Militarisierter Naturschutz in Afrika: Krieg gegen die Wilderei
Technologie, Ausbilder, Söldner: Wie der Naturschutz in Afrika wehrhaft und aus Wilderern mutmaßliche Terroristen wurden.
E s ist Krieg da draußen“, beurteilt Michael Keigwin, Ugandas führender Elefantenforscher und Gründer der ugandischen NGO Ugandan Conservation Foundation (UCF), die Situation zwischen Rangern und Wilderern. Im Queen-Elisabeth-Nationalpark im Osten Ugandas war ein Elefant erlegt worden. Tagelang war daraufhin der ehemalige britische Elitesoldat mit einer Rangereinheit durch den Busch marschiert, um die Spuren der Wilderer ausfindig zu machen. „Wir sind auf dem Kriegspfad“, schrieb er von seiner Mission per SMS.
Der Vorfall geschah im Februar 2019. Es war das erste Mal seit zwei Jahren, dass in Uganda ein Elefant wegen seines Elfenbeins getötet worden war. Die Institution CITES, die die Umsetzung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens von 1976 überwacht, meldete 2016 zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen Rückgang der Wilderei für Elfenbein vor allem in den Ländern Ostafrikas, die aufgrund der Schifffahrtsverbindungen nach Asien am meisten betroffen waren.
Laut Schätzungen der Weltnaturschutzunion IUCN starben in Subsahara-Afrika in der Zeit von 2006 bis 2016 über 111.000 Elefanten. Die Hochphase der Elefantenjagd war im Jahr 2011. Seit 2008 nehmen die Bestände wieder zu. Ein Anstieg der Population lässt sich auch bei den Berggorillas verzeichnen. Ende 2011 vermeldete die IUCN, dass sich die Zahl der Gorillas so sehr vermehrt habe, dass sie nicht mehr unter die Kategorie critically endangered, sondern nun nur noch unter endangered, gefährdet, fallen.
Naturschutz muss wehrhaft werden. Dieses Paradigma, geboren aus dem Kampf gegen Wilderei und illegalen Handel mit Tieren, hat besonders auf dem afrikanischen Kontinent dramatische Folgen. Immer wieder gibt es Zusammenstöße zwischen lokaler Bevölkerung und schwer bewaffneten Rangern. Menschenrechtsgruppen sprechen von systematischen Repressionen. Naturschützer und Geldgeber, darunter deutsche Behörden, tun die Exzesse als bedauerliche Einzelfälle ab. Mehr unter taz.de/GrüneArmee
Dieses taz-Rechercheprojekt will das Bild über die Militarisierung des Naturschutzes vervollständigen – über Vorortrecherchen und die Untersuchung der Geldflüsse im internationalen Artenschutz.
Gefördert vom Netzwerk Recherche, der Olin gGmbH und mit dem Kartographen-Stipendium des Vereins „Fleiß und Mut“.
Die Ursachen für die massive Elefantenwilderei sind vielfältig und komplex. Und: Sie sind nicht nur in Afrika selbst zu suchen, sondern weltweit. Der Elfenbeinhandel war schon immer Teil des Welthandels, er ist ein nachfrageorientiertes Geschäft.
Masegeri Rurai, Projektmanager der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) im Serengeti-Nationalpark, erinnert sich an die nuller Jahre, als Tansania sich wirtschaftlich für Investoren aus China öffnete, die große Infrastrukturprojekte im Landesinneren bauten. Mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Engagement Chinas in Ostafrika stieg auch die Nachfrage nach Elfenbein. „Die Wilderer organisierten sich damals, plötzlich trugen sie Maschinengewehre statt Pfeil und Bogen“, berichtet Rurai. Der Tansanier ist in einem Dorf am Rande der Serengeti aufgewachsen. „Die Regierung hat die örtlichen Gemeinden beschuldigt, Teil des Problems zu sein – dabei war das für sie einfach nur schnelles Geld“, so Rurai. Johannes Kirchgatter, im WWF Deutschland für Ostafrika zuständig, erklärt, die Wilderer hätten sich infolge der Nachfrage gut ausgerüstet, auch mit Nachtsichtgeräten und Maschinengewehren. „Es waren, wie gesagt, keine armen Bauern, die versuchen, sich ihr Abendbrot ein bisschen aufzubessern oder sich vor dem Verhungern zu retten“, so Kirchgatter: „Das ist wirklich eine Mafia mit hohen Gewinnspannen.“
Diese Hochrüstung der Wilderer ist das zentrale Argument der Naturschutzorganisationen für die Notwendigkeit der Aufrüstung der nationalen Wildtierbehörden Afrikas. Über 1.000 Wildhüter seien in Afrika und Asien im vergangenen Jahrzehnt getötet worden, so eine Erhebung der IUCN aus dem Jahr 2014. Naturschutzorganisationen fordern seitdem eine bessere Ausrüstung zur Selbstverteidigung der Ranger. Ilka Herbinger vom WWF Deutschland, zuständig für das Kongobecken, erklärt, man habe als Partner eine „Sorgfaltspflicht“ gegenüber den Wildhütern, die sich verteidigen müssten.
Der WWF veröffentlichte 2018 die Studie „Life on the Frontline“ über die weltweiten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Wildhüter mit Ergebnissen einer Umfrage unter mehr als 1.300 Rangern in Afrika. Weniger als ein Viertel der Befragten gibt an, Zugang zu einer Waffe zu haben. Das Fazit der Studie lautet: Bessere Ausrüstung – von Schuhen über Funkgeräte bis hin zur Waffe – sowie bessere Ausbildung führen zu besseren Verhaltensweisen der Wildhüter.
Ein wesentlicher Grund für den Rückgang der Wilderei seit 2016 ist laut CITES jedoch nicht die Aufrüstung der Wildhüter, sondern der Importstopp für Elfenbein in China, bislang größter Abnehmer weltweit. Seitdem die Volksrepublik Ende 2016 dem Washingtoner Artenschutzabkommen beigetreten ist, sind die Weltmarktpreise für Elfenbein gesunken. Außerdem werden zunehmend illegale Elfenbeinlieferungen entlang der Handelsrouten zwischen Afrika und China sichergestellt. Im Juli 2019 wurde am Hafen von Singapur eine Containerladung mit 8,8 Tonnen Elfenbein von über 300 Elefanten mithilfe von Informationen des chinesischen Zolls beschlagnahmt. Insgesamt haben Chinas Zollbehörden im Jahr 2019 rund 1.200 Tonnen Elfenbein sichergestellt.
In Afrika loben hingegen die Akteure die Militarisierung als Grund für den Erfolg: Im Juni 2019 verkündete Tansanias Minister für Natürliche Rohstoffe und Tourismus, Hamisi Kigwangal, den „Sieg im Krieg gegen die Wilderei“. Er wiederum dankte nicht den Bemühungen des chinesischen Zolls, sondern lobte die lokalen Geheimdienstabteilungen und Anti-Wilderei-Einheiten, die gute Arbeit geleistet hätten, die „Multi-Millionen-Dollar-Tourismusindustrie des Landes zu schützen“, die zu 90 Prozent von den Wildtieren abhänge.
Trotz des Zwischenfalls im Februar 2019 mit einem erlegten Elefanten rühmt sich auch Ugandas Wildtierschutzbehörde UWA, den sogenannten Krieg gegen die Wilderei gewonnen zu haben. „Bis 2016 hatten wir ein großes Problem mit der Wilderei für Elfenbein, nicht nur mit Speeren, sondern mit Gewehren“, erläutert Eduard Asalu, Direktor des Queen-Elisabeth-Nationalparks. Doch 2016 sei das von CITES aufgelegte und von der EU finanzierte Projekt MIKE in Uganda eingeführt worden, wodurch Wildhüter ausgerüstet und trainiert wurden. „Damit konnten wir dann unsere Ranger losschicken, die den Elefantenherden gefolgt sind. Wer auch immer die Elefanten jagen wollte, traf auf unsere Ranger. Jetzt haben wir Frieden. Wir sitzen hier monatelang, ohne einen einzigen Schuss zu hören. Früher hörten wir sie täglich.“
Vom Jagd- zum Maschinengewehr
Bei der Militarisierung des Naturschutzes geht es nicht nur um die Ausrüstung mit Waffen. Sie umfasst auch Maßnahmen, die sich militärischer Taktiken, Überwachungstechnologien und militärischen Geräts bedienen, sowie die zunehmende Beteiligung – ausländischer wie nationaler – militärischer Akteure im Naturschutz- und Tourismussektor. In vielen Ländern sind die Wildtierschutzbehörden als paramilitärische Institutionen in die nationalen Sicherheitsstrukturen eingebunden. Zahlreiche Wildtierschutzbehörden haben für ihre Anti-Wilderei-Einheiten Offiziere der Armee angeheuert, die gegen Wilderer militärische Operationen planen und durchführen.
Beraten werden diese mitunter von privaten Sicherheitsfirmen. Außerdem investieren vermehrt afrikanische Armeegeneräle in Hotels und Lodges innerhalb der Nationalparks, um ihr aus Korruption erwirtschaftetes Geld zu waschen. In der führenden ugandischen Wildtierschutz-NGO UCF des britischen Elitesoldaten Keigwin sitzen sogar die höchsten Generäle im Aufsichtsrat und prägen die Entscheidungen mit.
Der Begriff Militarisierung ist unter Naturschützer unbeliebt, weil er das positive Image ankratze, so der Forscher Christopher Day, der die Militarisierungstendenzen in verschiedenen Parks Afrikas untersucht hat. Naturschützer sprechen daher lieber von „Strafverfolgung“ im Sinne einer polizeiähnlichen Tätigkeit. Doch bei der Planung von Anti-Wilderei-Operationen würden viel mehr militärische Taktiken im Sinne der „Aufstandsbekämpfung“ benutzt.
Es gibt mittlerweile zahlreiche Wissenschaftler*innen, die die Militarisierung im Naturschutz untersuchen. Führend ist darunter das Kollektiv BioSec an der Universität Sheffield, welches die Zusammenhänge zwischen Artenschutz und Sicherheit unter die Lupe nimmt. „Wir stellen fest, dass Naturschutz früher mehr ein ganzheitlicher Ansatz war“, so Francis Massé von BioSec. Doch seitdem zunehmend militärische Akteure die Entscheidungen treffen, verändere sich auch die Rolle der Wildhüter*innen. „90 Prozent seiner Zeit verbringt er [der Ranger] mit Anti-Wilderei-Operationen, fast alle finanziellen Mittel werden dafür eingesetzt und auch in der Ausbildung nehmen militärische Taktiken einen zunehmend größeren Stellenwert ein“, stellt Massé in seinen Erhebungen fest. „Die Geldflüsse der Geber gehen zunehmend in Anti-Wilderei-Maßnahmen, die jedoch teuer sind, sodass kaum mehr Mittel für Gemeindeprojekte übrig bleiben.“
Die Forscher*innen von BioSec kritisieren, dass immer mehr kostenintensive Sicherheitstechnologien im Naturschutzbereich Anwendung finden. Dies sei die langfristige Folge der zunehmenden Kommerzialisierung des Naturschutzsektors, so ihre Schlussfolgerung: Wenn Schutzgebiete sowie deren Wildtierbestand wie ein Warenkorb als Einkommensfaktor eines Staates, einer NGO oder einer Puplic-private-Partnership betrachtet werden, dann müssten die „Produkte“ – also Flora und Fauna – mit allen Mitteln geschützt werden.
Umso dringlicher wird dieser Schutz, wenn ein Großteil des Staatshaushalts vom Tourismussektor abhängt, sind sich die Wissenschaftler*innen einig. Das gilt vor allem in unsicheren Krisenregionen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in Kenia nach den Terrorangriffen zwischen 2011 und 2013, als die Touristenzahlen rapide sanken, oder auch in Uganda, wo im April 2019 eine amerikanische Touristin im Queen-Elisabeth-Park nahe der Grenze zum Kongo entführt wurde und die Geiselnehmer umgerechnet rund 450.000 Euro Lösegeld forderten. Im benachbarten, kongolesischen Virunga-Park waren im Mai 2018 zwei britische Touristen entführt worden. Daraufhin war der Park fast neun Monate geschlossen, was große Verluste erzeugte. Die Parkverwaltung investierte daraufhin in neue Sicherheitsmaßnahmen: eine speziell trainierte Leibwächtereinheit für Touristen, elektrische Zäune rund um die Lodges – Geld, das eigentlich dem Naturschutz dienen sollte.
Ein ugandischer Ranger brachte diese Veränderung in seinem Berufsbild mit einem einzigen Satz auf den Punkt: „Meine Hauptaufgabe ist nicht, die Tiere zu schützen, sondern die Einnahmen der Regierung.“ Dafür sei er von der Regierung mit einer Waffe ausgestattet worden.
Ein „Marshallplan für den Naturschutz“
Die Ausbildung und Ausstattung von Wildhütern mit militärischen Methoden und Mitteln ist in Afrika nicht neu. Bereits in den ehemaligen britischen Kolonien – darunter Kenia, Uganda, Tansania – waren die Wildtierhüter – damals Einheiten der königlichen Marine – bewaffnet. Als diese Staaten in die Unabhängigkeit entlassen wurden, wurden die Ranger verfassungsrechtlich als eine Säule des Sicherheitsapparats integriert. In Uganda trugen sie zur Zeit der Unabhängigkeit einfache Jagdgewehre, um Elefanten zu töten, die ausbrachen und Äcker und Ernten der Bevölkerung zerstörten.
Erst als sich in den 1990er Jahren bewaffnete Rebellen wie die Lord Resistance Army (LRA) im Murchison-Falls-Nationalpark oder die Allied Democratic Forces (ADF) im Rwenzori-Park verschanzten, wurden die Ranger mit Kalaschnikows ausgestattet. Bis vor wenigen Jahren wurde zur Verteidigung des Wildtierbestands in Uganda noch die reguläre Armee entsandt, so zum Beispiel auch bei den Militäroperationen 2006, durch welche die LRA aus dem Murchison-Falls-Nationalpark vertrieben wurde. Mittlerweile sind die Ranger der ugandischen Wildtierschutzbehörde UWA ähnlich gut ausgebildet und ausgestattet wie die Soldaten. Sie wurden von britischen Militärs im Anti-Terror-Kampf trainiert.
Am Beispiel des Virunga-Parks in der DR Kongo kann man die zunehmende Militarisierung ebenfalls gut nachverfolgen. Dort übernehmen die Ranger innerhalb des Parks fast vollständig die Aufgaben der Armee. Während der belgischen Kolonialzeit waren die meisten Parks in Belgisch-Kongo von Zoologen und Biologen gegründet worden, es gab zunächst keine bewaffneten Parkranger. In der Zeit des Diktators Mobutu, der die Parks als seine eigenen Jagdgründe betrachtete, wurde die Einheit der sogenannten Ecoguards als Leibgarde für seine Tiere aufgesetzt. Sie waren ihm direkt unterstellt, nicht der Armee.
Erst in den 1970er Jahren, als zunehmend mehr Finanzmittel von außen in die kongolesischen Parks flossen, wurden die Ecoguards in der Naturschutzbehörde Institut Congolais pour la Conservation de la Nature (ICCN) in die Strukturen des Tourismusministeriums integriert. Sie trugen nur vereinzelt Waffen zum Selbstschutz. Als zum Ende der Mobutu-Ära 1994 während des Völkermords in Ruanda Millionen von ruandischen Flüchtlingen aus dem Nachbarland in den Ostkongo eindrangen, waren die beiden Nationalparks – der Virunga sowie der Kahuzi-Biéga – entlang der Grenze quasi ungeschützt, sodass die Flüchtlinge Unmengen an Bäumen für Feuerholz abholzen konnten. Auch die ruandischen Völkermörder, die samt ihren Waffen in die DR Kongo geflohen waren, versteckten sich in den Wäldern und formten dort die Hutu-Miliz Forces Démocratiques de la Libération du Rwanda (FDLR), die bis heute den illegalen Holzkohlehandel kontrolliert. Laut Angaben der Virunga-Parkleitung erwirtschaftet die FDLR daraus jährlich rund 27 Millionen Euro.
Die nationale Armee war mit dem Sturz Mobutus 1996 zerfallen. Es kam in der Folge zu zahlreichen Kriegen. Inmitten des dritten Kongo-Kriegs fanden 2007 Wildhüter in den Bergen des Virunga die Kadaver einer Gorillafamilie, erschossen und verstümmelt von Rebellen, wahrscheinlich der FDLR. Der belgische Gorillaforscher de Merode, damals Chef der NGO WildlifeDirect im Kongo und später Leiter des Parks, mutmaßte, die FDLR wolle die Gorillas ausrotten, damit der Nationalpark aufgegeben werde und sie den Holzkohlehandel ausweiten könne. Die Bilder der toten Tiere erzeugten einen Aufschrei – und führten langfristig zu einem verstärkten finanziellen Engagement westlicher Geber für den Virunga. Von einer militärischen Aufrüstung war noch nicht die Rede.
Der Schlüsselmoment für diese Entscheidung ereignete sich 2012. Damals schlugen Rebellen der Bewegung des 23. März (M23) mitten im Virunga-Park ihr Hauptquartier auf, direkt neben dem Hauptsitz der Parkverwaltung in Rumangabo. Doch anstatt die Gorillas zu massakrieren, boten die M23-Rebellen nun ausländischen Touristen Gorillatouren für einen Dumpingpreis von 360 Euro pro Person an und erwirtschafteten daraus Einnahmen. Der M23-Tourismusminister, Stanislas Baleke, rühmte sich damit, seine Rebellenarmee würde die Gorillas besser schützen als die Parkverwaltung. Zur selben Zeit verhandelte die britische Ölfirma SOCO in der Hauptstadt Kinshasa um Förderkonzessionen, um die Reserven unter dem Virunga-Park anzuzapfen. Der Park stand kurz vor dem Aus.
Der Virunga in der Demokratischen Republik Kongo ist aus dem 1925 von belgischen Zoologen gegründeten Albert-Nationalpark hervorgegangen und gilt so als ältester Park Afrikas, seit 1994 Unesco-Weltkulturerbe. Bekannt ist er vor allem durch seine Berggorillas.
Neben militärischen Auseinandersetzung mit Rebellen, die den Park als Rückzugsgebiet nutzten, ist der Virunga durch die Rohdung zur Holzkohlegewinnung bedroht. Unter dem Park werden große Ölvorkommen vermutet. Über eine mögliche Öl-Förderung wird heftig diskutiert.
„Einen Marshallplan für den Ostkongo“ nannte US-Milliardär und Ex-Coca-Cola-Direktor Howard Buffett damals seinen Rettungsplan. 2015 erzählte er, wie er mit dem belgischen Prinzen de Merode, mittlerweile Direktor des Virunga-Nationalparks, im Jahr 2012 abends am Kamin in einer leeren Fünf-Sterne-Lodge die Idee ausgebrütet hatte. Es war das dritte Mal, dass der Hobbynaturschützer Buffett in den Kongo gereist war, um „endlich einmal die Gorillas zu sehen“. Vergeblich, denn wieder herrschte Krieg. „Wir konnten von Weitem das Feuergefecht hören“, erinnert sich Buffett.
Buffett erklärte: Der Park sei nur zu retten, wenn es Frieden gäbe, damit Touristen kämen. Doch dazu musste eine Lösung für die Rebellen gefunden werden. Die M23-Offiziere kamen abends in die Lodge zum Whiskeytrinken. Howard Buffett lud M23-Rebellenchef Sultani Makenga kurzerhand ein und bot ihm an, seine Rebellenarmee als Parkwächter einzustellen, um gegen rivalisierende Milizen wie die FDLR vorzugehen. Doch Makenga lachte nur: „Ich kämpfe für politische Ziele und nicht für Gorillas“, sagt er. Die Idee floppte. Buffett und de Merode entschieden daraufhin, eine spezielle Rangereinheit zu trainieren, die es mit den Rebellen aufnehmen konnte.
Ranger der Quick Response Unit
Von britischen, belgischen und französischen Militärtrainern wurde daraufhin eine aus 300 Soldaten bestehende Spezialtruppe ausgebildet: die sogenannte Quick Response Unit (QRU), die „Schnelle Eingreiftruppe“. Sie wurde besser geschult als die Soldaten der Armee und war zu Beginn vom Verteidigungsministerium unabhängig. Ausgestattet mit Scharfschützengewehren, Raketenwerfern und Nachtsichtgeräten, wurden die Ranger in den Krieg geschickt. Dies machte das Verteidigungsministerium in Kinshasa hellhörig. Kongos führende Generäle argwöhnten, der US-amerikanische Milliardär und der belgische Parkdirektor würden eine Privatarmee aufbauen. Im Dokumentarfilm „Guns for Hire“ muss sich auch der Vertreter der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF), die damals noch den Virunga unterstützte, die Frage gefallen lassen, ob er eine „Armee für Frankfurt“ im Kongo trainiere.
Ende 2014, kurz nach der Oscarnominierung des Netflix-Films „Virunga“, geriet de Merode mitten im Park in einen Hinterhalt. Er überlebte nur knapp mit fünf Kugeln im Leib. Als er wenige Monate später wieder Interviews gab, wurde er von zwölf schwer bewaffneten Leibwächtern begleitet. Sie trugen Maschinengewehre und Panzerfäuste. Aus dem Naturschützer war der Kommandant einer paramilitärischen Truppe geworden.
Durch ein Dekret des Premierministers wurde 2015 schließlich das kongolesische Naturschutzinstitut ICCN reformiert und ebenfalls unter die Hoheit des für Korruption und Kriegsverbrechen berüchtigten Verteidigungsministeriums gestellt. Sämtliche Ecoguards wurden dadurch in die nationalen Sicherheitsstrukturen integriert. Es wurde das Ziel formuliert, die Zahl der Ecoguards landesweit von 4.000 auf 10.000 zu erhöhen. Oberste Funktionen der neu ausgebildeten QRU-Einheiten sei der „Kampf gegen die Wilderei“ und „andere Verbrechen“ in den Schutzgebieten, so das Dekret. Mittlerweile planen und exekutieren die QRU-Offiziere entweder eigenständig oder gemeinsam mit der Armee militärische Operationen gegen Milizen innerhalb des Parks, wobei die QRU-Offiziere auch gegenüber der Armee die Befehlshoheit innehaben. Kongos einst unbewaffnete Ecoguards ziehen mittlerweile mit Panzerfäusten durch den Dschungel.
Die Demokratische Republik Kongo (DRC) ist seit 1960 von Belgien unabhängig. Seit 1996 beherrschen bewaffnete Konflikte das Land, es gibt über 150 Milizen. Die meisten haben sich in den dichten Wäldern verschanzt.
In der DRC sind zehn Schutzgebiete als Nationalparks ausgewiesen. Der bekannteste ist seit 1925 der Virunga, der älteste des Kontinents. Die Finanzierung kommt fast vollständig von internationalen Gebern. Es ist geplant, die Schutzgebiete von derzeit 10 Prozent der Landmasse auf 20 Prozent auszuweiten.
Viele Wildhüter im Virunga-Park sagen, ihre Arbeit habe sich durch diese Reform grundlegend geändert: „Ich wollte Ecoguard werden, wie mein Großvater und mein Vater“, so einer der QRU-Ranger. „Doch anstatt die Natur und die Tiere zu schützen, haben sie mich zur Kampfmaschine gemacht.“ Heute – nach über zwei Jahren Kampferfahrungen – ist er ernüchtert: Er leide an posttraumatischem Stress. „Mit Naturschutz hat mein Job fast gar nichts mehr zu tun“, klagt er. In seinen zwei Dienstjahren habe er keinen einzigen Gorilla zu Gesicht bekommen, dafür aber unzählige Menschen erschossen.
Elfenbein – das weiße Gold des Dschihads
Zur gleichen Zeit, als die Schnelle Eingreiftruppe (QRU) der Naturschutzbehörde ICCN gegründet wurde, wurden 2012 im ostkongolesischen Garamba-Nationalpark die Kadaver von 26 Elefanten entdeckt. Anstatt ihrer Stoßzähne klafften blutige Stümpfe. Es war eines der größten Massaker der jüngsten Zeit. Der Garamba-Park galt einst als Kronjuwel unter Diktator Mobutus Jagdgebieten. Auch der ehemalige bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß war in den 1980er Jahren dort zur Elefantenhatz.
2005 hatte die Naturschutz-NGO African Parks, die mittlerweile 16 Parks auf dem afrikanischen Kontinent verwaltet und diese als Public-private-Partnership zu profitorientierten Unternehmen umstrukturiert, den Garamba-Park übernommen und wollte ihn mithilfe des Tourismus finanziell auf Vordermann bringen. Dann hatten sich 2006 die LRA-Rebellen in den dichten Wäldern eingenistet, nachdem sie aus Uganda geflohen waren. Kurz nach der Entdeckung der Kadaver bezeichnete African Parks den Garamba als „Ground Zero“.
Der Nationalpark Garamba wurde 1938 gegründet, seit 1980 ist er Unesco-Weltkulturerbe. Der Park war in den späten 1990ern Rückzugsraum für Rebellengruppen, vor allem aus Uganda und Sudan. Es kam zu mehrfachen Militäroperationen.
Seit 2005 wird er von der NGO African Parks verwaltet, die sich aus Geldern von der EU und Weltbank finanziert. Die Bundesregierung beteiligt sich durch die Bereitstellung des Stiftungskapitals für den Okapi-Treuhandfonds. Dieser soll durch Finanzmarktspekulationen Rendite für den laufenden Unterhalt der Parks abwerfen.
Schnell wurden Vermutungen laut, LRA-Rebellen hätten die Elefanten erlegt. Die ugandische Miliz war gerade von US-Behörden zur Terrororganisation deklariert worden. Es war die Hochphase des weltweiten Kriegs gegen den Terror, auch in Afrika. 2010 hatte die somalische islamistische Miliz al-Shabaab in Ugandas Hauptstadt Kampala Bomben gezündet und 74 Menschen getötet. 2011 waren US-Spezialeinheiten über Uganda und die DR Kongo in die Zentralafrikanische Republik vorgerückt, um Konys LRA zu zerschlagen. Von seinen Stützpunkten am Horn von Afrika aus flog das US-Militär Drohnenangriffe auf Al-Shabaab-Einheiten in Somalia. 2013 griff die Miliz, die allem Anschein nach Kontakte zu al-Qaida in Afghanistan unterhielt, das von israelischen Geschäftsleuten aufgebaute Einkaufszentrum „Westgate“ in Kenias Hauptstadt Nairobi an und tötete 71 Menschen. Westliche Botschaften gaben Reisewarnungen heraus. Als Folge brach Kenias Tourismussektor ein, der immerhin rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht.
Inmitten dieser Ereignisse wurde im Mai 2012 der britische Zoologe und Gründer der NGO Save the Elephants, Iain Douglas-Hamilton, nach Washington eingeladen. Der für Afrika zuständige Senatsausschuss hielt eine Sitzung zur Problematik der Wilderei und der Sicherheit in Afrika ab. In seinem „Zeugnisbericht“ nannte Douglas-Hamilton Umsatzzahlen im Elfenbeinhandel von bis zu 9 Milliarden Euro pro Jahr. Dies sei mehr, als durch illegalen Waffen- oder Drogenhandel gewonnen würde. Als Akteure nannte er asiatische Syndikate, die nun vermehrt in Afrika tätig seien, sowie afrikanische Wilderer, die Beziehungen zu „kriminellen Gangs und Milizen in Ländern wie Sudan und Somalia“ unterhielten.
Gemeint waren die islamistische Al-Shabaab-Miliz in Somalia, die Dschandschawid-Milizen in Sudans Bürgerkriegsregion Darfur sowie die ugandische LRA unter ihrem vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gesuchten Anführer Joseph Kony, der sich zu jener Zeit in den dichten Wäldern zwischen der DR Kongo, Sudan und der Zentralafrikanischen Republik verschanzt hatte.
Der Elefantenforscher stützte seine Aussagen auf Recherchen, die Nir Kalron und Andrea Crosta zwischen 2010 und 2012 in Kenia durchgeführt hatten, einem Transitland für Elfenbein. Ihr 2011 nur in Auszügen veröffentlichter Bericht mit dem Titel „Africa’s White Gold of Jihad“ besagte, dass sich diese afrikanischen Terrorgruppen durch den Elfenbeinhandel finanzierten. Angeblich handle al-Shabaab mit rund drei Tonnen Elfenbein pro Monat.
Der Israeli Nir Kalron ist bis heute eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im Krieg gegen die Wilderei. Bereits sein Vater hatte als Oberst der israelischen Luftwaffe die kenianischen Piloten der Wildtierschutzbehörde Kenya Wildlife Services (KWS) trainiert. Der 39-jährige israelische Ex-Elitesoldat, Sicherheitsberater sowie Waffenhändler war letztlich 2013 nach einem weiteren Elefantenmassaker in der Zentralafrikanischen Republik und Kamerun nach Afrika gerufen worden. Muslimische Rebellen hatten im Dzanga-Sangha-Nationalpark über 20 Elefanten erlegt, mit Maschinengewehren und Raketenwerfern. WWF-Projektmanager Jean-Bernard Yarissem kam gerade so mit dem Leben davon, er floh in den Dschungel und versteckte sich dort im Unterholz.
Der Park war gerade dabei gewesen, sich für den Tourismus zu öffnen, und hatte im Rahmen des trinationalen Fonds FTNS Gelder aus Deutschland erhalten. Verwaltet wird der Dzanga-Sangha-Park vom WWF Deutschland und der US-NGO Wildlife Conservation Society (WCS) – die durch die Präsenz der Rebellen ihre Projekte in Gefahr sahen.
Maisha bedeutet Leben
In Tel Aviv sah Kalron die Bilder der Elefantenkadaver im Fernsehen und stieg kurz entschlossen ins Flugzeug. Der ehemalige Elitesoldat sollte im Auftrag von WWF und WCS in den Dschungel vorrücken und Rebellen verjagen. Gemeinsam mit einer Handvoll Kameraden der israelischen Spezialeinheiten durchkämmte er den zentralafrikanischen Dschungel.
Nur wenige Monate später war das Problem offenbar unter Kontrolle – zumindest im Dzanga-Sangha-Park. Was genau in diesen Tagen in den dichten Wäldern des Bürgerkriegslandes geschah, lässt sich bis heute nicht nachvollziehen. Bekannt ist, dass der WWF 2014 ein siebenwöchiges Training für Anti-Wilderei-Einheiten finanzierte, das von Kalrons Elitesoldaten durchgeführt wurde, auch im Umgang mit Waffen. 2015 meldete der WWF: „Friede ist eingekehrt im Dzanga-Sangha“.
Die Zentralafrikanische Republik (ZAR) ist seit 1960 von Frankreich unabhängig. Seit einigen Jahren herrscht dort erneut ein bewaffneter Konflikt, Rebellen haben 2013 die Regierung gestürzt, zogen sich 2014 jedoch wieder zurück.
In der ZAR gibt es fünf Nationalparks. Der 1933 gegründete Bamingui-Bangoran gehört zu den ältesten und größten in Afrika. ZAR gilt als eines der Herkunftsländer von Elfenbein und Rhinozeroshorn für den asiatischen Markt.
„Maisha bedeutet Leben“, wird auf der Webseite der Maisha Group Ltd. erklärt. Kalrons private Sicherheitsfirma, die er Ende 2012 mit Sitz in Tel Aviv gründete, ist mittlerweile die erste Adresse für die Ausbildung von Anti-Wilderei-Einheiten in Afrika. „Wir operieren nicht als private Armee oder unterlaufen die staatliche Souveränität der Länder“, erklärt Kalron seine Geschäftsidee. „Wir arbeiten mit Partnern wie der WCS in verschiedenen Hotspots zusammen, bauen Verbindungen zu staatlichen Stellen auf, um spezielle Trainings zu geben, Geheimdienstinformationen zu teilen oder gemeinsame Operationen durchzuführen.“ In einem Interview erklärte er: „Wir hatten das Gefühl, dass die Situation mit den Elefanten uns zu den Waffen gerufen hat.“
In seinem mittlerweile multinationalen Team habe er Experten für jegliche Disziplin, so Kalron: „Analysten aus israelischen Geheimdiensten, Spezialkräfte, Technikexperten.“ Sie sprächen Arabisch, aber auch afrikanische Sprachen wie Hausa und Somali. Die meisten seien jedoch keine einfachen Söldner, sondern arbeiteten für Maisha, „weil sie emotional involviert sind“.
Dzanga Ndoki wurde 1990 in der Zentralafrikanischen Republik gegründet, seit 2012 Unesco-Weltkulturerbe. Er ist Teil eines trinationalen Schutzgebiets im Dreiländereck zwischen der ZAR, Kamerun und der Republik Kongo.
Die Bundesregierung beteiligt sich an der Finanzierung dieses Großprojekts durch die Bereitstellung des Stiftungskapitals für einen Treuhandfonds, den Sangha Tri-National Trust Fund (FTNS). Dieser soll durch Finanzmarktspekulationen Rendite für den Unterhalt der Parks abwerfen.
Auch Kalrons Co-Autor, der in den USA wohnhafte Italiener Andrea Crosta, stieg in das Wildtiergeschäft ein. Der damalige Sicherheitsberater für verschiedene Regierungen in Sachen Piratenbekämpfung gründete 2012 die NGO Elephant Action League in Kalifornien, die später in Earth League International (ELI) umbenannt wurde. Seit 2014 betreibt sie die Internetseite „Wildleaks“, eine Whistleblower-Plattform gegen Wilderei, die eine „mögliche finanzielle Zuwendung von der US-Regierung“ für Informationen über Wilderei verspricht. Sein Team bestehe aus Geheimdienstlern und ehemaligen Mitgliedern der Strafverfolgungsbehörden wie des Federal Bureau of Investigation (FBI), so Crosta. Er bezeichnet ELI als „innovative gemeinnützige Organisation, die die Welten der Geheimdienste und des Naturschutzes zusammenbringen – im Dienste der Wildtiere, der Ozeane, der Wälder und der Menschen, die sie verteidigen“.
Mittlerweile sind zahlreiche Sicherheitsfirmen dieser Geschäftsidee gefolgt und haben sich auf Wildtierschutz spezialisiert. Die meisten dieser Firmen werden von ehemaligen Militärs betrieben, die ihre militärischen Fähigkeiten auf dem globalen Markt anbieten und den Naturschutzsektor als Nische für sich entdeckt haben.
Ruf zu den Waffen
Die meisten Naturschutzorganisationen haben inzwischen die Behauptung einer Verbindung zwischen Terror und Elfenbeinhandel unhinterfragt übernommen – dabei ist sie längst widerlegt. Die Akademikerin Natasha White, die 2014 einen kritischen Artikel verfasste, in dem sie die Zusammenhänge zwischen dem Krieg gegen den Terror und dem Krieg gegen die Wilderei untersuchte, kam hinsichtlich Kalrons und Crostas Engagement zu dem Schluss: „Die Rechtfertigung des Kriegs gegen die Wilderei basierte auf einer Serie unhaltbarer Annahmen.“
Wie sich herausstellte, stützten Kalron und Crosta ihre Thesen, die LRA sowie die al-Shabaab würden sich vom Elfenbeinhandel finanzieren, lediglich auf ein Gespräch mit zwei anonymen Informanten in einem Hotel in Nairobi. ELI veröffentlichte erst 2016 in einer aktualisierten Version des Berichts den einsichtigen Kommentar: „Elfenbein spielte im Gesamtbudget von al-Shabaab eine relativ kleine Rolle.“
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam 2015 auch der LRA-Experte Ledio Cakaj in seinem Bericht „Tusk Wars“ für die NGO Enough Project. Er fragte LRA-Deserteure nach dem Elfenbeinhandel. Sie bestätigten: LRA-Führer Kony würde Elfenbein gegen Waffen und Munition eintauschen. Die konkrete Menge sei schwer nachvollziehbar, aber „die Schätzungen sind recht gering im Vergleich zu anderen Wilderer-Netzwerken in der Region“. Die Deserteure nannten eine Zahl, die weit unter den im Bericht geschilderten drei Tonnen jährlich liegt, nämlich „insgesamt ungefähr 100 Stück“.
Unhaltbare Annahmen sind das eine Problem. Das andere ist die gezielte Manipulation von Informationen durch militärische Akteure, um militärische Operationen zu rechtfertigen – ähnlich der Propaganda im Krieg gegen den Terror. Wie sich nämlich im Nachhinein herausstellte, waren die 26 Elefanten im Garamba-Nationalpark gar nicht von der LRA erlegt worden. Sie wiesen Schusswunden von Scharfschützengewehren im Schädel auf. Offenbar waren sie vom Hubschrauber aus erlegt worden.
Die UN-Mission im Kongo (MONUSCO) ist im Besitz von Radaraufzeichnungen von ugandischen Armeehubschraubern, die zu jener Zeit unerlaubt in den kongolesischen Luftraum eingedrungen waren. Der Helikopter mit der Registrierungsnummer AF 605 gehörte zu Ugandas Luftwaffe, die zu jener Zeit unter amerikanischer Beratung bereits die Militäroperationen gegen die LRA jenseits ihrer eigenen Landesgrenzen anführte. LRA-Experte Titeca kommt 2019 wie viele andere Forscher zum Schluss, dass all die Falschaussagen eine „klare Agenda [haben] – nämlich Lobbyarbeit zu leisten für ugandische und amerikanische Militärs, um ihnen Zugang zur DR Kongo zu ermöglichen“.
Und diese Agenda hat Erfolg: Nur wenige Tage nach dem Elefantenmassaker 2012 verkündete die Afrikanische Union (AU) die Entsendung einer regionalen Eingreiftruppe bestehend aus 5.000 Soldaten. Mit Ugandas Spezialeinheiten an der Spitze und von 100 Beratern der US-Streitkräfte unterstützt, wurde die Jagd auf Kony letztlich zum gigantischen Plünderungsfeldzug im ressourcenreichen Drehkreuz zwischen Uganda, der DR Kongo, Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik. Sowohl ugandische als auch südsudanesische Militärs bereicherten sich am Elfenbein, ließen systematisch den Regenwald abholzen, suchten in den Minen im Wald nach Gold. Ugandas Armee verneint die Vorwürfe vehement.
Im Gegensatz zum Dzanga-Sangha-Park, wo die Wilderei unter Kontrolle gebracht wurde, gingen die Elefantenmassaker im Garamba-Park im großen Stil weiter. Dabei war auch hier Maisha von African Parks angeheuert worden, die Wilderer aktiv zu bekämpfen und die Ranger zu trainieren. Obwohl afrikaweit die Zahl der getöteten Elefanten nach 2016 deutlich zurückging, wurden allein im Garamba-Park 2017 rund 120 Elefantenkadaver gezählt. Mittlerweile sind im Garamba-Nationalpark gerade noch 1.200 Elefanten übrig. Forscher wie Titeca sind sich sicher: „Der Garamba ist ein Honigtopf für Wilderer.“ Doch die meisten von ihnen tragen Armeeuniformen der ugandischen oder südsudanesischen Streitkräfte.
Erst nachdem die Militäroperationen 2017 vorbei waren, ging die Zahl der getöteten Elefanten zurück. „In nur 18 Monaten ging die Wilderei auf Elefanten um 50 Prozent zurück – im Jahr 2018 wurden bislang nur zwei getötet“, heißt es auf der Webseite anlässlich des 80-jährigen Bestehens des Parks im Jahr 2018. Die Erzählung, nach der Terroristen mit Kampfhubschraubern Elefanten jagen würden, hat sich jedoch bis heute gehalten.
Töten und Gutes tun
Die vom Westen finanzierte Militarisierung des Natur- und Artenschutzes geht mittlerweile so weit, dass ein Teil der Spezialausbildung für die Anti-Wilderei-Einheiten Ostafrikas direkt von westlichen Militärs durchgeführt und zum Teil aus deren Verteidigungsbudgets finanziert wird.
Der Militärattaché der britischen Botschaft in Uganda erklärt: „Wir trainieren nur – die Ausrüstung kommt von den Amerikanern.“ Er habe seit 2017 acht Trainingspakete für jeweils rund 30 Ranger der verschiedenen Parks in Uganda organisiert. Die Wildhüter bekämen von der ugandischen Armee zuerst eine zehnwöchige Grundausbildung, anschließend würden drei britische Militärinstrukteure aus der Infanterie die Offiziere sowie Spezialeinheiten ausbilden.
Die Briten müssen gar nicht von weit her einfliegen: Im Rahmen des Krieges gegen den Terror sind britische Ausbilder in Kenia stationiert. Sie kommen regelmäßig nach Uganda, um Soldaten der ugandischen Armee (UPDF) für ihren Friedenseinsatz im Auftrag der Afrikanischen Union (AU) in Somalia fit zu machen. Danach reisen sie in die Nationalparks, um dort die Ranger in denselben Methoden zu unterrichten. Man erhoffe sich neben Geldern aus dem Verteidigungsbudget mehr Unterstützung aus dem ugandischen Umweltministerium (DEFRA) oder von dritten Partnern, so der Attaché. DEFRA bezahlt mittlerweile das 2018 in Malawi gestartete Trainingsprojekt für die dortigen Parkranger durch britische Soldaten sowie ein ähnliches Projekt in Gabun. Hier fließen internationale Gelder, die für den Naturschutz vorgesehen sind, direkt in militärische Unternehmungen im Rahmen des Kriegs gegen den Terror.
In Tansania hatte die Ausbildung der Anti-Wilderei-Einheiten einen schlechten Start. 2012, kurz nach Douglas-Hamiltons Rede im US-Senat, entschied sich eine kleine Gruppe US-Soldaten, ihre Kampferfahrungen in Ostafrika anzubieten. Sie gründeten die NGO Veterans Empowered to Protect African Wildlife (VETPAW), um „die unbestrittenen Fähigkeiten und Erfahrungen der 9/11-Veteranen zu nutzen“, wie es auf der Internetseite beschrieben wird. Ihre Mission: den Wildtierbestand in Tansania zu retten.
Die vom Sender Animal Planet produzierte Dokumentarserie „Blood Ivory“, die die Veteranen in die tansanische Savanne begleitet, erzählt von jungen Männern und Frauen mit unbehandelter posttraumatischer Stresssyndrom-Symptomatik (PTSD). VETPAW-Gründer Ryan Tate, damals gerade einmal 30 Jahre alt, erklärte, er habe sich in Afrika zu einem neuen „Krieg“ gemeldet: „Jeder leidet unter PTSD, wenn er aus einem Krieg zurückkehrt […]. Es gibt all diese Veteranen, die mit Milliarden von US-Dollar ausgebildet wurden, aber die Regierung braucht sie nicht mehr – ich habe Verwendung für sie gefunden.“
Seine Verwendung ließ sich täglich auf den sozialen Medien verfolgen, wodurch VETPAW mehr Spenden einwerben wollte. Kurz bevor die ehemalige Mechanikerin der US-Armee, Kinessa Johnson, 2015 ins Flugzeug nach Ostafrika stieg, gab sie in den USA ein TV-Interview. Sie erklärte: „Wir werden ein paar schlimme Jungs töten und was Gutes tun!“
Diese Medienöffentlichkeit wurde VETPAW letztlich zum Verhängnis. Tansanias Ministerium für Natürliche Ressourcen und Tourismus sowie die Polizei hatten VETPAW zuerst das Okay gegeben, die Ranger im Ngorongoro-Schutzgebiet und im Rungwa-Game-Reserve zu trainieren. Mit ihrer Hilfe wurden 25 Wilderer festgenommen – ein Erfolg, der von VETPAW medial ausgeschlachtet wurde. Doch damit wurden die Medien auch auf das Zitat von Johnson aufmerksam. Im Mai 2015 wurde VETPAW-Chef Tate morgens um drei Uhr in New York aus dem Bett geklingelt. Tansanias Tourismusminister Lazaro Nyalandu gab in Daressalam eine Pressekonferenz: Er sei „erschüttert“ und „enttäuscht“ über diese Aussage und erklärte die Zusammenarbeit mit VETPAW für beendet. Angaben auf der VETPAW-Internetseite zufolge ist die NGO nach wie vor in Afrika aktiv. Wo genau, das wird allerdings nicht beschrieben.
US-Botschafter Mark Childress in Tansania ließ nach dem Skandal das 403. Bataillon für zivile Angelegenheiten vom US-amerikanischen Afrika-Kommando (AFRICOM) einfliegen. „Ich sage euch eins“, erklärte er in seiner Kampfansage, „wenn ich ein Wilderer in Tansania wäre und morgens aufwachen würde und in den Nachrichten hören würde, dass AFRICOM hier ist – dann wäre das für mich eine wirklich schlechte Nachricht.“
Von 2015 bis 2018 bildeten US-Militärs mit umgerechnet rund 13 Millionen Euro aus dem Budget der Entwicklungsagentur USAID eine 300-Soldaten-starke Anti-Wilderei-Einheit für die tansanische Wildtierschutzbehörde Tansania Wildlife Management Agency (TAWA) aus. Rekrutiert wurden die Wildhüter durch die tansanische Armee. Neben Stiefeln, Ferngläsern, Taschenlampen und Uniformen erhielt TAWA Patrouillenfahrzeuge und Telekommunikationssysteme aus den USA.
Tansania ist seit 1961 unabhängig von Großbritannien, bis 1916 war es ein Teil der deutschen Kolonien Deutsch-Ostafrika. Das Land gilt seit Mitte der 1990er Jahre als stabil wenn auch mit autoritären Tendenzen. Ein Viertel der Landmasse ist als Schutzgebiete ausgeschrieben.
Das Land beheimatet einen der bekanntesten Nationalparks: die Serengeti, berühmt geworden durch den deutschen Zoologen Bernhard Grzimek. Daneben gibt es in Tansania noch 15 weitere Nationalparks. Nur etwa ein Viertel der nötigen Finanzen kommen von internationalen Geldgebern. 2019 hat die Regierung den Bau eines Staudamms im Selous-Reservat, mittlerweile Nationalpark, beschlossen.
Mit deutscher Hilfe wurden zur selben Zeit in Tansania die Wildtierschutzbehörde und Strafverfolgungsbehörden umorganisiert. Seit 2016 gibt es ein Komitee, in dem sich sowohl Vertreter der Wildtierbehörde TAWA als auch des WWF, der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF), der deutschen Entwicklungsbank KfW sowie der tansanischen Regierung und Vertretern der lokalen Bevölkerung vierteljährlich treffen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat über die KfW dafür 18 Millionen Euro für vier Jahre bereitgestellt. Haupteinnahmequelle der TAWA soll jedoch in Zukunft der Tourismus sein, so der für Tansania zuständige WWF-Vertreter Johannes Kirchgatter. Das Land hat mittlerweile ein Viertel seiner Fläche zum Schutzgebiet deklariert.
In Tansania ist die Trendwende geschafft. Symbolisch steht dafür das Urteil in einem Prozess gegen den womöglich größten Wilderer-Ring Afrikas: 15 Jahre Haft und eine Geldstrafe von umgerechnet 11,6 Millionen Euro – so lautet der Richterspruch im Fall der sogenannten Elfenbeinkönigin im Februar 2019. Das Gericht in Daressalam verurteilte sie zudem wegen Führung einer kriminellen Vereinigung.
Die Chinesin Yang Fenglan galt jahrzehntelang als die Patin eines Mafiarings aus chinesischen Investoren und Politikern, der den Elfenbeinhandel aus Ostafrika nach China und Vietnam wie ein Kartell dominierte und über 2,25 Millionen Euro Profit erwirtschaftet hatte. Laut Gerichtsurteil hatte sie 840 Stoßzähne zwischen 2000 und 2014 außer Landes geschmuggelt – dafür wurden 420 Elefanten getötet.
Im Zuge des Verfahrens wurde auch die Zusammenarbeit der Chinesen mit tansanischen Offiziellen im Geschäft um das Elfenbein bekannt: Als 2014 der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas Xi Jinping auf seiner ersten Auslandsreise nach Tansania geflogen war, verdoppelten sich die Elfenbeinpreise am Tag vor seiner Ankunft auf umgerechnet 631 Euro pro Kilo. Tausende Kilogramm Elfenbein wurden im Diplomatengepäck der Präsidentenmaschine nach China ausgeflogen. Ohne die tief verwurzelte Korruption in der politischen Elite in Tansania wären solche Geschäfte unmöglich, so Rebeca Sandoval von EAGLE, einer NGO, die sich gegen Korruption im Wildtiergeschäft einsetzt. Sie erklärt: „Im Handel mit Wildtierprodukten ist Korruption überall zu 100 Prozent garantiert.“
Die Game Rangers Association of Africa lobte in einer Pressemitteilung zwar das zunehmende Engagement ausländischer Ausbilder im Wildtierschutz, klagte jedoch: „Auch wenn es sich um ehrenwerte Intentionen handele, gebe es zunehmend Bedenken.“ Der Hauptkritikpunkt: Die Arbeit der Ranger unterscheide sich kaum noch von der eines Soldaten oder einer Soldatin in einem Kriegsgebiet. Der Gebrauch von Scharfschützengewehren sollte aber im Einsatz gegen Wilder*innen unmittelbar zur Verhaftung der Ranger führen, denn „Ranger müssen stets die grundlegenden Menschenrechte respektieren, wenn sie mit Verdächtigen umgehen“, so die Empfehlung.
Naturschutz 2.0
Bereits Elefantenforscher Douglas-Hamilton hatte in seiner Rede vor dem US-Senat 2012 ein ganzes militärisches Arsenal für die Parks verlangt: Hubschrauber, Flugzeuge, Drohnen, GPS-Sender, die in Wildtiere eingepflanzt werden, um via Satellitenverbindung ihre Bewegung zu verfolgen, sowie andere „Hightechlösungen“. Konkret nannte er Softwareanwendungen, die seine NGO gerade entwickle: „Ein Algorithmus, der Verletzungen und Tod“ feststellen und dann automatisch Patrouillen alarmieren könne.
Seine Forderungen waren erfolgreich: 2016 wurde in den USA das Globale Anti-Wilderei-Gesetz verabschiedet, welches letztlich die US-Entwicklungsagentur USAID beauftragte, auch in Afrika gegen die Wilderei vorzugehen. Die meisten Projekte werden von der US-NGO Wildlife Conservation Society (WCS) umgesetzt. In Paragraf 401 des Gesetzes heißt es ausdrücklich: „Die USA sollen weiterhin militärische Güter (jedoch keine signifikante Ausrüstung), Verteidigungsdienste und relevante Ausbildung von angemessenen Sicherheitskräften in die afrikanischen Länder liefern, die dem Zweck des Kampfes gegen den Wildtierhandel und die Wilderei dienen.“
Wer heute den Kontrollraum eines modernisierten afrikanischen Nationalparks betritt, glaubt seinen Augen kaum. „Es erinnert an einen James-Bond-Film oder an ‚Jurassic Park‘“, so Politikwissenschaftler Chistopher Day. Auf Bildschirmen lässt sich die Bewegung von Tieren nachvollziehen, die mit GPS-Sendern ausgestattet sind. An strategischen Wasserstellen, wo sich Tiere in großen Herden sammeln und eine leichte Beute für Wilderer darstellen, sind Überwachungskameras installiert. Ranger tragen ebenso GPS-Sender, um auch ihre Bewegung zu überwachen und sie im Notfall per Funk zu verständigen.
Dank ausgefeilter Überwachungstechnologie lassen sich Eindringlinge aufspüren: Betritt eine Wilderin oder ein Wilderer mit Handy den Park, registrieren die Funkmasten ein nicht identifiziertes Signal. Drohnen werden gestartet, um die Person ausfindig zu machen. Mittels Kleinflugzeugen, Hubschraubern oder Geländewagen können dann Anti-Wilderei-Einheiten losgeschickt werden. Diese sind mit schusssicheren Westen, Scharfschützengewehren, Nachtsicht- sowie Wärmebildkameras ausgestattet. So viele Hightechgeräte haben manch afrikanische Armeen und Geheimdienste nicht.
All diese Ausrüstung ist teuer. Ihre Anschaffung wird in der Regel über internationale Gelder zur Anti-Wilderei-Bekämpfung finanziert. Die nationalen Budgets vieler Wildtierschutzbehörden sind aus Sicherheitsgründen nicht für die Öffentlichkeit einsehbar. Daher ist es schwer zu sagen, wie viel in jeden Park investiert wird; nicht nur in die Anschaffung, sondern auch in die Wartung der Geräte sowie die Ausbildung von Experten, die mit der Technik auch umgehen können. Ugandas „Elephant Actionplan“ von 2016 bis 2026, den die Wildtierschutzbehörde UWA im Rahmen des von der Europäischen Union (EU) finanzierten MIKE-Projekts von CITES aufgesetzt hat, ermöglicht einen Einblick: Allein das Budget für die Ausbildungsprogramme – von Hundestaffeln über Geheimdienstabteilungen bis hin zu Gemeinde-Pfadfindern in den Dörfern, die den Behörden Informationen über potenzielle Wilderer liefern – umfasst 4,5 Millionen Euro.
Finanziert wird dies fast ausschließlich von westlichen Gebern. In den acht ostafrikanischen Fokusländern, die von CITES für das MIKE-Projekt auserkoren wurden – unter anderem Kenia, Tansania und Uganda –, wurde die Anschaffung der Überwachungstechnologien über ein Projekt der EU finanziert und vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC) sowie der WCS implementiert. USAID hat über die WCS wiederum von der israelischen Sicherheitsfirma Maisha durchgeführte Trainings bezahlt. Die NGO Save the Elephants setzte gemeinsam mit WCS sowie der Stiftung Earth Alliance von Leonardo DiCaprio den Elephant Crisis Fund auf, der „schnell die besten Ideen fördert“, wie auf der Webseite angepriesen wird. In den vergangenen Jahren wurden in diesem Rahmen umgerechnet rund 18 Millionen Euro ausgezahlt, um 257 Anti-Wilderei-Projekte in Afrika zu ermöglichen.
Mit der zunehmenden Technologisierung des Naturschutzes sehen mittlerweile auch Techkonzerne in Afrikas Naturschutzbehörden ihre zukünftigen Kunden: Gemeinsam mit dem WWF und einer Spende von über 4,5 Millionen Euro von Google wurden 2017 Bathawk-Drohnen an African Parks geliefert, um ein umfassendes Experiment in Malawi zu starten, welches die Wirksamkeit von Drohnen im Kampf gegen die Wilderei untersuchen soll. Seit 2017 arbeitet die Onlineplattform Instagram mit Naturschutz-NGOs wie WWF und TRAFFIC zusammen und meldet ihnen, wenn Nutzer Suchmeldungen eingeben, die in Zusammenhang mit Wilderei gebracht werden können.
Der WWF ist mittlerweile ein großer Kunde für die Drohnentechnologie. Seit 2012 testet die NGO im Rahmen seines Projekts Wildlife Crime Technology die Anwendung von Hochtechnologien im Artenschutz. Die Erfolgsgeschichten werden auf der WWF-Webseite veröffentlicht. Auch aus Deutschland werden über den WWF neue Technologien geliefert. Drohnen, Nachtsicht- und Infrarotkameras seien zwar effektiv, aber nur das i-Tüpfelchen, so Kirchgatter vom WWF Deutschland, nachdem die Wildhüter, Fahrzeuge und Stromanschluss bezahlt seien. Oft fehle es an Gummistiefeln. „Eine Militarisierung ist nicht Ziel und Lösung des Problems“, erklärt er dennoch.
Neue Kunden der Rüstungsindustrie
Afrikas führendes Rüstungsunternehmen hat die Parkbehörden als neue Kunden gewinnen können. Ivor Ichikowitz ist der Gründer und Geschäftsführer der südafrikanischen Paramount Group und einer der reichsten Unternehmer des Kontinents. Seine Firma produziert Kampfhubschrauber, Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe und gepanzerte Fahrzeuge. Zu seinen Abnehmern gehören Regime wie in Saudi Arabien und Kasachstan und neuerdings auch afrikanische Nationalparks.
Ichikowitz' Familienstiftung will sich in Zukunft für den Artenschutz in Afrika einsetzen, verkündete der Milliardär auf einem Forum in Griechenland zu Beginn 2019. Bereits 2016 lieferte Paramount Kampfhubschrauber zur Wildereibekämpfung an die National Parks Agency in Gabun. Auf der Webseite der Stiftung prangt eine lange Liste afrikanischer Parkbehörden und NGOs, die von Paramount mit Trainings und Ausrüstung versorgt wurden. Berühmt geworden ist die weltweit erste K9-Hundestaffel zum Aufspüren von Wilderern, die mithilfe von Fallschirmen aus dem Flugzeug oder Hubschrauber heraus abspringen kann.
Mittlerweile sind auch deutsche Rüstungsunternehmen an den afrikanischen Nationalparks interessiert. Der führende Rüstungskonzern Rheinmetall AG hat 2016 ein Gesamtkonzept für die Rundumüberwachung der Parks entworfen: Drohnen, Satellitenüberwachung sowie elektrische, mit Sensoren ausgestattete Zäune. Der ehemalige Entwicklungsminister und heutige Cheflobbyist von Rheinmetall, Dirk Niebel, hat dem BMZ im Jahr 2016 ein 20 Millionen Euro umfassendes Konzept für den Etosha-Park in Namibia vorgelegt, wofür sich das Unternehmen eine Anschubfinanzierung aus deutschen Steuergeldern erhoffte.
Auch mit WWF, GIZ, KfW und dem US-Außenministerium habe Niebel gesprochen. „Wir stellen wie in einem Warenhaus vor, was möglich ist“, so Niebel, ein Baukastensystem, „in dem man dann modulartig aussuchen kann, was man haben möchte und was man gebrauchen kann.“ Namibia sei ein „gutes Umfeld“, um die „teure Variante des Wildtierschutzes“ anzuwenden, heißt, die präventive Verhinderung der Wilderei sowie die Wilderer dingfest zu machen und einzusperren. „Es gibt andere Länder, da kostet die Bekämpfung der Wilderei den Preis einer Patrone.“ Das BMZ stellt jedoch auf Anfrage klar, die Rheinmetall-Vorschläge würden nicht weiterverfolgt.
Vonseiten des BMZ heißt es klar: Es werden keine militärischen Geräte geliefert. Als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei listet die Bundesregierung die Gegenstände auf, die sie seit 2009 in Kooperation mit der ZGF bereitgestellt habe. Darunter sind Kleinflugzeuge, Motorräder und Lastwagen, Satelliten‐Internet‐Verbindungssysteme, Rangeruniformen, Wärmebildkameras, Navigationsausrüstung, Funkgeräte sowie Ausrüstungsgegenstände zum Aufbau von Artenschutz‐Spürhundeeinheiten.
Ein Schießbefehl auf Wilderer?
In ihrem Aufsatz „Waging War to Save Biodiversity“ kommt die Wissenschaftlerin Rosaleen Duffy von der Forschergruppe BioSec zum Schluss: Die Zunahme militärischer Akteure im Naturschutzsektor führte in den vergangenen Jahren zu einem grundlegenden Richtungswechsel in den Naturschutzansätzen. Waren in den 1980er und 1990er Jahren noch mehr partizipative Ansätze gepflegt worden, mit denen die lokale Bevölkerung in den Naturschutzes mit einbezogen werden sollte, werden die Menschen mittlerweile zunehmend als Feinde betrachtet und die Schutzgebiete mithilfe ausgefeilter Überwachungstechnologien wie Festungen verteidigt.
Die mutmaßliche Verbindung zwischen Wilderern, Rebellen und Terroristen rechtfertigte zudem den Einsatz brutaler Methoden, der schon vor Jahrzehnten eigentlich als unhaltbar galt. Bereits 1988 hatte der damalige kenianische Präsident Daniel Arap Moi der kenianischen Wildtierschutzbehörde (KWS) einen Schießbefehl gegen Wilderer erteilt. In Simbabwe und Tansania wurden in den 1980er und 1990er Jahren gezielte Operationen gegen Wilderer in den Parks und den umliegenden Gemeinden durchgeführt, ebenfalls mit der Erlaubnis zu schießen.
Berühmt geworden ist die 1987 in Südafrika durchgeführte „Operation Lock“, die vom WWF als Anti-Wilderei-Mission finanziert wurde. Der WWF heuerte damals die private südafrikanische Sicherheitsfirma KAS Enterprises an, die enge Beziehungen zum Apartheidregime unterhielt. Sie nutzten Kampfhubschrauber, um mutmaßliche Wilderer in den Parks aufzustöbern. Bereits damals wurde bekannt, dass die KAS-Söldner vor allem Jagd auf Mitglieder der Antiapartheidbewegung, also auf politische Gegner, machten.
In Ländern wie Botswana ist diese „Shoot to Kill“-Politik, die dort 2013 ausgerufen wurde, aber keine gesetzliche Grundlage hat, nach wie vor aktuell. 2015 wurde publik, dass botsuanische Wildhüter 30 Namibier und 22 Simbabwer getötet hatten, die sie in den grenznahen Parks als Wilderer angetroffen hatten. Tshekedi Khama, Botswanas Umwelt- und Tourismusminister und Bruder des damaligen Präsidenten Ian Khama, erklärte: „Wenn du nach Botswana kommst, um zu wildern, dann besteht die Möglichkeit, dass du nicht lebend zurückkehren wirst.“
Diese Politik hatte Erfolg: Jahrelang wurde in Botswana kein Elefant erlegt. Die botsuanischen Parks galten als so sicher, dass ganze Herden aus den Nachbarländern migrierten. Das Land beherbergt mittlerweile die größten Elefantenbestände Afrikas. Als Botswanas neuer Präsident Mokgweetsi Masisi 2018 diesen Schießbefehl wieder aufhob und die Parkranger radikal entwaffnen ließ, wurden kurz darauf rund 90 Elefantenkadaver gefunden. In einer Pressemitteilung kritisierte die Regierung Medienberichte, wonach die Wilderer wieder nach Botswana gekommen seien, da dort die Ranger keine Waffen mehr tragen würden. Vielmehr sei mittlerweile die Armee beauftragt worden, gegen Wilderer vorzugehen, so die Erklärung der Regierung. Die „Shoot to kill“-Politik wurde also gar nicht aufgegeben, statt den Wildhüter übernimmt aber nun das Militär diese Aufgabe.
2018 wurde im Queen-Elizabeth-Park in Uganda eine Gruppe unbewaffneter Wilderer, die einen Büffel mit Fallen erlegt hatte, von den Rangern erwischt und erschossen. Präsident Yoweri Museveni bekräftigte daraufhin bei einem Besuch des Parks die „Shoot to kill“-Politik, tadelte aber den Parkchef Eduard Asalu mit den Worten: „Wenn jemand eine Waffe trägt, dann sollt ihr schießen – doch wenn sie nur Speere und Netze tragen, warum tötet ihr sie?“ Auch Asalu bestätigt im Interview: „Diejenigen, die bewaffnet in den Park kommen, die kann man nicht einfach verhaften. Ich denke, Sie wissen das“, sagt er und deutet damit an, dass es in diesem Fall üblich ist, auf bewaffnete Eindringlinge zu schießen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden