Migration von Uganda nach Nahost: Verkauft und versklavt
Als Doreen Maghezi ihre Heimat verlässt, um als Hausmädchen zu arbeiten, träumt sie vom Auto. Jetzt ist sie zurück, schwer krank und gedemütigt.
A uf dem weitläufigen Flugfeld inmitten der ugandischen Hauptstadt Kampala werden am frühen Morgen Dutzende Ausstellungszelte errichtet, Werbebanner angebracht, Lautsprecher montiert. „Ihr sucht nach Arbeit? Ihr wolltet schon immer mal ins Ausland?“, dröhnt eine Werbestimme aus den Boxen: „Kommt und informiert euch, wir haben Tausende Arbeitsplätze weltweit!“
Ugandas Ministerium für Arbeit und Soziales hält gemeinsam mit dem ugandischen Verband der Externen Rekrutierungsfirmen (UAERA) eine zweitägige Messe ab. Das gemeinsame Ziel: jungen, arbeitswilligen Ugandern auf dem globalen Arbeitsmarkt einen Job zu vermitteln.
Schon am frühen Morgen strömen einige Dutzend junge Menschen herbei, gegen Mittag werden es mehr. Viele kommen aus abgelegenen Dörfern. „Wir suchen Fahrer, Haus- und Kindermädchen, Altenpflegerinnen oder Sicherheitskräfte“, steht auf einem Werbebanner an einem der Stände. „Wir haben Jobs in Dubai, Saudi-Arabien, Jordanien oder Oman!“, steht auf einem weiteren Plakat.
Olivia Nataluswata lässt sich am Ausstellungsstand der Firma Sipi Contours Limited einen Flyer aushändigen. Manager Robert Kaconco verwickelt sie in ein Gespräch. „Wir bieten monatliche Gehälter bis zu zwei Millionen Schilling – steuerfrei“, sagt er. Das sind umgerechnet knapp 500 Euro. Nataluswata macht große Augen. „Das ist vielversprechend“, nickt sie.
Die 25-jährige Mutter eines Kleinkinds arbeitet in einem Supermarkt in 12-Stunden Schichten. Dabei verdient die studierte Volkswirtin gerade einmal umgerechnet 85 Euro monatlich, ein Standardgehalt in Uganda. Bislang habe dies ausgereicht, weil ihr Mann einen guten Job hatte, sagt sie. „Doch seine Firma ist pleite und hat seit vier Monaten den Lohn nicht bezahlt. Wir benötigen dringend Geld für das Baby.“
„Welche Arbeitsbedingungen bieten Sie denn?“, wendet sich Olivia Nataluswata an Kaconco. Der Arbeitsvermittler nickt. Auf diese Frage ist er vorbereitet, denn dieses Thema ist im Land präsent. In den vergangenen zwei Jahren, seitdem immer mehr Firmen Jobs im Nahen Osten anbieten, wurde in Ugandas Medien über zahlreiche Schicksale von Frauen und Männern berichtet. Viele seien während ihres Auslandsaufenthalts misshandelt, vergewaltigt oder gefoltert worden.
Im September erst mussten die Leichen von fünf Ugandern nach Hause geflogen werden, aus Oman, Saudi-Arabien und Kuwait. 23 Frauen wurden Anfang Juli aus Jordanien evakuiert. Weitere 53 junge Frauen hatten sich nur wenige Tage danach in die ugandische Botschaft im arabischen Dubai gerettet. Als die Frauen nach langen Verhandlungen im September in Uganda landeten, weinten die meisten bei der Ankunft.
2017 hat ein ugandischer parlamentarischer Untersuchungsausschuss festgestellt, dass mindestens 48 Ugander im Nahen Osten innerhalb eines Jahres während ihrer Arbeit ums Leben gekommen sind. „Die Haupttodesursache war in 35 Fällen Selbstmord“, heißt es.
Träume vom besseren Leben
Eine derjenigen, die im Juli aus Jordanien zurückgekehrt ist, heißt Doreen Maghezi. Die 37-jährige alleinerziehende Mutter von fünf Kindern wurde in Kampala mit Typhus infiziert aus dem Flugzeug getragen. Zwei Wochen lang lag sie im Krankenhaus. Neben starker Dehydrierung diagnostizierten die Ärzte bei ihr eine Schwermetall-Vergiftung. „Ich wäre fast gestorben“, sagt Maghezi der taz unter Tränen.
Dabei hatte Doreen Maghezi so viele Hoffnungen, als sie im April 2019 ins Flugzeug gestiegen war: Geld für die Schulgebühren ihrer Kinder verdienen, ein eigenes Unternehmen gründen, ein Auto anschaffen, so erinnert sie sich. Maghezi hatte im vergangenen Jahr die Messe der Rekrutierungsfirmen in Kampala besucht. Nach über einem Jahr der Arbeitslosigkeit war sie damals so sehr in Geldnot, dass sie dazu bereit war, ihre Kinder bei ihrer Mutter zu lassen und für zwei Jahre im Ausland zu arbeiten.
Auf der Messe erhielt Maghezi Bewerbungsunterlagen der Firma Marphie International. „Ich hatte bereits einen Reisepass und musste nur noch einige medizinische Test machen“, berichtet sie. Sie sei zu einem Vertrauensarzt geschickt worden, einem Gynäkologen. Dieser testete sie auf Schwangerschaft, sexuell übertragbare Krankheiten sowie HIV. „Er gab mir kostenlose Vorratspackungen Anti-Baby-Pillen für zwei Jahre“, sagt sie. Damals hätte sie das noch nicht stutzig gemacht, gibt sie zu. „Sie wissen also genau, was auf die Frauen zukommt, wenn sie sie ins Ausland schicken“, schlussfolgert sie heute.
Im November 2018 unterschrieb sie den Arbeitsvertrag. Darin wurde ihr für zwei Jahre ein Monatslohn von umgerechnet rund 200 Euro zugesagt, deutlich weniger als versprochen. „Wir Mädchen haben die Verträge sehr rasch unterzeichnet, ohne die Details zu lesen“, gibt sie zu. Was sie dabei übersah, war eine Klausel im Kleingedruckten, die ihr vier Monate später zum Verhängnis wurde. Darin hieß es:, wenn sie den Vertrag vorzeitig abbreche, müsse sie das Geld für das Flugticket zurückzahlen.
Zweimal täglich fliegt die Billigairline Flydubai von Uganda aus nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emirate, ein Drehkreuz für Flüge in den Nahen und Fernen Osten. Am Check-In-Schalter des ugandischen Flughafens Entebbe stehen kurz vor dem Abflug stets mehrere hundert junger UganderInnen. Sie tragen T-Shirts mit den Logos der Rekrutierungsfirmen. Den meisten ist die Nervosität und Unsicherheit anzusehen.
Das bittere Erwachen als Haus-Sklavin
In einer dieser Reisegruppen stand am 3. April dieses Jahres Doreen Maghezi. „Bei der Ankunft in Amman empfing uns ein jordanischer Agent der Firma“, berichtet sie. Er habe ihr den Pass und das Mobiltelefon weggenommen, sagt sie, und ihr befohlen, in ein Auto zu steigen. „Als er mich dann während der Fahrt in brüchigem Englisch mehrfach ermahnte, ein nettes Mädchen zu sein, bekam ich zum ersten Mal Angst“, erinnert sie sich.
Wenn Magezhi heute von ihren vier Monaten in Jordanien erzählt, muss sie immer wieder pausieren und sich sammeln. Mehrfach hat sie Weinanfälle, dann schluchzt sie verkrampft und versteckt sich unter ihrem schwarzen Kopftuch. Die hübsche Frau mit den dunklen schönen Augen ist Christin. Doch seit ihrer Rückkehr trägt sie einen Schleier, verhüllt ihren schlanken Körper. Ihr ist das Trauma der Vergewaltigungen deutlich anzusehen, auch wenn sie darüber nicht sprechen möchte.
Dafür erzählt sie von ihrem Alltag als Hausmädchen einer wohlhabenden Großfamilie in Jordanien: Dieser begann morgens um 5.30 Uhr und endete gegen Mitternacht. Noch bevor die zehnköpfige Familie aufstand, sollte sie die Küche und die Aufenthaltsräume putzen. Es sei ein großes Haus gewesen mit bis zu acht Schlafzimmern und massiven Möbeln. Täglich sollte sie die Bodenfliesen auf Hochglanz bürsten, die goldenen Gravuren der Möbel und das Goldbesteck mit Chemikalien reinigen, die ihr die Hände verätzten und womöglich ihre Gesundheit ruinierten. „Danach hatte ich Nasenbluten, Kopfschmerzen, Atembeschwerden und mir war übel“, sagte sie.
Als sie darum bat, zum Arzt gehen zu dürfen, habe der Familienvater ihr das verweigert. „Sie gaben mir Kräutertee und Schmerzmittel und ich musste weiterarbeiten.“
Als am schlimmsten empfand Magezhi die „psychischen Misshandlungen“, wie sie es nennt. Sie habe einmal am Tag die Essensreste der Familie vorgesetzt bekommen, in welche die Kinder zuvor hineingespuckt hätten. Sie habe auf dem Sofa oder dem Boden schlafen müssen, habe das Haus nicht verlassen und ihr Handy nicht benutzen dürfen. Immer wieder sei sie zusammengebrochen und daraufhin beschimpft und geschlagen worden. Maghezi schluchzt: „Ich war so schwach, weil ich so hungrig war.“
Vier Monate lang hielt sie durch, dann brach sie zusammen. Ihr Glück, so berichtet sie: Sie fand in einem Versteck ihr Telefon, schloss sich damit im Klo ein und schickte per WhatsApp eine Videobotschaft an ihre Schwester in Uganda, während sie die Familienmutter durch die Tür hindurch bedrohte und beschimpfte, sagt sie. Ihre Schwester habe sich bei der Rekrutierungsfirma Marphie in Kampala beschwert. „Später rief mich ein Agent zurück und warf mir vor, faul zu sein“, erinnert sie sich. Er bläute Magezhi ein, dass, wenn sie den Vertrag vorzeitig abbreche, sie der Firma die Flugtickets zurückzahlen müsse – für ihre Familie unerschwinglich. Da schickte ihr die Schwester die Telefonnummer von Betty Nambooze, einer Abgeordneten des ugandischen Parlaments für Maghezis Heimatbezirk Mukono am Stadtrand von Kampala.
Notruf einer ugandischen Frau aus Saudi-Arabien
Die 50-jährige Oppositionspolitikerin Nambooze sitzt in ihrem großen Haus am Fuß eines Hügels auf einem ausladenden Sofa im Wohnzimmer. Vor ihr auf dem Tisch liegen zwei Mobiltelefone, die stetig blinken und vibrieren. Seitdem sich Nambooze für die ugandischen Frauen im Nahen Osten stark macht und der Regierung vorwirft, diese zu versklaven, steht bei ihr das Handy nicht mehr still.
Sie zeigt auf ihre WhatsApp-Nachrichtenliste: Telefonnummern mit den Länderkennungen Saudi-Arabiens, Jordaniens, der Emirate, Omans: Botschaften von verzweifelten Uganderinnen, die um Hilfe bitten, weinen, schreien – über einhundert am Tag. „Die meisten melden sich tief in der Nacht, wenn ihre Gastfamilien schlafen“, sagt Nambooze. Sie klickt auf eine Sprachnachricht mit saudi-arabischer Vorwahl. Eine Frauenstimme schluchzt leise. „Ich werde mit der Waffe bedroht und mit einem Draht geschlagen und wurde seit vier Monaten nicht bezahlt, ich weiß nicht mehr weiter“, weint die Frau. „Wenn mich niemand rettet, dann weiß ich, ich werde hier sterben.“
Hilferufe aus der arabischen Welt
Jeden Morgen hört Betty Nambooze sich Hunderte dieser Hilfeschreie an. „Wir Ugander haben eine recht geringe Selbstmordrate“, sagt sie. „In Anbetracht der hohen Suizidraten dieser Frauen im Ausland zweifle ich sehr daran, dass sie sich wirklich selbst umbringen, vor allem diejenigen, denen ich Hilfe verspreche“, sagt sie und berichtet von einer Uganderin, die beim Fensterputzen von ihrem Arbeitgeber in die Tiefe gestoßen worden sei. „Sie brach sich beim Sturz aus dem vierten Stock den Rücken und wir mussten sie notevakuieren.“
Betty Nambooze fordert ein Ende dieser Rekrutierungspolitik. „Das ist moderner Sklavenhandel“, wirft sie den Firmen vor, die sie ein „Kartell“ nennt. „Man muss sich nur mal anschauen, wem diese Firmen gehören, die damit schmutziges Geld machen“, sagt sie und zeigt mit dem Zeigefinger gen Himmel. In Uganda ist dies ein unausgesprochenes Zeichen für den engsten Machtzirkel um Präsident Yoweri Museveni.
Auf der aktuellen Liste der Firmen, die vom Arbeitsministerium für den Export von Arbeitskräften lizenziert sind, stehen 166 Namen. Ganz oben sind rund ein Dutzend Unternehmen gelistet, die direkt oder indirekt mit Musevenis Bruder Saleh verbandelt sind. Darunter befindet sich die Sicherheitsfirma Saracen, die ugandische Sicherheitskräfte für US-Militärstützpunkte in Afghanistan, Irak und Somalia anheuert. Seitdem die Regierung auch Lizenzen für andere Jobs im Ausland vergibt, vermittelt die Firma zunehmend Frauen als Hausmädchen, vor allem in den Nahen Osten.
Auf Listenplatz 58 steht die Firma Marphie, die Doreen Maghezi nach Jordanien vermittelt hat. Auch Marphie-Chefin Ruth Karungi hat einflussreiche Kontakte. Ihr Mann Henry Tukahirwa ist seit 2014 Polizeikommissar und ein enger Vertrauter von Saleh. Trotz mehrfacher Versuche ist sie für die taz nicht erreichbar. Auf einer Pressekonferenz kurz nach Maghezis Rückkehr aus Jordanien im Juli hatte Karungi erklärt: „Ich habe persönlich den Rückflug für sie gebucht, aber den hat sie verpasst“, so Karungi. Letztlich bezahlte die Regierung das Ticket.
Doreen Maghezis Rückkehr nach Uganda im Juli ist zum Politikum geworden, auch weil die schwerkranke Frau vom Flugzeug nicht direkt ins Krankenhaus gebracht wurde, sondern von der Polizei abgeführt worden war. Maghezi sagt, ihr sei von den Polizisten eingebläut worden, das Image der Firma nicht weiter zu beschmutzen.
Die Debatte über die Arbeitssklavinnen erreichte wenig später das ugandische Parlament. Dort erklärte die Staatsministerin für Gender und kulturelle Angelegenheiten, Peace Mutuuzo, schon vor vier Jahren habe die Regierung die Rekrutierung von Hausmädchen ins Ausland verboten, nachdem Berichte von Misshandlungen bekannt geworden waren. Daraufhin seien die meisten Uganderinnen illegal ins Ausland vermittelt worden. Die Zahl der Misshandlungen habe sich sogar erhöht. Viele der Frauen seien im Besitz falscher Pässe gewesen, die sie nicht als Uganderinnen auswiesen. „Es gibt also ein hohes Risiko, wenn wir ein Verbot ausstellen“, schlussfolgerte Mutuuzo, und weiter: „Der beste Weg ist also, einen Mechanismus einzuführen, welcher die Nachverfolgung dieser Arbeitsmigranten möglich macht.“
Wie sich die Rekrutierer wehren
Der Verband der Rekrutierungsfirmen UAERA hat seine Büros in einem schicken Bürohochhaus mit eigenem Fitnessraum und Kantine inmitten der Innenstadt Kampalas. Die Vorsitzende Enid Nambuya nimmt zu den Vorwürfen Stellung. „Unfälle und Tod können in jedem Arbeitsverhältnis passieren“, sagt sie. „Wenn es jedoch im Ausland geschieht, dann bekommt das eine andere Aufmerksamkeit.“ Sie wirft den Medien vor, keinen Unterschied zwischen den regulierten Firmen und illegalen Schleppern zu machen, die Frauen in Länder verschicken würden, mit welchen die Regierung gar keine Abkommen geschlossen habe, zum Beispiel dem Oman. „Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass die tödlichen Unfälle nicht Schuld der Firmen sind“, stellt sie klar.
Sie verweist auf die Regeln, die die Regierung verabschiedet habe und die der Verband garantiere: Jede Arbeitskraft im Ausland müsse Zugang zu einem Telefon haben. Die Regierung habe in den Botschaften Konsularbeamte beauftragt, mit den Frauen in Kontakt zu sein. „Wir müssen feststellen, dass die Frauen mit der arabischen Kultur und der Einsamkeit nicht klarkommen, sie werden depressiv“, sagt Nambuya. Dies habe wenig mit direkter Misshandlung zu tun. Dafür biete der Verband nun ein einwöchiges Training an, um die Frauen auf die fremde Kultur vorzubereiten. „Wir können Menschen nicht ihr Recht auf Migration verbieten, wir können die Bedingungen aber verbessern“, sagt Nambuya.
Auch Doreen Maghezi hat vor ihrer Abreise ein solches Training erhalten, Telefonkontakte und medizinische Versorgung im Notfall seien ihr zugesagt worden. „Aber manche Leute und Firmen in Uganda stehen über dem Gesetz“, sagt sie. Sie will nun eine Selbsthilfegruppe für Rückkehrerinnen gründen und einen Anwalt einschalten. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Frauen vor ihrer Abreise wissen, was auf sie zukommen kann.“
Auf der Messe in Kampala werben die Firmen mit guten Arbeitsbedingungen. Olivia Nataluswata, die Supermarktarbeiterin mit dem Kleinkind, ist skeptisch und fragt Robert Kaconco: „Man hört so viele brutale Geschichten über Misshandlungen und Tote, stimmt das denn nicht?“ Kaconco geht zur Gegenfrage über: „Sterben nicht auch Menschen bei der Arbeit in Uganda?“
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