piwik no script img

Mietenwahnsinn in BerlinGaebler und die zornigen Mie­te­r

SPD-Senator Christian Gaebler verteidigt auf einem Linke-Podium in Kreuzberg die schwarz-rote Wohnungspolitik. Das ist nicht so gut angekommen.

„Ich bin nicht Vorstand der Gewobag“: Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) Foto: Monika Skolimowska/dpa

Berlin taz | Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) blieb ruhig, als sich am Mittwochabend zum Ende einer Podiumsdiskussion in Kreuzberg plötzlich der geballte Zorn der Mie­te­r:in­nen der landeseigenen Wohnungsunternehmen entlud.

Gleich mehrere ältere Frauen standen im vollbesetzten Veranstaltungsraum „Vierte Welt“ am Kottbusser Tor nacheinander auf, um Gaebler lautstark auf ihre Erfahrungen mit einer Zwangsräumung aufmerksam zu machen. Eine Mieterin der Gewobag beschwerte sich nicht minder laut, dass die Heizungen in ihrem Haus immer noch nicht funktionieren. Ein anderer Gewobag-Mieter erboste sich darüber, dass nach einem Rohrbruch das Wasser seit Tagen zentimeterhoch in seinem Keller steht.

Immer wieder die Gewobag, mit über 74.000 Wohnungen eines der größten Immobilienunternehmen Berlins – und dazu landeseigen, also auch Sache des Senats. Christian Gaebler beschied den Mie­te­r:in­nen kurz und knapp: „Ich bin nicht der Vorstand der Gewobag.“ Die zwangsgeräumten Frauen ließ er wissen: „Bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen gibt es nur wenige Zwangsräumungen.“ Wenn geräumt werde, gebe es triftige Gründe. Zur Beruhigung trugen Gaeblers Erwiderungen nicht bei. Im Gegenteil.

Gaebler und Gennburg – im Streit vereint

Eingeladen zu der Veranstaltung hatte die Abgeordnetenhausfraktion der Linken. Es war dabei schon Überraschung genug, dass Christian Gaebler der Einladung überhaupt gefolgt ist. Immerhin musste sich der SPD-Senator das Podium unter anderem mit der Linke-Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg teilen. Ein im Dauerstreit vereintes Duo: Bereits zu gemeinsamen rot-grün-roten Regierungszeiten hatten sich Gaebler und Gennburg in Debatten nichts geschenkt.

Am Mittwoch war es – ebenso überraschend – zwischen beiden vergleichsweise manierlich zugegangen. „Wir sehen unter Schwarz-Rot in der Mieten- und Wohnungspolitik die absolute Rolle rückwärts, und das ist dramatisch“, warf Gennburg dem Senator an den Kopf. Und dass der Senat „die Axt anlegt“ an die wohnungspolitischen Errungenschaften der Vergangenheit.

Gaebler verwies als Entgegnung etwas mürrisch auf das geplante „Schneller-Bauen-Gesetz“, mit dem Schwarz-Rot glaubt, den Neubau in Berlin entfesseln zu können. Auch verteidigte er gegen Gennburg die im September mit den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften abgeschlossene neue Kooperationsvereinbarung. Die besagt, dass die Landeseigenen nach eineinhalb Jahren Mietenstopp ihre Mieten ab 2024 wieder erhöhen dürfen – und zwar um 2,9 Prozent pro Jahr.

Viele, viele neue Wohnungen

Das sei doch durchaus „sozialverträglich“, assistierte Jörg Franzen, der Chef der landeseigenen Gesobau. Viele Mie­te­r:in­nen seien ja „vielleicht“ schon als Studierende eingezogen und würden jetzt gut verdienen, für die sei das absolut leistbar. Auf jeden Fall hätten die Landeseigenen durch die Vereinbarung wenigstens etwas größere Spielräume. „Wir werden viele, viele tausende Wohnungen bauen“, sagte Franzen. Und die vielen, vielen Wohnungen werden dann auch den Mietmarkt entspannen, „vielleicht“. Schon an diesen Stellen wurde im Publikum gemurrt.

Schließlich kam es zur Öffnung der Runde für die Publikumsfragen, genauer: den Publikumstumult. „Es läuft seit 30 Jahren scheiße, und ihr könnt euch mal überlegen, ob ihr euch endlich in die richtige Richtung bewegt“, sagte Katalin Gennburg zum Ende hin, an Christian Gaebler und die SPD gerichtet.

Aber das ging zu dem Zeitpunkt schon fast unter in der allgemeinen Aufgeregtheit, mit der nicht einmal die einladende Linke gerechnet hatte. Da soll noch mal ei­ne:r sagen, dass Mietenthema tauge nicht mehr zum Aufreger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Wohnchaos vorprogrammiert

    "In Berlin leben heute 100.000 Menschen mehr als im Frühjahr 2022" J.M. Schick, Ehrenpräsident des IVD.

    Es reicht vorne und hinten nicht und kein Politiker und keine Partei könnte das Problem in Berlin in wenigen Jahren klären, welches die rot/rot/grünen hinterlassen haben. So ehrlich muss man sein.



    In Berlin wird das Chaos der Mietsuchenden ausbrechen, da hilft keinerlei "Bremse".

  • Man beachte das "neu" im Wohnungsbau, das eben kein "zusätzlich" ist.

    In Städten werden gerne für zehn neue Wohnungen sechs alte abgerissen.



    Sowas nennt sich "Verdichtung" und kommt meist zusammen mit Gentrifizierung.

  • Der Mann hat Chuzpe.

    Mieterhöhungen sind also sozial o.k., weil einige der Mieter mittlerweile Ihren Abschluss gemacht haben und mittlerweile höhere Mieten bezahlen können.

    Nun, 74.000 städtische Studentenwohnungen sind in der Tat beeindruckend.

    Andere Leute brauchen in Berlin offenbar keine Wohnung.

    • @Sonntagssegler:

      Mieterhöhungen von unter 3% nach jahrelangem Stillstand sind okay, da diese weit unter der Inflation liegen.

  • Wer rechnen kann, den überaschen die hohen mieten nicht. Grund sind nicht böse Spekulanten, sondern einfach sie Kostenstruktur.



    Ein Haus zu bauen (unterer Standard aber gute Bauqualität) kostet aktuell ca. 3500€/m²Wohnfläche. Bei einer Lebensdauer von ca. 50 Jahren sind das 2%pro Jahr, also 70,00€. Das Grundstück kostet nochmal die Hälfte, also 35€/Monat



    dazu (Großstadt) nochmal das Gleiche. Jetzt muss da Ganze bezahlt werden. Bei einem Zinssatz von derzeit 4% sind das nocmal 140€/Jahr.



    Jetzt muss das Haus noch instandgehalten und verwaltet werden. Das sind nochmal 2% der Baukosten jählich, also nochmal 70€/Jahr.



    Das sind in Summe 315€/Jahr, also ca. 25€/m² Kaltmiete.



    Wer glaubt, dass es billiger geht solls versuchen und damit Reich werden.



    Wohin es führt, wenn die Mieten die Kosten nicht Decken, hat uns die DDR plastisch vor Augen geführt.

    • @Münchner:

      Glaubt halt keiner, der nicht selbst gebaut hat...

  • "Viele neue bezahlbare Wohnungen", eine Farce, denn fast genau so viele Wohnungen fallen bundesweit aus der Sozialbindung.



    Die Politk betreibt Fake--News, wenn sie bahauptet, mit ihren politischen Maßnahmen eine Wende in der sozialen Baupolitik einzuleiten.

    Hamburg, für Bundeskanzler Scholz positives Musterbeispiel beim Neubau von Wohnungen, baute dieses Jahr statt der anvisierten 10.000 neuen Wohnungen nur 6000.



    Und dass angesichts Tausender Obdachloser und Tausender von Flüchtlingen, die in Containern ausharren, die zur Dauerlösung geworden sind, weil zu wenig Sozialwohnungen in den letzten Jahren gebaut wurden.



    Viele Menschen werden aufgrund zu hoher Mieten aus ihren Wohnungen gedrängt oder zwangsgeräumt, weil sie die Miete nicht zahlen können.

    Politik versagt, weil sie angesichts dieser Missstände nicht handelt. Sie treibt vor allem die Wähler der SPD in die Hände der AFD oder der neuen Partei von Wagenknecht.



    Wie kann es sein, dass Christian Gaebler alte Menschen, die aus vielerlei Gründen zwangsgeräumt werden, nicht die Hilfe seiner Behörde anbietet? Wie zynisch und ignorant muss man sein, um zu behaupten, eine Räumung habe meist gute Gründe und es gebe keine Alternative für eine Räumung?

    Denn der Richterbund betonte vor genau einem Jahr, es sei Aufgabe der Politik, den Schutz vor Zwangsräumungen im Miet- und Sozialrecht zu regeln.



    Nichts davon hat die Ampel im Bund per Gesetz geregelt.



    Menschen, die ihre Miete nicht zahlen können, landen auf der Straße, denn viele Wohnheime für Obdachlose sind die reine Zumutung. Ein Zustand, denn die Gesellschaft seit Jahren ignoriert, auch die Tatsache, dass aufgrund offener Grenzen viele Obdachlose ais Osteuropa stammen, für die sich keine Behörde zuständig fühlt.



    Längst schon gibt es für die Ärmsten in der BRD, die Obdachlosen, Zustände wie in der Weimarer Republik.

  • Wenn "viele neue Wohnungen" irgendwann in x Jahren den Mietmarkt dann tatsächlich entspannen sollten und real die "Gefahr" sinkender Mieten oder wenigstens konstant bleibende Mieten bestünde - dann werden genau dieselben Politiker wieder zu genau denselben Methoden greifen um die Renditen der Vermietergesellschaften zu schützen: sie werden Wohnungen abreißen.



    Hatten wir ja alles schon.

  • Und ich dachte immer, dass nach den Enteignungen der privaten Wohnungsbaukonzerne das Paradies ausbricht. Tendenziell sinkende Mieten, energetische Sanierungen von denen man finanziell nichts spürt, toller Service wie bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft aufgrund des Standby-Pannen- und Reperaturdienstes, Neubau, der sich mit Mieten vom 6,50 € locker betreiben lässt usw. Nach Lektüre des Artikels kommen bei mir Zweifel auf....

    • @Eckhard Hanseat52:

      Genau das dachte ich beim lesen auch. Vielleicht noch dazu, dass sich mit Vorkaufsrecht erworbene Schrott Immobilien durch den neuen Eigentümer und dessen unbürokratische und perfekt organisierte Organisation blitzschnell in beste Wohngebäude verwandeln, wobei die miete natürlich gleich bleibt…