piwik no script img

Misstrauensvotum in ÖsterreichKurz zieht den Kürzeren

Sebastian Kurz hat den Misstrauensantrag der Opposition nicht überstanden. Auch der bisherige Koalitionspartner FPÖ stimmte gegen ihn.

Nicht überraschend, aber jetzt ist er wohl nicht mehr Kanzler: Sebastian Kurz Foto: reuters

Wien taz | Österreich hat seine Regierung verloren. Sebastian Kurz beobachtete mit steinerner Miene, wie die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures am Montag um 16:15 seine Absetzung als Bundeskanzler verkündete. Mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt wurde ihm im Nationalrat das Misstrauen ausgesprochen. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik wurde damit ein Misstrauensantrag gegen ein Regierungsmitglied angenommen.

Ausgelöst wurde die Krise vor über einer Woche durch die Veröffentlichung eines heimlich aufgenommenen Videos. Auf dem ist der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zu sehen, wie er einer vermeintlichen russischen Oligarchin unter anderem Staatsaufträge, Mehrheitsanteile an der einflussreichen Kronen Zeitung und sogar Geschäfte mit dem österreichischen Trinkwasser in Aussicht stellt, wenn sie seine Partei sponsert.

Es folgte Straches Rücktritt, danach beantragte Bundeskanzler Kurz beim Bundespräsident Alexander Van der Bellen auch die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl. Mit ihm traten auch die anderen FPÖ-Kabinettsmitglieder zurück und Kurz rief Neuwahlen aus, die im September stattfinden sollen. Die vakanten Posten füllte er mit Technokraten, die fast alle seiner Partei nahestehen.

Für die Sondersitzung des Nationalrates am Montag waren zwei Misstrauensanträge angekündigt, einer von der Liste Jetzt gegen den Bundeskanzler und ein zweiter von der SPÖ gegen die gesamte Regierung. Begründung: der Bundeskanzler habe in der Krise das Parlament nicht einbezogen und allein eine ÖVP-Minderheitsregierung installiert.

Kurz hatte bei der Bestellung der Interimsminister die Opposition nicht konsultiert und ihnen Kabinettschefs aus seinem politischen Umfeld an die Seite gestellt. SPÖ-Chefin sprach vor dem Einbringen des Misstrauensantrags von einem „schamlosen, zügellosen und verantwortungslosen Griff nach der Macht“. FPÖ-Fraktionschef Herbert Kickl, vor wenigen Tagen noch Innenminister, sprach von Sippenhaft, in die Kurz die ganze Partei nach dem „Fehlverhalten von zwei Personen“ genommen habe. Für ihn war der Zugriff auf das Innenministerium für die ÖVP das wahre Motiv für das Sprengen der Regierung.

Peter Pilz von der Liste Jetzt verglich Kurz mit dem seinerzeitigen Finanzminister Karl-Heinz Grasser: „Beide haben größten Schaden angerichtet“. Grasser, gegen den noch ein Korruptionsprozess läuft, habe aus Geldgier gehandelt, Kurz aus Machtgier. Mehrere Redner erinnerten daran, dass Kurz in zwei Jahren bereits zwei Regierungen in die Luft gesprengt habe, nämlich erst als Juniorpartner der SPÖ im Mai 2017.

Der Kanzler selbst sieht sich als Opfer der „Rachegelüste“ der SPÖ und deren Versuch, sich für die Wahlen im Herbst eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen.

Jetzt ist der Bundespräsident am Zug. Laut Verfassung hat er „unverzüglich“ eine geschäftsführende Regierung zu bestellen. Das heißt, er wird wohl im Laufe des Dienstags eine Person seines Vertrauens mit der Regierungsbildung beauftragen. Das Kabinett wird dann vermutlich aus hochrangigen Beamten bestehen. Es muss sich dann einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Die SPÖ votiert Seite an Seite NPD Version Österreichs... und ich dachte die SPD Aktionen der letzten Jahre währen nicht mehr zu toppen.

    Peinlicher Kurz"Sieg" kurz nachdem die ÖVP als stärkste Partei bestätigt wurde.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Möge Herrn Kurz nun viel Zeit und Muße für seine wahren Berufungen zur Verfügung stehen.

    Das Problem ist übrigens nicht Herr Kurz selbst, sondern seine stratz****e Wählerschaft. Wie sagte André Heller einst von seinem Mutterland: Öster-arm.

  • Da darf man sehr wohl vermuten, dass er wieder kommt. Und nachdem die SPÖ und wahrscheinlich auch die FPÖ als möglicher Koalitionspartner nicht in Frage kommen, kann man nur auf ein wundersames Grünen-Wiedererstarken im Kielwasser einer erfolgreichen Europawahl hoffen.

    Recht vui mea bleibd eahna eh ned!

  • Ach, das war dann eben doch nur Kurz. Dabei war er so ein fescher Wunderwuzzi.

    magazin-forum.de/de/node/7130

    • @Rainer B.:

      war interessant, diese sondersitzung www.youtube.com/watch?v=KvX-x7OgafY oder auch tvthek.orf.at/prof...ungskrise/14015031 (die untere leiste ist ganz nützlich) und zeigte: die partei+wahlkampffinanzierung verfassungsblog.de...kampffinanzierung/ ist nicht das einzige problem, das austrakien mit der parlamentarischen demokratie hat. vielleicht gehört dem Kelsen seine verfassung doch mal gründlich überarbeitet - auch in den köpfen, aber eben nicht nur da.

      • @christine rölke-sommer:

        Danke für die Links, insbesondere den Verfassungsblog. Man begegnet heute ja ständig immer wieder dem sogenannten „Dritten“ - nicht nur bei der Wahlkampffinanzierung. Früher sprach man da meist von „Strohmännern“ bzw. „Hintermännern“, aber im Recht - so las ich zumindest - „ist ein Dritter nicht zwingend vom Vorhandensein zweier anderer Rechtssubjekte abhängig“.



        de.wikipedia.org/wiki/Strohmann

  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    Dumm nur, das die Wählerschaft ihm bei der EU-Wahl aber die Treue gehalten hat. Ich fürchte, er kommt wieder...

    • @84935 (Profil gelöscht):

      Solange Sie fürchten, besteht noch keine Gefahr.

      • @Rainer B.:

        Vielleicht bekommt die KPÖ ja eine Mehrheit und alles wendet sich zum wasauchimmer.

        • @Chutriella:

          Die KPÖ ist eine der ältesten kommunistischen Parteien der Welt. Der Bundesvorstand dieser Partei besteht zur Hälfte aus Frauen. Das ist immerhin eine Quote, von der andere Parteien nur behaupten, sie wollten sie irgendwann mal erreichen.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Rainer B.:

        Sollten Sie aber haben. Furcht haben Sie vor Kurz, und das macht Angst, wobei man nicht weiß was kommt, aber das ist auf jeden Fall bedrohlich.

        • @97287 (Profil gelöscht):

          Natürlich weiß man nie, was kommt, aber man sollte schon genauer wissen, was war - und das gilt selbstverständlich auch für Sebastian Kurz und für die FPÖ.