Misstrauensantrag im EU-Parlament: Die linke Mitte hat sich mal wieder einwickeln lassen
Ursula von der Leyen übersteht eine Misstrauensabstimmung. Das Parlament hat eine Chance verpasst, sich Respekt zu verschaffen.

D as war keine Sternstunde des Europaparlaments. In nur fünf Minuten hat die Straßburger Kammer das umstrittene Misstrauensvotum von 72 rechtslastigen Abgeordneten gegen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen abgehakt, als wäre es bloß eine lästige Pflicht. Nachdem der Antrag wie erwartet abgelehnt wurde, ging das Parlament wieder zur Tagesordnung über.
Kein Innehalten, keine weitere Aussprache. Beim Zirkus der Rechten machen wir nicht mit, erklärten die Grünen trotzig. Dabei ist mit dem Nein zu diesem Misstrauensantrag kein einziges Problem gelöst. Nur weil sich die Anhänger von Marine Le Pen, Viktor Orbán oder Alice Weidel nicht durchgesetzt haben, heißt das noch lange nicht, dass die Welt wieder in Ordnung wäre. Das Problem, nämlich Ursula von der Leyen, ist immer noch da. Die CDU-Politikerin, die die EU-Kommission selbstherrlich wie eine Königin führt, hat bisher kein einziges ihrer Wahlversprechen erfüllt. Frieden in der Ukraine, grünes Wachstum, ein fairer Deal mit Donald Trump? Fehlanzeige.
Das Misstrauen ist auch nicht weg. Das Gegenteil ist der Fall, wie eine Aussprache vor dem Misstrauensvotum gezeigt hat. Dabei wurde klar, wie groß die Zweifel selbst in der proeuropäischen Mitte geworden sind. Alle Parteien links der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der auch von der Leyen angehört, klagten lauthals. Die Parlamentsdebatte wirkte streckenweise wie eine Generalabrechnung mit der EU-Politik. Die Kommissionschefin verfüge über keine eigene Mehrheit mehr, sie folge den Rechten bei der Abwicklung des „Green Deal“ zur Klimapolitik und bei der Verschärfung der Migrationspolitik, lauteten die – berechtigten – Vorwürfe.

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Doch statt daraus endlich Konsequenzen zu ziehen und konfrontativ mit dieser rechtsoffenen und außer Kontrolle geratenen EU-Kommission umzugehen, haben sich die Parteien links der Mitte wieder einmal einwickeln lassen. Sozialdemokraten und Liberale holten sich bei von der Leyen ein paar vage Zusagen, etwa zur Sozialpolitik. Reicht das, um das verlorene Vertrauen wiederherzustellen? Ändert es irgendetwas am Rechtsruck in Europa?
Nein, es wird sich nichts ändern. Von der Leyen wird, gestützt auf ihren Parteifreund, CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz, weitermachen wie bisher. Das Parlament hat eine große Chance verpasst, sich Respekt zu verschaffen. Dies war keine Sternstunde der europäischen Demokratie, sondern ein weiterer Beweis dafür, wie schwach sie ist. Profitieren werden davon nicht die EU-Freunde, sondern, so ist zu befürchten, wieder einmal die Rechten – auch wenn sie diesmal verloren haben.
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