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Migrantinnen in DänemarkOhne Kippensammeln keine Kohle

Die sozialdemokratische Regierung will „nicht-westliche Frauen“ zu Arbeiten wie Müllsammeln verdonnern. Sonst werden Sozialleistungen gestrichen.

Ministerpräsidentin Mette Frederiksen gibt eine Pressekonferenz zum Reformgesetz Foto: Philip Davali/imago

Stockholm taz | Ein umstrittenes Beschäftigungspaket hat Dänemarks sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Dienstag vorgestellt. Dort enthalten ist eine Arbeitspflicht speziell für „nicht-westliche Einwandererfrauen“, wie Frederiksen es formulierte.

Eine für die Gesellschaft „nützliche Arbeit“ soll es sein, die gleichzeitig aber natürlich keine regulären Jobs ersetzen soll, konkretisierte Arbeitsminister Peter Hummelgaard das Programm, und nannte auch Beispiele: „Am Strand Zigarettenkippen oder Plastikabfall aufsammeln.“ Was für eine Arbeit, sei eigentlich nicht so wichtig, „Hauptsache, sie kommen aus ihren Häusern heraus.“

Zunächst sollen MigrantInnen aus dem Mittleren Osten, Nordafrika, Afghanistan und Pakistan an die Reihe kommen, die entweder neu ins Land gekommen sind oder in einem Zeitraum von vier Jahren drei Jahre im Arbeitslosengeldsystem waren, ohne eine feste Arbeit bekommen zu haben. Die Arbeitspflicht soll 37 Wochenstunden umfassen, eineinhalb Stunden davon sind für Dänisch-Unterricht vorgesehen.

Die Erfüllung dieser Arbeitspflicht wird Voraussetzung für den weiteren Bezug von Arbeitslosenleistungen sein. „Wenn man an einem Tag nicht kommt, gibt es für den auch kein Geld“, so Hummelgard. „Es geht darum, eine Arbeitslogik anstelle der Versorgungslogik zu schaffen.“

Kein sinnvoller Weg in den Arbeitsmarkt

Von einem „wahnwitzigem Vorschlag“ spricht Mai Villadsen, Fraktionsvorsitzende der linken Einheitsliste. Die Regierung unterstelle eingewanderten Frauen aus nicht-westlichen Ländern ganz offensichtlich, dass sie nicht arbeiten wollten, kritisiert Ilham Mohamed, Koordinatorin der Organisation Bydelsmødre, die mit Migrantinnen arbeitet. „In Wirklichkeit finden sie schlicht keine Arbeit. Keine von ihnen sitzt freiwillig zu Hause und würde Nein zu einer Arbeit sagen.“ Die Arbeitspflicht, die die Regierung nun einführen wolle, drohe die Situation der Frauen sogar zu verschlechtern. Sie würden sich diskriminiert, gestresst und bestraft fühlen.

Eine solche Arbeitspflicht bringe für den Weg in den Arbeitsmarkt gar nichts, kritisiert auch Mads Bilstrup, Vorsitzender der Sozialarbeiter-Gewerkschaft. Das Programm werde teuer und zeitaufwändig, aber ohne Effekt bleiben. Mit einem wesentlichen Beschäftigungseffekt rechnet auch das Arbeitsministerium selbst nicht. Hier geht man davon aus, dass von rund 20.000 Personen, die man dieser Arbeitspflicht unterwerfen will, etwa 250 eine Arbeit finden könnten – etwas mehr als ein Prozent also.

Während die Tageszeitung BT fragt: „Gibt es überhaupt genug Kippen auf den Bürgersteigen?“, kritisieren viele Kommunen, die diese Arbeitseinsätze organisieren sollen, man hindere die Gemeinden damit nur daran, sinnvollere Integrationsarbeit zu leisten. Nicht mehr als „ganz dicke Symbolpolitik“ vermutet Andreas Steenberg, finanzpolititischer Sprecher der linksliberalen Radikalen Venstre, hinter dem Vorstoß. „Man sollte ihnen eine Ausbildung ermöglichen, damit sie bessere Arbeitsmarktkompetenz bekommen können“, fordert er.

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23 Kommentare

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  • Haben die denn nicht ein System wie hier in DE. Die 1 Euro Jobmassnahmen



    mit 120 Euro Zuverdienst und den gGmbhs 10.000 Euro pro Monat je Person Subvention zu bezahlen.



    Ich hätte da auch ne Idee wie man auf Staatskosten Geld in die Kasse bekommt.

  • 1/3 Integrationspolitik und Arbeitsmarkt- u. Beschäftigungspolitik: Falsche Vermengungen zweier Politikfelder?

    Auch mit Blick auf den von @Rudolf Fissner hier eingestellten Kommentar: Es ist auch meiner Meinung erst mal nach richtig, wenn Herr Fissner auf den Artikel zum Thema in der WELT verweist. (Link: www.welt.de/politi...verpflichten.html) Tatsächlich handelt es sich ja bei dem dänischen „Reform-Programm“ (welches aber leider nur „olle Kamellen“ aufwärmt, populär aktualisierend „verflüssigt“, sozusagen) um eines, das auf unterschiedliche „Zielgruppen“ unter erwerbslosen Menschen zielt. So stellt es der Artikel in der WELT eher dar. Zwei oder drei Sätze dazu hätten den Artikel von Reinhard Wolf hier präziser werden lassen. ABER! Damit wäre nach meinem Verständnis deutlicher geworden, dass R. Wolf sich eben doch NICHT „verrennt“. Denn eine „Zusammenschau“ beider Artikel verdeutlicht mir, dass da in Dänemark eine falsche Kombination von Politiken stattfinden könnte, die am Ende in der Sache nur traurig misslingt. Soweit man es von der Sache einer in der Tat ja schwierigen Integrationspolitik und einer ebensolchen Beschäftigungspolitik her sieht. Allerdings – eine solche Symbolpolitik, wie sie von R. Wolf zitierend angesprochen wird, die wäre für die Politikerinnen u. Politiker, die sie betreiben, ein populärer Erfolg. Von der Sache her aber findet da ein am Ende – für die Betroffenen! – schädliches Zusammengehen beider Politikfelder statt. Das zeigt schon die ganz unbedachte, ja bewusstlose Vorstellung, wie R. Wolf sie zitiert: * Eine für die Gesellschaft „nützliche Arbeit“ soll es sein, die gleichzeitig aber natürlich keine regulären Jobs ersetzen soll, konkretisierte Arbeitsminister Peter Hummelgaard das Programm, und nannte auch Beispiele: „Am Strand Zigarettenkippen oder Plastikabfall aufsammeln.“ Was für eine Arbeit, sei eigentlich nicht so wichtig, „Hauptsache, sie kommen aus ihren Häusern heraus.“*

  • 2/3 Integrationspolitik und Arbeitsmarkt- u. Beschäftigungspolitik: Falsche Vermengungen zweier Politikfelder?

    Die WELT zitiert den dän. Arbeitsminister so: *Beispiele für Beschäftigung könnten das Aufsammeln von Plastik und Zigarettenstummeln am Strand sein, sagte Arbeitsminister Peter Hummelgaard. „Das Wichtigste ist, dass die Leute aus der Tür kommen. Viele nicht-westliche Frauen erleben, dass sie aufgrund der sozialen Kontrolle durch Ehepartner und Söhne nicht vor die Tür gehen dürfen.“*



    Auffallend für mich ist, mit welcher „Gesamtvorstellung“, zynisch „ganzheitlichen“ Vorstellung, von „INTEGRATION DURCH ARBEIT“ zu tun hat, die ganz unreflektiert die Situation unterschiedlicher Erwerbslosengruppen glaubt zusammenfasst und Denkfehler dabei macht. Man glaubt, eine sanktionsbewehrt verpflichtende gemeinnützige Arbeit stifte eben diesen Sinn auch für die Betroffenen schon allein deshalb, weshalb man den „Sinn“ dieser Arbeit für die einzelnen Individuen gänzlich außer Acht lassen könne. Glaubt man also wirklich, sog. (muslimischen) „nicht westlichen Frauen“, sei es egal, ob sie Müll einsammeln müssen, solange sie nur den patriarchalen Einflüssen ihrer Ehemänner und Brüder entkommen können (was als solches zutreffen könnte) und sich im Übrigen mit dieser Arbeit identifizieren und sich motivieren, weil sie sie ebenfalls als gemeinnützigen „erkennen“, wie politisch erwünscht? So erwartet man es ja durch das Programm auch von anderen Gruppen, die es einbeziehen. Die WELT zitiert dazu Mette Frederiksen: *Frederiksen wies darauf hin, dass fast ein Viertel der Arbeitslosengeldempfänger Akademiker seien. „Neuabsolventen haben gerade eine gute Ausbildung erhalten. Die sollten sie auf dem Arbeitsmarkt anwenden und nicht in der Arbeitslosenschlange.“* Kann man, erweiternd, genauso zu jungen Leuten sagen, die gerade eine Ausbildung abgeschlossen u. noch keinen Arbeitsplatz gefunden haben.

  • 3/3 Integrationspolitik und Arbeitsmarkt- u. Beschäftigungspolitik: Falsche Vermengungen zweier Politikfelder?

    Das andere Arbeitslosengruppen Kritik an dieser Art „Integration durch Arbeit haben“, verdeutlicht Wolf damit, in dem er unterschiedliche Stimmen dazu anführt. Wieso glaubt man dann, behaupten zu können, „nicht westliche Frauen“ müssten, im eben genannten Sinne, weniger Grund zu solcher Kritik haben? Weil sie vielleicht eine geringe Schulbildung und/oder keine Berufsausbildung haben – und also „dankbar“ sein müssten und individuelle berufliche Wünsche hintenanstellen?

    Wolf trifft den Punkt mit dem Zitat des dän. Arbeitsminister Hummelgaard, welcher Art die Integration ist, die hier eigentlich angestrebt wird: „Es geht darum, eine Arbeitslogik anstelle der Versorgungslogik zu schaffen.“ Alle in das Programm Einbezogenen sollen diese Arbeitslogik entwickeln und dafür jegliche individuellen Wünsche hintenan zu stellen bereit sein. Insofern findet hier tatsächlich eine „Gleichbehandlung“ auch der „nicht westlichen Frauen“ mit allen anderen statt – die tatsächlich eine Art „Nivellierung“ ist. Hier findet keine „Integration durch Arbeit“ statt: Es soll eine Bewusstseinsbildung durch Arbeit stattfinden, welche die Bereitschaft zur teilweisen Selbstaufgabe verlangt. Übertrieben? Wie kann eine Politik behaupten, dass sich eine Personengruppe selbstbewusst von sogar familiären Einflüssen mehr distanzieren soll, wenn sie gleichzeitig das Selbstbewusstsein der einzelnen Personen dieser Gruppe noch mal zur Kenntnis nimmt, nur wieder eine andere Hand reicht? Da trifft R. Wolfs Artikel in das Schwarze einer „sozialdemokratisch-roten“ Pädagogik, die auch in D. längst bekannt ist, in ihren Folgen: * Mit einem wesentlichen Beschäftigungseffekt rechnet auch das Arbeitsministerium selbst nicht. Hier geht man davon aus, dass von rund 20.000 Personen, die man dieser Arbeitspflicht unterwerfen will, etwa 250 eine Arbeit finden könnten – etwas mehr als ein Prozent also.*

  • Muss die Törn Planung für nächstes Jahr wohl von Stockholm Kopenhagen nach Stockholm verlegt werden.

  • Erinnert an "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." aus dem Artikel 12 der Verfassung der Sowjetunion von 1936 (sog. Stalin-Verfassung). Den Spruch kennt man schon aus der Bibel (2. Thessalonicher, Kap. 3 Vers 10) und von August Bebel, und er wurde unter Rot-Grün von Müntefering wieder hervorgeholt (s. hier: taz.de/!434214/ ). Also echt christlich, sozialdemokratisch und sozialistisch, was die dänischen Sozialdemokraten da machen.

  • Schon der zweite Artikel zu Dänemark, der in "Stockholm" (Hauptstadt von Schweden) verortet wird. Die Venstre ist auch keine "linksliberal Radikale" Partei, sondern wird dem Mitte-Rechts-Lager zugeordnet, liberal-konservativ. Dass die Sozialdemokraten die Konservativen in der Migrationspolitik rechts überholen mag für Dänemark einzigartig und relativ neu sein, macht die Konservativen aber deshalb noch lange nicht zu Vorkämpfern der linken Sache..

    • @Ratador:

      1. "Stockholm": Es ist wohl anzunehmen, dass der Skandinavienkorrespondent der taz in Stockholm sitzt und daher die Meldung von dort kommt.

      2. "Radikal Venstre" ist eine sozial-liberale dänische Partei, die sich irgendwann mal von der "Venstre", die in der Tat liberal-konservativ ist, abgespalten hat.

      • @Eric Manneschmidt:

        "Radikale Venstre", Kurzform: "Radikale"

        • @Eric Manneschmidt:

          Und die Venstre (Links) heißt deshalb Links, weil die Liberalen im 19.Jhd. im Gegensatz zu den Konservativen (Royalisten, Monarchisten) ja tatsächlich die Linken waren.

          Das "Radikal" in ,,Radikale Venstre" ist als ,,ursprüglich" (von lat. radix: Wurzel) zu verstehen. [Wie bei der franz. Parti radical de Gauche; die aber tatsächlich links-sozialistisch ist]



          P.s. Die schwedische Venstrepartiet ist übrigens tatsächlich links.

  • Ich vermute mal dass Herr Wolf sich mit seiner Meldung, dass speziell Frauen ... sic/ schlicht verrannt hat. www.welt.de/politi...-verpflichten.html

  • Möglicherweise findet diese Entscheidung in DK eine Mehrheit in der Bevölkerung. Das wäre dann das Land, in welchem die Mehrheit der Dänen leben möchte.

  • In Deutschland müssen Hartz 4 Empfänger auch Kippen von der Straße und kleinteiligen Müll aufheben. Müssen in Altenheime Behälter mit gebrauchten Windeln entsorgen.

  • Warum erinnert mich diese Sozialdemokratin so an Alice Weidel? Und wer ist mit "nicht-westlichen" Frauen gemeint? Die Tuerkin? Die Japanerin? Die Iranerin? Die Ghanaerin? Die Russin? Die Saechsin? Oder doch nur wieder die Hidjab-Traegerin...?

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Grundsätzlich finde ich die Idee nicht schlecht aber:

    - Es nur auf Migrantische Frauen zu begrenzen geht gar nicht



    - wenn es als Integrationsmaßnahme gedacht ist, würde ich den eher sagen mind. Hälfte Integrations/Sprachkurse und höchstens Hälfte Arbeit



    - Haben vermutlich viele dieser Frauen Kinder um die sie sich kümmern müssen deswegen sind 37 Wochenstunden zu hoch angesetzt.

  • Und haben die diversen anderen rechtspopulistischen Parteien in Dänemark schon artig Beifall geklatscht?

    • @Kaboom:

      Die Hartz 4 Gesetze in Deutschland wurden von SPD und Grüne geschaffen. Und dazu gehört das Hartz 4 Empfänger "ehrenamtlich" arbeiten müssen. Bei der ersten Verweigerung gibt es 30% weniger, bei der zweiten 60 % und bei der dritten gibt es gar nichts mehr. Und dazu gehört auch das alle, auch Migranten Zb. Gehwege säubern, Ich habe sogar schon BPoC gesehen die in Dortmund mit einer Handwagen und Zange "ehrenamtlich" Straßen reinigen.Im Auftrag des Jobcenter. Alles "im Auftrag" von Grüne und SPD. Eine AfD gab es da noch nicht.

      • @Dortmunder:

        Und was hat das mit dem hier diskutierten Thema zu tun? Genau. Gar nichts.



        Im Übrigen ist Ihre Behauptung schlicht falsch. Die Möglichkeit zu dieser Art Zwangsarbeit gibt es erst seit 2019. Und die - IMHO gesetzwidrigen - Kürzungen von Hartz iv wiederum haben mit beiden vorgenannten Dingen nichts zu tun.

  • Unglaublich, aber in Europa ist mittlerweile alles möglich.



    Ich empfehle allen Geflüchteten in DK so schnell wie möglich nach Deutschland einzuwandern und einen neuen Asylantrag zu stellen. In Deutschland sind die Bedingungen zwar auch nicht gut, man ist aber zumindest vor Zwangsarbeit und Abschiebung in den Tod geschützt.

    • @V M:

      Nein in Deutschland ist man wenn man Hartz 4 oder Sozialhife bezieht nicht vor Zwangsarbeit geschützt. Das nennt sich 1 € Job, und wer sich drei mal weigert bekommt keine Leistungen mehr.

  • 1.5h Sprachunterricht... Da hätte man als Gegenleistung ja zumindestens mal über 5h oder mehr reden können?!

    • @life_of_brie:

      Für mehr als "Heb das mal auf!" und "Mach das mal sauber!" soll's offensichtlich nicht reichen.