piwik no script img

Migration aus AfrikaLibyscher Warlord hält Flüchtlinge auf

Ein Kriegsfürst in Libyen sorgt dafür, dass sich die Zahl der Migranten auf der Mittelmeerroute verringert. Ist die italienische Regierung beteiligt?

An Land hat man genug von den angespülten Leichen: Flüchtlinge nördlich von Sabratha Foto: ap

TUNIS taz | Die Zahl der geretteten Bootsflüchtlinge vor Libyen ist im August im Vergleich zum Juli um die Hälfte gesunken. Nachdem wochenlang unklar war, woran das lag, lieferte nun der Bürgermeister des Küstenortes Sabratha, Hassan Dhawadi, eine Erklärung: „Wir haben genug von den Leichen am Strand und haben den Schmugglern verboten, ihre Boote von unseren Stränden starten zu lassen.“

Sabratha, für seine römischen Ruinen bekannt, war zuvor der Hauptort gewesen, von dem aus Flüchtlinge von Schleusern ins Mittelmeer geschickt wurden. Jetzt patrouilliere an den Ständen von Sabratha rund um die Uhr eine bewaffnete Gruppe unter dem Kommando seines Krisenstabes zusammen mit „empörten Bürgern“, berichtete Bürgermeister Dhawadi dem libyschen TV-Sender 218.

Wer ist die bewaffnete Gruppe? Lokale Quellen berichten der taz von einer Vereinbarung zwischen libyschen Stammesführern, der Gemeinde und einer „Brigade 48“, die sich selbst als Teil einer noch zu gründenden Nationalgarde Libyens betrachtet. Anführer der „Brigade 48“ ist Ahmed Dabashi, der noch vor wenigen Wochen selbst zu den einflussreichsten Schmuggelbossen der Region zwischen Tripolis und der tunesischen Grenze zählte.

Zur Großfamilie Dabashi gehören schillernde Figuren wie der ehemalige UN-Botschafter Libyens und der frühere lokale Anführer des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS), Abdallah Dabashi. Der unterhielt fünf Kilometer südlich von Sabratha entfernt ein Camp, in dem IS-Kämpfer für den Kampf trainiert wurden. Das Camp wurde Anfang 2015 von US-Kampfflugzeugen bombardiert. Im Februar 2016 starb Abdallah Dabashi bei einem Angriff.

Schmugglerboss Ahmed Dabashi hatte sich mit seinem IS-Cousin arrangiert und wurde dabei angeblich Multimillionär. Dass damit auch der IS beim Geschäft mit den Migranten gut mitverdiente, nahm man in Sabratha in Kauf.

Der neue starke Mann von Sabratha

Aber zuletzt war die Allianz zerbröckelt. Nachdem die IS-Kämpfer aus vielen Städten Libyens verdrängt wurden und Gräueltaten begangen, führte Ahmed Dabashi eine Koalition gegen die „tunesischen Extremisten“ an.

Er wurde zunächst vertrieben – aber nun ist er zurück, der neue starke Mann von Sabratha. Seine Truppe residiert in der Polizeikaserne der Stadt. Vieles deutet darauf hin, dass hinter ihm Mittelsmänner der italienischen Regierung stehen. Auf lokalen Facebook-Seiten bedankt sich die Leitung des Krankenhauses von Sabratha für üppige Lieferungen von Medikamenten und Geräten bei der italienischen Regierung. Dabashi selbst präsentiert sich als Vermittler zwischen den lokalen Behörden und Rom.

Die Wende komme überraschend, so der politische Analyst Mohamed Khalil aus der libyschen Hauptstadt Tripolis. Doch gebe es für Warlords wie Dabashi gute Gründe, jetzt den Grenzwächter zu spielen: „Die Milizenführer in ganz Libyen haben Angst, auf einer geheimen Kriegsverbrecherliste zu stehen. In der Kooperation mit den italienischen Behörden sehen sie die Chance, mit weißer Weste auf der Seite der Übergangsregierung zu stehen und ihre Milizen zu legalisieren.“

Nun schicken die Schleuser ihre menschliche Ware an Strände weiter östlich

Die Verlierer dabei sind die Flüchtlinge. In umzäunten Farmen bei Sabratha versorgt der libysche Rote Halbmond nun Tausende festsitzende Migranten aus Westafrika. Halbmond-Mitarbeiter Mohamed Sifau berichtet von dramatischen Zuständen. „In den Ghettos der Schmugglerbosse lebten die Migranten schon unter unmenschlichen Bedingungen. Aber auf so viele Menschen, die ja normalerweise nur wenige Tage hierbleiben, ist niemand vorbereitet.“

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) fliegt nun verstärkt über Tripolis freiwillige Rückkehrer in ihre westafrikanischen Heimatländer. Doch immer noch gibt es Milizen in der Hauptstadt, die offiziell mit der Regierung verbündet sind, aber sich von der Schleusung von Bangladeschern und Pakistanern finanzieren. Diese kamen bisher über Sudan nach Tripolis und reisten weiter über Sabratha nach Europa. Nun schicken die Schleuser ihre menschliche Ware an Strände weiter östlich.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • [...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Darauf:

    "Aber auf so viele Menschen, die ja normalerweise nur wenige Tage hierbleiben, ist niemand vorbereitet.“

    ist kein Land vorbereitet, auch Italien nicht, auch Griechenland nicht.

    Und es wird keine Umverteilung der Flüchtlinge geben, da sich die Länder weiterhin weigern. Punkt! Schluss! Aus!

    Wie soll es weitergehen?