Migration nach Italien: Fragwürdiger Kampf gegen Schleuser
Italiens Justiz geht mit Eifer gegen vermeintliche Schleuser im Mittelmeer vor. Hilfsorganisationen beschuldigen das Land, Geflüchtete abzuurteilen.
Hunderte Menschen mit ähnlichen Geschichten sitzen als vermeintliche Schleuser in Italiens Gefängnissen. Seit 2013 wurden mehr als 2.500 Personen verhaftet, viele von ihnen verurteilt, weil sie Boote übers Mittelmeer gesteuert hatten. Licht in ihr Schicksal bringt der detaillierte Report „From Sea to Prison“ („Vom Meer ins Gefängnis“), der von der Organisation Alarm Phone, der in der Flüchtlingsarbeit aktiven Vereinigung ARCI Porco Rosso aus Palermo und anderen am Freitag veröffentlicht werden soll.
Schleuser, das sind eigentlich finstere Gestalten, die sich auf dem Rücken von Flüchtlingen eine goldene Nase verdienen und nichts dabei finden, wenn Menschen ertrinken. Als Schleuser behandelt sehen sich jedoch auch diejenigen, die in den Booten den Außenbordmotor bedienen – auch wenn sie selbst bloß Flüchtlinge sind.
Das italienische Einwanderungsgesetz ist eindeutig: Wer bei der „klandestinen Einwanderung“ behilflich ist, auch ohne dafür bezahlt zu werden, erhält ein bis fünf Jahre Haft sowie eine Geldstrafe von bis zu 15.000 Euro pro Passagier. Bei erschwerenden Umständen drohen gar bis zu 15 Jahre Gefängnis. Dafür reicht es, dass die Täter als Gruppe von mindestens drei Personen gehandelt haben oder dass mindestens fünf Passagiere an Bord waren.
Während die Hintermänner, die Schleuserringe in Libyen oder der Türkei, meist unbehelligt bleiben, zeigt Italiens Justiz großen Eifer, die Bootsfahrer ausfindig zu machen, festzusetzen und abzuurteilen. Oft genug schaut sie dabei darüber hinweg, dass diese oft unter Einsatz von physischer Gewalt „angeheuert“ wurden.
15-Jähriger der Schleuserei beschuldigt
Im Interview mit den Autor*innen des Reports brachte ein Übersetzer, der Flüchtlinge vernahm, den ihm von der Polizei erteilten Auftrag auf den Punkt: Es reiche, wenn einige Bootspassagiere den Fahrer sowie seine Assistenten – einer bedient meist den Kompass, ein zweiter das Satellitentelefon – benennen. Das kann auch ein 15-Jähriger sein, der im Interview für den Report erzählt, er sei in Libyen mit Erschießung bedroht, sollte er den Auftrag nicht akzeptieren.
Aber selbst jene, die für einen „ökonomischen Vorteil“ tätig werden, entsprechen oftmals nicht dem Klischee des Schleusers. Ein junger Senegalese berichtet, er habe als „Lohn“ für seine Kapitänsdienste zwei Mitfahrer auswählen können, die gratis mitkommen durften. Er habe sich für ein krankes Mädchen aus Nigeria sowie für einen Mann entschieden, der nicht genug Geld für die Passage hatte.
Und dann sind da noch die Skipper aus der Ukraine oder anderen osteuropäischen Ländern, die als Fahrer von angeblichen Urlauberbooten in der Türkei angeheuert werden und im letzten Moment erfahren, dass sie etwa eine Gruppe von Menschen aus Syrien und Irak nach Italien bringen sollen.
Immer wieder setzt es dafür Haftstrafen – nach Prozessen, in denen die angeblichen, in der Regel mittellosen Täter meist nur von Pflichtverteidiger*innen vertreten werden, es an korrekter Übersetzung hapert, in denen sich die Staatsanwaltschaft wild entschlossen zeigt, hohe Strafen durchzusetzen, während das Ermittlungsinteresse gegenüber professionellen Schleusernetzwerken meist gering ist. Belastungszeugen unter den Migrant*innen werden einzig dazu befragt, wer das Boot gesteuert habe. Außerdem werden sie mit dem Versprechen gelockt, in Italien Aufenthaltsrecht zu erhalten.
Die Autor*innen des Reports fordern, die Bootsfahrer zu entkriminalisieren. Auch weisen sie darauf hin, dass es vorneweg Europa selbst ist, das mit seiner erbarmungslosen Abschottungspolitik die Menschen dazu zwingt, den gefährlichen und „illegalen“ Weg über das Mittelmeer zu nehmen.
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