Minister-Äußerung: Flugzeuge zum Abschuss freigegeben
Verteidigungsminister Jung will entführte Passagierflugzeuge auch ohne Rechtsgrundlage zerstören lassen - und sich auf "übergesetzlichen Notstand" berufen.
![](https://taz.de/picture/416055/14/flugzeug-abschuss.jpg)
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) würde ein entführtes Flugzeug, das für Terrorangriffe benutzt werden soll, notfalls auch ohne gesetzliche Grundlage abschießen lassen. "Wenn es kein anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu schützen", sagte Jung dem Focus. Jung will sich dann auf "übergesetzlichen Notstand" berufen.
"Jung will wohl Gott spielen", höhnte Petra Pau, Vizechefin der Linksfraktion. FDP-Politiker Burkhard Hirsch wurde noch deutlicher: "Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Minister erklärt, er werde eine Entscheidung des Verfassungsgerichts missachten und ein Verbrechen anordnen, wenn er es für richtig hält."
Auf Klage von Hirsch hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2006 einen Passus im rot-grünen Luftsicherheitsgesetz für nichtig erklärt, der den Abschuss entführter Passagierflugzeuge im Extremfall erlaubte. Der Gesetzgeber dürfe nicht unschuldiges Leben opfern, um anderes Leben zu retten, entschied Karlsruhe. Eine derartige Regelung zur Abwehr von Terroranschlägen sei generell ausgeschlossen. Möglich sei nur eine gesetzliche Erlaubnis zum Abschuss von Flugzeugen, die ausschließlich mit Terroristen besetzt sind. Doch auch hierfür müsse zunächst das Grundgesetz geändert werden.
Mit seiner Äußerung verstößt Jung nicht gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter haben keine Anweisung für den Fall gegeben, dass ein entführter Passagier-Jet gezielt in ein AKW oder ein vollbesetztes Fußballstadion gelenkt werden soll. Sie haben nur eine gesetzliche Regelung verboten, die einen Abschuss in solchen Fällen ausdrücklich erlaubt. Schon in ihrer Entscheidung von 2006 deuteten die Richter an, dass ein Verteidigungsminister und die Piloten nach einem Abschuss straflos ausgehen könnten - wenn ein "übergesetzlicher Notstand" vorliegt. Viele halten das Karlsruher Urteil deshalb für scheinheilig.
Auch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sind solche rechtsfreien Räume zuwider. Er regte deshalb Anfang des Jahres die Einführung eines "Quasi-Verteidigungsfalles" im Grundgesetz an. Entführte Passagierflugzeuge dürften dann in einer kriegsähnlichen Situation doch mit gesetzlicher Billigung abgeschossen werden. So will er dem Verteidigungsminister und den Piloten Rechtssicherheit verschaffen. Kein Wunder, dass auch Verteidigungsminister Jung den Vorstoß Schäubles gestern unterstützte.
Abgelehnt wird eine so weit gehende Grundgesetzänderung nach wie vor von der SPD, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz hält eine Verfassungsänderung für überflüssig, weil die Bundeswehr heute schon aus dem Ausland kommende Flugzeuge "zur Verteidigung" abschießen dürfe. Justizministerin Brigitte Zypries lehnt dagegen jede Ausweitung und Neuinterpretation des Verteidigungsfalles ab. Ein Verteidigungsminister könne sich beim Abschuss eines Jets nur auf sein Gewissen berufen. Wie das Franz Josef Jung gestern ankündigte.
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