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Migrationsrechtler über politischen Kurswechsel„Hamburg lässt Afghanen im Unklaren“

Afghanischen Geflüchteten drohen Sammelabschiebungen, obwohl sich weder ihre asylrechtliche Situation noch die Konflikte im Land verändert haben.

Nach Anschlägen auf Polizisten: Soldaten der afghanischen Armee sind im Oktober auf Patroullie. Foto: Watan Yar/dpa
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Herr Brenneisen, stellen Sie in Ihrer Beratungsstelle fest, dass tatsächlich afghanische Geflüchtete abgeschoben werden?

Claudius Brenneisen: Bisher nicht, aber es kommen schon mehr Afghanen mit Ablehnungsbescheiden zu uns, das stimmt. Die Zahl der Anerkennungen afghanischer Geflüchteter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht nach unten.

Was hat sich denn rechtlich verändert?

Gar nichts. Nur die politische Motivation, afghanische Flüchtlinge abzuschieben, hat sich geändert. Es gibt jetzt das Rücknahmeabkommen mit der afghanischen Regierung, das Abschiebungen in großer Zahl zulassen soll.

Das müssen Sie erklären. Rechtlich hat sich nichts verändert und trotzdem werden AfghanInnen jetzt seltener als Flüchtlinge anerkannt?

Die Anerkennung von Asylgesuchen ist eine Sache. Die liegt bei afghanischen Flüchtlingen immer noch bei knapp 50 Prozent. Das Spannende ist, wie mit einer Ablehnung umgegangen wird. In den letzten Jahren wurden die Abschiebungen eben nicht vollzogen.

Und das könnte sich jetzt mit dem Rücknahmeabkommen ändern.

Genau.

Bild: Heike Guenther
Im Interview: Claudius Brenneisen

44, ist Rechtsanwalt und arbeitet bei der kirchlichen Beratungsstelle für Geflüchtete „Fluchtpunkt“ in Hamburg.

Aber Sie sagten auch: Gleichzeitig sinkt die Quote der Anerkennungen.

Die Anerkennungszahl lag letztes Jahr bei knapp 80 Prozent, jetzt liegt sie unter 50 Prozent. Der Grund dafür ist aus der rechtlichen Lage nicht ersichtlich. Die Zustände in Afghanistan haben sich auch nicht verbessert. Das führt eben zu dem Schluss, dass es ein politischer Kurs ist.

In Hamburg gibt es allerdings eine rechtliche Besonderheit, die sich verändert hat.

Ja, die Senatorenregelung wurde abgeschafft. 2008 hat der damalige Innensenator Christoph Ahlhaus von der CDU unter dem schwarz-grünen Senat verfügt, dass Menschen nach 18 Monaten Duldung einen Aufenthalt bekommen.

Das war bundesweit einmalig?

Jein. Es geht auf ein Bundesgesetz zurück, Paragraf 25, Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes, wo genau das drin steht. Nur Hamburg war das einzige Land, das das umgesetzt hat, auf öffentlichen Druck hin.

Diese Regelung hat der rot-grüne Senat jetzt einfach wieder abgeschafft.

Ja.

Fährt Hamburg aktuell einen besonders harten Kurs gegen Geflüchtete?

Bisher kann man das im Vergleich zu anderen Bundesländern noch nicht sagen. Aber Hamburg hat die größte afghanische Community. Wenn die jetzt verstärkt abgeschoben werden, wird sich das bemerkbar machen. Wobei – die Abschaffung der Senatorenregelung ohne jede Ankündigung oder das Aufzeigen von Alternativen war schon hart.

Welche Alternativen meinen Sie?

Bisher wusste man, auch wenn ein Asylantrag abgelehnt wurde, dass es andere Möglichkeiten gibt, um hierzubleiben. Asyl ist ja nicht die einzige Grundlage, auf der man hier bleiben kann. Gründe können sein, wenn man zum Beispiel zur Schule geht, eine Ausbildung macht oder eben Ausreisehindernisse vorliegen – wie die unsichere Lage in Afghanistan. Das ist jetzt weggefallen und alle fragen sich: „Wann geht’s los?“

Was passiert mit den Geflüchteten, die aufgrund der Senatorenregelung bleiben dürfen – wird ihnen der Status wieder aberkannt?

Wir hoffen nicht, aber das ist alles offen. Die Stadt lässt die Afghanen völlig im Unklaren darüber, wie es weitergeht.

Haben schon AfghanInnen die „freiwillige“ Ausreise angetreten, weil sie fürchten, ohnehin abgeschoben zu werden?

Das wäre mir nicht bekannt und ich kann es mir nicht vorstellen, weil Afghanistan im Ranking der Herkunftsländer von Geflüchteten aktuell auf Platz zwei liegt. Die Sicherheitslage hat sich dort nicht entspannt, sondern viele Städte und Regionen werden von den Taliban „zurückerobert“ und der sogenannte Islamische Staat (IS) ist auch schon tätig. Wir sind da in einem Zustand wie vor der Invasion westlicher Truppen. Auch die Zahl von über einer Million afghanischen Flüchtlingen im Iran spricht dagegen. Und wenn man sich die Bilder anguckt: Frauen tragen Burka und in Kabul gab es im Juli einen Anschlag auf eine friedliche Demonstration mit 80 Toten und über 200 Verletzten.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) meint, es gebe genügend „sichere Regionen“.

Aber davon auszugehen, dass wir dort sichere Verhältnisse haben, ist absurd. Seit 2009 gab es 60.000 Opfer durch zivile Anschläge. Und wenn man sich anguckt, unter welchen Sicherheitsvorkehrungen ausländische Organisationen arbeiten, spricht alles dagegen, dass es eine große freiwillige Bewegung zurück nach Afghanistan gibt.

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1 Kommentar

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  • Ein Vorgeschmack auf das, was rot-grün im Bund für die Situation von - wohl nicht nur - afghanischen Flüchtlingen bedeuten würde und Grund genug, warum die Linke sich nicht auch noch daran beteiligen sollte.