Milliardenkosten für Gratis-FFP2-Masken: Leicht zu überzeugen
Stolze 6 Euro pro Maske bekamen Apotheken vom Staat. Jens Spahn steht dafür in der Kritik. Beteiligt war aber auch das Ministerium von Olaf Scholz.
Allerdings: An der Preisgestaltung waren in der Bundesregierung auch die Sozialdemokrat*innen beteiligt. Laut Unterlagen, die der taz vorliegen, kam dem SPD-geführten Finanzministerium die Gewinnmarge für die Apotheken zunächst zwar erstaunlich hoch vor. Eine vierzeilige E-Mail des Gesundheitsministeriums reichte dann aber, um das Haus von Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz umzustimmen.
Das Maskenprogramm, um das es geht, startete im Dezember. 27 Millionen Personen mit erhöhtem Coronarisiko durften erst je drei und später weitere zwölf Gratismasken aus den Apotheken abholen. Wie das Gesundheitsministerium auf den Erstattungspreis von zunächst 6 Euro gekommen war, hatte der NDR im März recherchiert: Die Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) hatte im Auftrag der Regierung auf Onlineportalen einen Durchschnittspreis von 4,29 Euro ermittelt, das Ministerium schlug dann noch mal 1,71 Euro drauf.
Anderswo gab es die Masken allerdings schon damals deutlich günstiger. Die Drogeriekette Rossmann hatte sie im Dezember zum Beispiel für 3,50 Euro im Angebot.
Internen Mailverkehr veröffentlicht
Den Erstattungspreis von 6 Euro für die Apotheken schrieb die Bundesregierung in einer Verordnung fest. Den Entwurf dafür hatte das Gesundheitsministerium am 9. Dezember an die übrigen Ressorts verschickt. Den darauf folgenden Mailverkehr mit dem Finanzministerium erlangte die taz jetzt mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes. Er ist auf der Plattform FragDenStaat.de einsehbar.
Demnach fragte eine Mitarbeiterin des Finanzministeriums nach, wie sich der Erstattungspreis von 6 Euro zusammensetze. Eine Referentin des Gesundheitsministeriums führte daraufhin zunächst den vermeintlichen Durchschnittspreis von 4,29 Euro an. „Als Quelle für die Preisinformationen wurde von ‚EY‘ das Preisvergleichsportal ‚Idealo‘ herangezogen“, schrieb sie. Hinzu kämen die Kosten, die den Apotheken durch Beschaffung, Beratung und Abrechnung entstünden. „Zudem ist zu berücksichtigen, dass von dem Erstattungsbetrag ein Anreiz ausgehen sollte, sich an der […] Abgabe der Schutzmasken zu beteiligen.“
Jetzt wurde das Finanzministerium misstrauisch. Scholz' Leute fragten nach, ob die 4,29 Euro von idealo.de der Preis für Endverbraucher*innen seien. „Dann wäre nach hiesigem Verständnis in diesem Preis bereits eine Gewinnmarge enthalten, auf welche dann weitere 1,70 Euro zugeschlagen würden.“
98 Wörter reichten aus
Die Antwort des zuständigen Referatsleiters im Gesundheitsministerium umfasste gerade mal 98 Wörter. Gerechtfertigt sei der Zuschlag auch, weil die Apotheken Hygienekonzepte umsetzen müssten, schrieb der Beamte. Und: Es sei zudem „der Aufwand zu erwähnen, der durch die notwendige Umverpackung erforderlich wird, da Packungsgrößen von drei oder sechs Masken auf dem Markt nicht erhältlich sein werden“.
Jetzt war das Scholz-Ministerium überzeugt. 44 Minuten nach Eingang der Mail erklärte es sein Einverständnis.
Ob auch Olaf Scholz selbst in den Vorgang eingebunden war, beantwortete sein Ministerium auf Anfrage der taz nicht. Die Inhalte der Verordnung, darauf legt man Wert, verantworte federführend allerdings Spahns Gesundheitsministerium.
Die Opposition lässt Scholz so einfach nicht davonkommen. „Es zeigt sich, dass die SPD dort, wo sie in der Regierung konkret eingebunden war, die überteuerte Form der Maskenverteilung über die Apotheken einfach durchgewinkt hat“, sagt Maria Klein-Schmeink, Gesundheitsexpertin der Grünen. „Das Finanzdesaster bei der Maskenverteilung hat mehrere Köche und die haben den Brei gemeinsam ordentlich verdorben!“
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