelzener Kreistag saß und Völkische vertritt, mit seiner Familie in den Ort gezogen.
„Das hat das Dorf zerrissen“, sagt Martin Raabe, „in drei Gruppen“. Da seien solche, die mit den Rechten nichts zu tun haben wollen, solche, die kein Problem mit ihnen haben und welche, die aktiv ‚nein‘ sagen. Manchmal ist der Riss nur so breit wie die Dorfstraße. Die Scheune auf der einen Straßenseite gehört seit neuestem dem völkischen Anwalt. Direkt gegenüber liegt ein Hof, an dessen Scheune das „Kreuz ohne Haken“ von der Straße deutlich zu sehen ist. „In so einem Ort ist das ein Statement“, sagt Raabe.
So klein ist Bienenbüttel nicht, fast 7.000 Menschen zählt die Gemeinde. Vor fast zwei Jahren stand der Ort im Fokus einer Dokumentation von Spiegel TV. Darin geht es um den Umgang der Gemeinde mit der völkischen Familie Fachmann, die seit Generationen im Ort verankert ist. Deren verstorbenes Oberhaupt Wolfgang Fachmann hatte 1987 zusammen mit anderen Völkischen eine Anzeige in der Lokalzeitung zum Tod von Rudolf Heß geschaltet. Sein Sohn war Mitglied der verbotenen rechtsextremen Artgemeinschaft – und leitet bis heute die Leichtathletikabteilung im TSV Bienenbüttel.
„Die sind nett und freundlich“ sagt Annemarie Schulz, 76, auf der Bahnhofsstraße in Bienenbüttel, über die Fachmanns. „Jeder hat so seine Meinung“ sagt ein Mann, der namentlich nicht genannt werden will. Es störe ihn nicht, wenn jemand eine andere Meinung habe als er. So gleichmütig sehen das nicht alle im Ort, aber allen ist der Name Fachmann ein Begriff.
Welche Rolle die Familie im Ort spielt, zeigt auch ihr Haus, das prominent im Herzen der Stadt steht, direkt am Bahnhof, nur drei Gehminuten vom Rathaus entfernt. Bis in die 2000er betrieb hier der alte Fachmann eine Apotheke. Heute ist es eine Bäckerei. Von außen ist das Haus gleich zu erkennen: Ins Gebälk sind nicht nur die Namen von Wolfgang Fachmann und seiner Frau Helga eingelassen, sondern auch eine Wolfsangel, ein beliebtes Symbol bei völkischen Rechten. Das Zeichen ist nicht per se verboten, aber die Verwendung im Kontext von rechtsextremistischen Organisationen kann in Deutschland strafbar sein.
„Ob die Zeichen dort mit heutigem Stand sichtbar sind oder nicht, wird von uns nicht kontrolliert und entzieht sich daher unserer Kenntnis“, sagt eine Sprecherin der Gemeinde Bienenbüttel auf Nachfrage der taz. Kurz nach Veröffentlichung des Beitrags von Spiegel TV vor zwei Jahren verurteilte die Gemeinde in einem Statement „Extremismus aufs Schärfste und in jeder Form, egal ob links, rechts oder gar religiös motiviert“.
Ein Bündnis kritisiert schon länger, dass die Gemeinde sich nicht klar zu den Völkischen positioniere und fordert, als sichtbares Zeichen ein „Kreuz ohne Haken“ am Rathaus anzubringen. Im September hat das Bündnis dem Bürgermeister Merlin Franke (CDU) eine Petition mit mehr als 700 Unterschriften übergeben. Der hielt sich bedeckt und verwies an den Gemeinderat. Dort hatten SPD und Grüne schon 2023 einen ähnlichen Antrag eingebracht. Der sei danach aber nicht wieder thematisiert worden, berichtet die lokale Allgemeine Zeitung. Auf taz-Nachfrage sagt eine Gemeindesprecherin, das Thema solle 2025 im Rat besprochen werden. Die Behandlung sei dadurch verzögert, dass dem Rat die Unterschriftenlisten der Petition noch nicht vorlägen.
Für Martin Raabe ist das eine „etwas blasse Verzögerungstaktik“. Dabei ginge es auch anders. Die Gemeinde Lüchow-Dannenberg im benachbarten Wendland etwa hat ein Kreuz am Rathaus angebracht.
Nicht alle freuen sich über „Kreuze ohne Haken“. Von Anfang an wurden welche geklaut. Einmal gestalteten Unbekannte eins zu einem Hakenkreuz um. In diesem Sommer aber habe es eine richtige Diebstahlwelle gegeben, sagt Martin Raabe. Kreuze wurden beschmiert, verunstaltet, zwei mal steckten Messer vor ihnen im Boden. „Das ist nicht nur Sachbeschädigung von zwei Brettern, das ist politisch“, sagt Raabe.
Der Polizeidirektion Lüneburg/Uelzen sind die Fälle bekannt. Es seien Anzeigen über geklaute Kreuze „in geringer zweistelliger Zahl“ eingegangen, schwerpunktmäßig aus den Landkreisen Uelzen und Lüchow-Dannenberg, sagt ein Sprecher der taz. Sie würden vom Staatsschutz bearbeitet. Zu möglichen Tätern könne man sich nicht äußern, weil die Ermittlungen noch laufen.
„Wir werden die nicht wegkriegen“ sagt Monville-Raabe über die Völkischen in der Region. „Und das ist ja auch nicht das Ziel“, sagt ihr Mann. Sondern es gehe darum, die große schweigende Mehrheit aufzuwecken. „Die sollen sich positionieren.“
Auf die Diebstahlwelle aus dem Sommer hat das Netzwerk „beherzt“ mit der Aktion „immer eins mehr“ reagiert. Jede Person, die einen Fall bei der Polizei anzeigt, bekommt kostenlos zwei neue Kreuze. „Das ärgert die“, sagt Martin Raabe und gluckst.
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