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Migrationsexpertin über Auswanderungsgründe„Es gibt keine Demokratie“

Nicht Armut treibe die Menschen aus Afrika nach Europa, sondern politische Frustration und mangelnde Freiheit, sagt Fatou Faye.

Abgefangene afrikanische Flüchtlinge und Migranten im Gasr Garabulli, Libyen Foto: Yousef Murad/ap
Interview von Katrin Gänsler

taz: Wenn in Europa über Migration gesprochen wird, dann ist in aller Regel jene von Afrika nach Europa gemeint. Dabei hat Migration innerhalb Westafrikas eine weitaus größere Bedeutung.

Fatou Faye: Es braucht einen anthropologischen Ansatz: Früher hat man das nicht als Migration verstanden. Ein Peul [Angehöriger bis heute halbnomadisch in Westafrika lebender Ethnie, Red.] beispielsweise, der von Senegal nach Mali oder Guinea geht, also dorthin, wo ebenfalls Peul leben, sieht das als sein Land an. Er sieht sich nicht als Ausländer. Anderen Volksgruppen geht es genau so.

Es gab also ein Konzept für das, was wir heute Migration nennen. Das war kein Problem. Mit der Schaffung der Nationalstaaten hat sich das geändert. Dennoch haben bis heute die meisten Menschen diese Vorstellung von Land. Bewegungen über Grenzen lassen sich kaum kontrollieren.

Wie sah es früher mit der Migration Richtung Europa aus?

Katrin Gänsler
Im Interview: Fatou Faye

Verantwortliche des Programms Migration im Westafrika-Büro der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung im senegalesischen Dakar.

Auch sie wurde einst gut geleitet und hat mehr Vor- als Nachteile gebracht. Ja, Menschen sind im Meer ums Leben gekommen. So gefährlich waren die Routen aber nicht, da die Fischer das Meer kennen. In Europa gab es Organisationen, die sich um die Ankommenden gekümmert haben. Dieser informelle Austausch wurde akzeptiert. Seitdem die Europäische Union aber viel restriktiver geworden ist, seit Frontex sind diese Routen gefährlicher geworden. Das sorgt in Senegal auch dafür, dass es eine anti-französische Einstellung und eine gewisse Abscheu gegenüber Europa gibt.

Trotzdem ist das Interesse, nach Europa auszuwandern, sehr groß.

Migration ist für beide Seiten wichtig. In jeder westafrikanischen Familie gibt es mindestens einen Migranten in Europa. Dort sind die Zuwanderer Arbeitskräfte, und ein kultureller Austausch entsteht.

Diese Sichtweise wird häufig aber nicht geteilt.

Die EU versucht, Migration zu bekämpfen, wofür viel Geld bereitgestellt wird, etwa von der EU, aber auch der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), auch der spanischen Kooperation. Dabei haben die Projekte gar nicht die erhoffte Wirkung. Die entscheidende Frage für mich ist: Warum funktioniert das nicht?

Wie lautet Ihre Antwort?

Es gibt keine Demokratie, und das frustriert die Menschen. Es ist nicht möglich, ein anständiges Leben zu führen. Es ist also nicht die Armut, die ursächlich für die Migration ist, sondern die Frustration, für die der Staat verantwortlich ist. Beispielsweise sind Milliarden [CFA] in Stadien investiert worden, auch in Straßen, von denen die ländliche Bevölkerung aber gar nichts hat. Auf der anderen Seite müssen Steuern gezahlt werden, deren Nutzen man im Alltag aber gar nicht spürt. Man möchte dorthin, wo man einen Nutzen von seiner Arbeit hat und Freiheit genießen kann.

Was kann Europa tun?

Die Europäische Union muss ihren Ansatz ändern, also die Grenzen nicht noch weiter dicht machen und Visa verweigern. Restriktionen machen die Routen nur noch gefährlicher. Es ist durchaus in Ordnung, ein Visum einzufordern. Es muss aber auch die Möglichkeit geben, überhaupt eins zu erhalten. Auch darf eins nicht vergessen werden: Menschen haben das Recht auf Migration.

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11 Kommentare

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  • Ich kann nicht ganz verstehen, warum Menschen das Recht auf Migration haben. Erschließt sich mir auch nicht aus dem Text. Weiter gedacht, hat die Menschheit das Recht, ohne Grenzen zu leben. Dem ist aber nicht so. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es sich wirklich um Demokratie handelt, was die Menschen bewegt, ihr Land zu verlassen. Wenn es darum geht, würden ja die Leute in Indien bleiben wollen. Und warum wandern Afrikaner nicht nach Indien aus (größte Demokratie der Welt). Oder warum zieht es Mexikaner in die USA? Alles nicht sehr schlüssig.

    • @Leningrad:

      > Weiter gedacht, hat die Menschheit das Recht, ohne Grenzen zu leben. Dem ist aber nicht so. <

      Was heißt "ohne Grenzen"? Grenzen trennen die Gemarkungen verschiedener Gemeinden voneinander, sie trennen die deutschen Bundesländer, sie trennen die Mitgliedsländer der EU-Staaten. Zunächst heißt das nichts anderes, als dass sie die Gültigkeitsbereiche der Gesetze und die Befugnisbereiche der Behörden abgrenzen. In diesem Sinn wird es immer Grenzen geben.



      Sie meinen aber etwas anderes: dass Grenzen die Bewegungsfreiheit begrenzen. Und das muss tatsächlich nicht sein.

      • @Francesco:

        Recht haben Sie. Die Realität sieht aber einfach anders aus. Das kann man gut oder schlecht finden, es ist aber Fakt.

  • Dazu ein paar Zahlen.

    FAZ: "Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen denkt in den meisten afrikanischen Ländern ein erheblicher Teil der Bevölkerung ans Auswandern. Laut einer Befragung von Afrobarometer erwägen durchschnittlich fast vier von zehn Einwohnern (37 Prozent) eine Emigration. Unter den 18- bis 25-Jährigen überlegt dies fast jeder Zweite. Das panafrikanische Forschungsnetzwerk Afrobarometer hat dazu in den vergangenen zwei Jahren fast 46.000 Afrikaner in 34 Ländern befragt."



    www.faz.net/aktuel...dern-16113117.html

    Die Welt wächst jährlich netto um über 83 Millionen Menschen.

    Über 60 Millionen davon in Afrika. Eine Million Menschen netto pro Woche.

    225.000 am Tag. Fast 10.000 die Stunde.

    Löst sich das Demokratieproblem in Afrika über Migration?

    Die Eurozone leidet übrigens unter einer hohen Jugendarbeitslosigkeit von 13,9 Prozent, die EU-Südländer liegen da sogar zwischen 15 und 30 Prozent. Selbst Schweden ist mit 22 Prozent dabei. Deutschland hat laut Berufsbildungsbericht über 2,1 Millionen junger Menschen zwischen 21 und 35 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung.



    de.statista.com/st...sigkeit-in-europa/

    Intelligente, humanitäre und zukunftsweisende Vorschläge zur Hilfe in Afrika kommen z. B. von der Deutschen Gesellschaft für Weltbevölkerung. dsw.org

  • Nach der logik müssten ja auch viel mehr frauen migrieren, da diese völlig eingeschränkt werden in ihrer persönlichen freiheit.



    Migration hat nunmal verschiedene Gründe, darunter gute und schlechte.

  • Ich glaube, dass das Recht, Visa zu verweigern, die Ursache für einen Gutteil der Ungerechtigkeit und Ungleichheit in dieser Welt ist. Die Profiteure sind wohlhabenden Staaten, die auf Kosten der anderen Weltbevölkerung leben.

    - Sie selbst können reisen und haben alle Freiheiten auf der Basis des Geldes, was sie in den wohlhabenden Staaten erhalten.

    - Sie drosseln die Reisen und Aufenthalte der anderen, sodass sie zwar Saisonarbeiter etc. jederzeit genug haben, aber niemals in Gefahr sind, echt teilen zu müssen.

    - Sie brauchen nichts Echtes unternehmen, um die Ungleichheit und das Elend zu beenden, weil sie sich ggf. einfach gegenüber denjenigen, die fliehen, abschotten. Sie machen ihre Grenzen dicht, lassen Leute sterben, schieben sie zurück, machen Verträge mit korrupten oder brutalen Regierungen oder Milizen, um das dreckige Geschäft zu delegieren.

    Enden könnte das Ganze nur bei Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit. Nur dann bestünde der Zwang zur Beseitigung des Elendes, weil sonst die Elenden zu den Wohlhabenden kommen und sich die Migration nicht verteilen wird.

    Ohne Herstellung von Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit werden daher Ungleichheit und Unrecht fortbestehen, sollen es sogar aus Sicht der Wohlhabenden, weil die Armut der anderen eben auch Quelle ihres Reichtums ist.

    Angst vor der Migration begründet sich daher, dass tatsächlich kein Willen besteht, die Ungleichheit zu beseitigen. Sie fürchten sich sozusagen vor den Konsequenzen ihres eigenen Handelns und setzen auf Abschottung und Gewalt, um die Ungleichheit zu erhalten.

    Auch der Klimawandel soll in seinen Folgen möglichst auf die anderen eingeschränkt werden. Wenn in Indien Hitzewellen brüten und die Getreideernte bedroht ist, empören sie sich nur, wenn Exportverbote erteilt. Womöglich besteht Angst, dass das eigene Schweinefleisch teurer werden könnte.

    Ohne Freiheit der Niederlassung für alle, kann es nie eine gerechte Welt geben.

    • @PolitDiscussion:

      Danke fuer Deinen Denkanstoss: "Enden könnte das Ganze nur bei Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit. Nur dann bestünde der Zwang zur Beseitigung des Elendes, weil sonst die Elenden zu den Wohlhabenden kommen und sich die Migration nicht verteilen wird."

  • Welches Recht auf Migration? Wer hat ein Recht darauf, in ein anderes Land einzuwandern? Kann mir jemand erklären, wo in der UN-Menschenrechtserklärung steht: Ein Mensch darf in das Land seiner Wahl einwandern?

    • @Kartöfellchen:

      Und wer gibt einem das Recht, Migration zu verweigern? Frontex etwa? Warum ist das Recht der Verweigerung als wichtiger zu bewerten? Selbige Frage gilt auch an den User Leningrad.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Wer gibt einem das Recht, Migration zu verweigern? - Haben Sie schon mal was von dem Begriff "Gesetze" gehört? Gefühltes und tatsächliches Recht auf ... ist oftmals konträr. Ich habe auch das Recht, von meinem über mir lebenden Nachbarn und insbesondere seinem rumrennenden Kleinkind in Ruhe gelassen zu werden (nur ein Beispiel)....

  • Interessant. Mit Dissidenten aus Deutschland ist es genau andersherum: einige wanderten nach Tansania aus, was man so liest.