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Missbrauch von MinderjährigenZu viele Dunkelziffern bei den Sexualdelikten

Gastkommentar von Rainer Becker

Laut Bundeskriminalamt gehen die Fälle von Kinderpornografie zurück. Das braucht eine kritische Einordnung, denn die Statistik erfasst lange nicht alles.

Po­li­zis­t:in­nen vor einer Kleingartenanlage in Münster, nachdem 2020 elf Personen in einem Pädophiliefall festgenommen wurden Foto: Lukas Schulze/getty images

D as am Donnerstag vorgestellte Bundeslagebild „Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen 2024“ wirft aus Sicht des Kinderschutzes Fragen auf.

Die Anzahl der Straftaten sexuellen Missbrauchs bleiben auf einem konstant hohen Niveau. Auffällig aber ist der scheinbare Rückgang im Bereich der sogenannten Kinderpornografie – also der Herstellung, des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischen Materials.

Die Zahlen trügen: Im Mai 2024 wurden die Mindeststrafen für Besitz und Verbreitung solcher Inhalte gesenkt. Der Besitz gilt seither nicht mehr als Verbrechen, sondern als Vergehen.

Vergehen statt Verbrechen

Rainer Becker

ist Ehren­vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe e. V., Hochschul­dozent und Polizeidirektor a. D.

Das hat weitreichende Folgen. Verfahren können nun häufiger eingestellt oder per Strafbefehl – also ohne öffentliche Hauptverhandlung – abgewickelt werden. Viele Fälle tauchen dadurch nicht mehr in der offiziellen Statistik auf, obwohl sie strafrechtlich verfolgt wurden.

Gerade bei jugendlichen Täterinnen und Tätern wäre das auf Erziehung ausgerichtete Jugendstrafrecht ein sinnvoller Ansatz, um präventiv Einfluss zu nehmen. Doch offenbar war dieser Weg zu personalintensiv.

Ermittlungserfolge dank der USA

Kritisch ist außerdem: Der Großteil der Ermittlungserfolge in diesem Bereich basiert auf Hinweisen des amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC), einer halbstaatlichen Institution.

Diese Hinweise werden mit Methoden erhoben, deren Zulassung der deutsche Gesetzgeber bislang ablehnt. Es ist die pure Doppelmoral, sich auf die Ermittlungen in anderen Staaten zu verlassen, während man angeblich aus Datenschutzgründen selbst nicht bereit ist, vergleichbare Maßnahmen zum Schutz unserer Kinder zu ergreifen.

Besonders brisant dabei ist, dass der Vertrag mit den USA über diese Zusammenarbeit im Jahr 2027 ausläuft. Wie geht es danach weiter?

Wir müssen die politische und gesellschaftliche Haltung gegenüber dem Schutz von Kindern überdenken. Es braucht Ehrlichkeit, Konsequenz und den Mut, Verantwortung nicht auszulagern, sondern selbst zu übernehmen.

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1 Kommentar

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  • Der Artikel spricht zurecht an, dass es Doppelmoral ist, sich auf die Ermittlungsarbeit aus anderen Ländern zu verlassen, weil hier Dinge wie Datenschutz wichtiger sind.

    Das betrifft aber genauso den ganzen Komplex Geheimdienstarbeit. Ein großer Teil der geplanten Terroranschläge kann nur vereitelt werden aufgrund von Hinweisen ausländischer Dienste, die mehr Rechte und Ressourcen haben.

    Deutschland kann sich weitgehende Rechte bei Datenschutz usw. nur leisten, weil wir die schmutzige Arbeit an anderer ausgelagert haben.