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Missbrauchsgesetz liegt vorMeilenstein im Kampf gegen sexualisierten Kindesmissbrauch

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

15 Jahre nach dem Bekanntwerden der massenhaften Missbrauchsfälle in der Kiche liegt jetzt ein Gesetz vor, dass sexuelle Gewalt bekämpfen soll.

Ein Klassenzimmer im Canisius-Kolleg kurz nach bekanntwerden der Missbrauchsfälle im Jahr 2010 Foto: Anja Weber

M anchmal gibt es so etwas wie kleine Wunder. Da verhärten sich gerade die Fronten in der Migrationsfrage aufs Schärfste, im Bundestag fliegen seit Tagen die Fetzen – und dann passiert ein Gesetz fast unauffällig den Bundestag: das sogenannte UBSKM-Gesetz, dessen sperriger Name sich von der Stelle der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexualisierten Kindesmissbrauchs (UBSKM) ableitet. Am Freitagabend und 15 Jahre nach Bekanntwerden des massenhaften sexualisierten Missbrauchs am Berliner Canisius-Kolleg und anderen kirchlichen Einrichtungen einigten sich die Regierungsparteien mit der Union auf einen größeren Schutz vor Missbrauch und für mehr Rechte von Missbrauchsopfern.

Das ist insofern bemerkenswert, weil das Gesetz infolge von Kriegen, Krisen, Klimadramen nicht nur nicht ganz oben auf der politischen Agenda stand, sondern im parlamentarischen Procedere immer wieder mit Rückschlägen zu kämpfen hatte. Sei es, dass der ursprüngliche Referentenentwurf recht lange mit Missachtung gestraft und der Gesetzentwurf von Ex-Finanzminister Christian Lindner blockiert wurde. Oder dass im vergangenen Frühjahr ein Termin im Bundeskabinett, bei dem das Gesetz beschlossen werden sollte, kurzfristig verschoben wurde.

Dann brach auch noch die Ampel auseinander – und Grüne und SPD, denen das Gesetz besonders am Herzen lag, setzten andere Prioritäten. Auch inhaltlich war lange über den Gesetzesinhalt verhandelt worden, denn manchen gingen die Forderungen der Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus, darunter eine regelmäßige Berichtspflicht der Missbrauchsbeauftragten gegenüber Bundestag, -rat und -regierung, schlicht zu weit.

Das erste weitreichende Gesetz

Das ist jetzt alles vom Tisch und das erste auch international weitreichende Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt an Kindern liegt vor – und darf als Meilenstein im Kampf gegen sexuelle Gewalt bezeichnet werden. Denn jetzt ist der Kampf gegen Missbrauch in Deutschland Regierungspflicht, egal in welcher Konstellation sich die nächste Koalition aufstellt.

So muss sich die nächste Regierung ernsthaft etwas einfallen lassen, um unter anderem die massiv gestiegene sexualisierte Gewalt im Netz einzudämmen und stärkere Präventionsarbeit zu leisten. Sie muss die Aufklärungskooperation zwischen Bund und Ländern stärken und diese auf die europäische Ebene ausweiten. Wie gut Prävention, Aufarbeitung und Aufklärung hierzulande laufen, erfährt die Öffentlichkeit fortan mindestens einmal jährlich, wenn die sogenannte Missbrauchsbeauftragte dem Parlament berichtet – und Forderungen stellt.

Noch immer erleben jeden Tag etwa 50 Kinder und Jugendliche in unserem Land sexualisierte Gewalt von ihren eigenen Eltern, Verwandten oder anderen Menschen, die ihnen nahe stehen, darunter in Sportvereinen, kirchlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen. Deshalb ist es wichtig, dass neben dem Amt der Missbrauchsbeauftragten auch der Betroffenenrat als politisch beratendes Gremium dauerhaft installiert wird.

15 Jahre nach dem Bekanntwerden der massenhaften Missbrauchsfälle in gesellschaftlichen Organisationen ist das Gesetz ein klares Bekenntnis zum Kinderschutz. Und eine eindeutige Verpflichtung.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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