Militäreinsätze im Sahel: Strukturen statt Sicherheit
Um militärische Einsätze im Sahel zu rechtfertigen, werden Ängste vor Terrorismus geschürt. Das verkennt die tatsächlichen Probleme vor Ort.
Z umindest zwei Einsichten hat es im Rahmen des G5-Sahel-Gipfels in N’Djamena – Europa nahm per Videokonferenzen teil – gegeben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat betont, dass staatliche Strukturen in die besonders von Gewalt betroffenen Regionen im Sahel zurückkehren müssen. Neben Sicherheit brauche es Dienstleistungen für die Bevölkerung sowie Perspektiven. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte, der Schlüssel zum Erfolg liege bei den Regierungen der fünf Sahelstaaten, die ihren Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit fortsetzen müssten.
Das ist zwar alles andere als neu, erkennt aber immerhin indirekt an, dass die bisherige militärische Strategie ohne Einbeziehung der Bevölkerung gescheitert ist. Alleine in Mali sind im Rahmen verschiedener Missionen Tausende internationale Soldat*innen stationiert. Doch nichtstaatliche Organisationen beklagen zu Recht, dass 2020 eines der tödlichsten Jahre für Zivilist*innen war. Warum der Antiterrorkampf nicht funktioniert? Die Terroristen sind im Sahel weniger das Problem. Stattdessen sind es kaum funktionierende Staaten. Die Verantwortlichen haben bei Gewalt an den weit von den Hauptstädten entfernten Staatsgrenzen viel zu lange weggeschaut, sie haben Staatsmonopole aus der Hand gegeben und lassen ihren Sicherheitsapparat brutal agieren. Vor allem sind sie von der Bevölkerung entfremdet.
In Mali ist das während der Amtszeit von Ex-Präsident Ibrahim Boubacar Keïta, der im August 2020 gestürzt wurde, besonders deutlich geworden. Schon vor seiner Wiederwahl 2018 war klar, wie desillusioniert die Bevölkerung von der politischen Elite war. Es fehlte nur eine Alternative. Nach anfänglicher Hoffnung hatte sich unter Keïta vieles wieder verschlechtert. Vor allem hatte sich die Gewalt aus dem Norden ins Zentrum ausgebreitet. Dazu kamen Luxuseskapaden der Elite. Schlagzeilen machte vergangenes Jahr Präsidentensohn Karim, der, so war es in einem Video zu sehen, wild auf einer Luxusyacht gefeiert hatte.
In Burkina Faso zeigt sich der dysfunktionale Staat an den zahlreichen Selbstverteidigungsmilizen wie den Koglweogo. Vor Jahren gründeten sie sich, um Dörfer in ländlichen Regionen vor Viehdieben zu schützen. Mittlerweile haben die Hilfssheriffs einen staatlichen Segen und übernehmen Aufgaben der Polizei, obwohl sie keine Ausbildung haben und es mit Menschenrechten nicht so genau nehmen.
Im Süden des Nigers sowie im Norden Nigerias ist indes ein Korridor entstanden, über den Mitglieder von Terrorgruppen ausgetauscht werden. Beobachtern zufolge lassen sich über diesen Weg auch Menschen und Drogen durch die ganze Region schmuggeln. Niemandsland ist auch die Grenze nach Mali in der Region Tillabéri geworden, in der erst Anfang des Jahres mehr als 100 Menschen ermordet wurden. Für Sicherheit sorgt dort schon lange niemand mehr.
Dazu kommen weitere Herausforderungen, etwa Menschenrechtsverletzungen durch Militär und Polizei. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat seit Ende 2019 mehr als 600 Ermordungen durch Sicherheitskräfte im Zentralsahel dokumentiert, die so gut wie nie aufgearbeitet werden. Zugenommen haben Ausschreitungen zwischen verschiedenen Ethnien in Mali und Burkina Faso, die über eigene Kämpfer verfügen. Auch macht der Klimawandel der Region zu schaffen. Ausbleibende Regenfälle wie Überschwemmungen sorgen dafür, dass Lebensgrundlagen wegbrechen. Bei einem Bevölkerungswachstum von bis zu 3,6 Prozent (Niger) sind diese wichtiger denn je. Das lässt erahnen, wie komplex die Lage im Sahel ist und dass es keine einfachen – militärischen – Lösungen gibt.
Dennoch ist es leichter, alles auf den Terrorismus zu schieben, statt sich mit dem Staatsversagen auseinanderzusetzen. Dabei ist vielerorts gar nicht klar, ob hinter Angriffen Dschihadisten stecken, ob es lokale Banditen oder organisierte Verbrecherbanden sind, die ganze Regionen unter ihre Kontrolle bringen wollen, um etwa Drogen zu schmuggeln.
Um militärische Einsätze im Sahel zu rechtfertigen, werden also Ängste geschürt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte im vergangenen Jahr in einem Interview: „Die Sahelzone ist eine Schlüsselregion für Europas Sicherheit.“ Es ging wohl eher um die Sorge, dass Westafrikaner*innen weiter über das Mittelmeer nach Europa kommen. Dabei findet Migration vor allem in der Region und gemessen an absoluten Zahlen nur selten in Richtung Europa statt. Dass also ausgerechnet dort westafrikanische Terroristen künftig Anschläge verüben sollen, klingt unwahrscheinlich.
Ohnehin sind diese eher regional in Westafrika als international vernetzt. Sicher, es gibt Ausnahmen wie den aus Algerien stammende Mokhtar Belmokhtar. Er war Anführer der Bewegung Al-Mourabitoun und gilt als Drahtzieher für den Anschlag auf das Hotel Radisson Blu in Bamako im Jahr 2015. Doch Terrornetzwerke wie al-Quaida und der Islamische Staat (IS) sehen Bewegungen aus Westafrika eher als „kleine Brüder“ an, die sich erst im Terrorkampf beweisen sowie Geld und Waffen mitbringen müssen.
Auch handelt es sich in der Region weniger um überzeugte Dschihadisten, sondern mehr um Söldner, die sich den Gruppen oft infolge von psychischem Druck und Einschüchterungen anschließen oder mit der Hoffnung, zu Geld und Ansehen zu kommen. In Staaten, in denen es kaum soziale Durchlässigkeit gibt, ist das auf anderem Wege kaum möglich und in den vergangenen Jahren noch schwieriger geworden.
Deshalb müssen dringend strukturelle Probleme gelöst werden, statt ständig die Antiterrorkampf-Rhetorik zu bemühen. Dafür braucht es aber innenpolitischen Willen und umfassende Reformen. Davon ist bisher nichts zu spüren.
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