Merkels Wahlkampfmanager: „Die Menschen wollen Ruhe“
1998 und 2002 kämpfte er für Gerhard Schröder (SPD), 2013 für Angela Merkel (CDU): Wahlkampfmanager Lutz Meyer über das erste Jahr der Großen Koalition.
taz: Herr Meyer, Sie haben 2013 Angela Merkels Bundestagswerbekampagne erdacht. Alles, woran man sich nach einem Jahr Große Koalition noch erinnert, ist ein haushohes Poster mit Merkels Raute-Händen am Berliner Hauptbahnhof, außerdem der Satz „Sie kennen mich.“ Woher diese Amnesie?
Lutz Meyer: Wahlkämpfe sind politische Sondersituationen, und unsere Politiker sind nicht dafür da, dauernd Wahlkämpfe zu führen. Wahlkampf geht den Menschen nach spätestens acht Wochen furchtbar auf den Keks. Insofern ist es doch gut: Jetzt wird regiert. Das ist keine Amnesie, sondern der Normalzustand der deutschen Politik.
Das soll so?
Ja. Nur ihr Journalisten findet es interessant, wenn ständig bunt und hart gefochten wird. Aber die Menschen wollen Ruhe und Ordnung.
Würde man dieser Koalition ein Zwischenzeugnis ausstellen, läge sie in allen Fächern zwischen 2 und 3. Warum gibt es keine Ausschläge?
Ich finde, da fehlt eine glatte Sechs, und zwar für die Rente mit 63, die die Große Koalition auf Betreiben der SPD beschlossen hat. 126 Milliarden Euro werden verbrannt, um dieses unsinnige Wahlversprechen einzulösen. Was für ein Irrsinn.
Und was ist dann mit der Mütterrente der Union?
Ich bin kein Anhänger der Mütterrente. Wir bezahlen auch hier sehr viel Geld, das wir besser ausgeben könnten. Für nur 5 Milliarden Euro könnten wir das Land mit LTE-Antennen ausstatten und alle hätten tipptopp Telefon und Internet. Mit dem Geld aus den Rentengeschenken hätten wir alle Schulen und Haushalte mit Computern und ganz Deutschland mit kostenlosem WLAN ausstatten können. Und hätten noch was über!
46, ist im nordfriesischen Niebüll geboren. Er studierte Politikwissenschaft, öffentliches Recht und Philosophie. 1998 und 2002 arbeitete er in der SPD-Wahlkampfzentrale für Gerhard Schröder. 2011 gründete er die Agentur Blumberry. Zur Wahl 2013 leitete er die Kampagne für Angela Merkel (CDU).
Nun regieren Union und SPD seit einem Jahr miteinander. Die SPD arbeitet ihre Wahlversprechen ab, dennoch liegt sie wie Blei unter der 25-Prozent-Marke bei den Wählern. Was läuft da falsch?
Die SPD macht gar nichts falsch. Sie tut genau das, was sie vor der Wahl gesagt hat, und dafür kriegt sie nun genauso viel Zustimmung, wie sie auch am Tag der Bundestagswahl erzielt hat. Insofern darf man sich nicht wundern. Wer eine Politik nur für die Minderheit macht, bekommt eben auch nur von der Minderheit Zustimmung.
Was kann denn die SPD besser machen? Sigmar Gabriel will schließlich Merkel als Kanzler beerben.
Gabriel hat erkannt, dass er mit der extrem linken Nahles-Politik keinen Blumentopf gewinnen kann. Deswegen verfolge ich mit Interesse, wie er sich einen Wirtschaftskreis organisiert und so die SPD in die programmatische, inhaltliche Mitte zu führen versucht. Die SPD sollte wieder eine Partei werden, die die Wirtschaft nicht als Gegnerin sieht. Es ist ja nicht so, dass Wohlstand durch Umverteilung entsteht. Er wird durch Wertschöpfung erzeugt, und das machen die Unternehmen mit ihren Mitarbeitern. Die Wirtschaft schafft den Wohlstand, das scheint die SPD langsam zu begreifen.
Sollte die SPD dafür ihren eigenen linken Flügel schwächen?
Unbedingt. So einen Ralph Stegner aus Schleswig-Holstein wollen die Leute nicht. Der Mann ist redegewandt, aber seine Linie ist auf Bundesebene nur gut für maximal 20 Prozent. Eine Partei mit dem Anspruch, Volkspartei zu sein, kann sich nicht auf bestimmte Milieus und Themen verengen. Aber das hat die SPD erkannt.
Sie waren ja selbst mal SPD-Mitglied. 1998 und 2002 haben Sie in der berühmten SPD-Wahlkampfzentrale Kampa mitgearbeitet. Wann und warum sind Sie ausgetreten?
Ausgetreten bin ich 2006. Mich hat die Rückabwicklung der Agenda 2010 geärgert. Und wenn man in der SPD beitragsehrlich zahlt, dann ärgert man sich noch mehr. In der SPD wurde mein Entschluss nicht besonders goutiert, viele waren beleidigt. Mittlerweile ist aber Gras drüber gewachsen, und zu vielen habe ich ein herzliches Verhältnis.
Können Sie sich die mitunter irrationale Verehrung der spröden Angela Merkel erklären?
Ja.
Wie?
Erstens: Wer sie besser kennt, weiß, dass Angela Merkel gar nicht spröde ist. Und zweitens entspricht ihre ruhige Wesensart dem Wunsch der allermeisten Leute: Sie wollen auf eine unaufgeregte Weise regiert werden. Es ist eine irrige Annahme, dass die Wähler ständig mit komplexen Fragen und mit großem Streit belästigt werden wollen. Der Automechaniker, den Sie beauftragen, der soll Ihnen ja auch nicht den ganzen Tag erklären, was er jetzt gerade macht. Sie wollen, dass das Auto, wenn Sie es abholen, fährt, dass die Rechnung nicht zu teuer ist und dass man Sie freundlich behandelt. So ist das auch in der Politik, dafür wählen wir ja unsere Abgeordneten. Und deshalb ist Angela Merkel die richtige Frau an der Spitze. Sie regelt das, unaufgeregt, sachlich.
Ist in Ruhe gelassen werden also das, was die Wähler von ihren Parlamentariern wollen?
Ja. Wir delegieren doch unsere Verantwortung an die Parlamentarier. Abgerechnet wird nach vier Jahren. Es ist ein Irrglaube der Linken, dass die Menschen jeden Tag über alles diskutieren wollen. Wer mal an einer typischen Studentenparlamentssitzung teilgenommen hat, der weiß, dass demokratische Debatten auch eine Zumutung bedeuten können.
Ein Blick in die Zukunft. Angenommen, 2017 tritt die CDU erneut mit Merkel als Kanzlerkandidatin an. Aus Werbersicht wäre sie dann schon zum vierten Mal im Angebot. Was könnte dann noch die Verheißung dieses Produkts sein?
Angela Merkel ist kein Produkt. Sie ist eine Frau. Aber bleiben wir mal in Ihrem Bild: Die Verheißung lautet: Es funktioniert, verlässlich und gut. Und warum ist es schlecht, wenn jemand dafür vier mal gewählt wird. Nur weil etwas öfter passiert, ist es doch nicht schlecht. Wir feiern ja auch jedes Jahr Weihnachten. Und bei über 70 Prozent Zustimmungsrate muss man auch nicht anders werden, sondern einfach nur so bleiben, wie man ist. Das kann Merkel.
Ist es nicht riskant für eine Partei, stets auf Personen zu setzen? Irgendwann gerinnt Personality zur Überinszenierung.
Wenn man sich die Geschichte der deutschen Politik anguckt, waren Parteien immer dann erfolgreich, wenn es charismatische Personen an der Spitze gab. Wenn Parteien komplizierte Programmklubs sind, sind sie nicht automatisch attraktiver und sexy. Denn kein Mensch liest Programme. Politik vermittelt sich über Medien, und Medien brauchen Personen. Deswegen ist nichts Falsches daran, wenn Politik auf Personen setzt. Und Merkel ist ja nun wirklich die Zurückhaltendste unter allen.
Was meinen Sie, ist das Erstarken der AfD ein Echo auf zu viele Köpfe und fehlende Inhalte? Warum ist diese Partei mit ihren schwachen Personen und ihren brachialen Inhalten so erfolgreich?
Die AfD würde jetzt sagen: Natürlich haben wir hervorragende Köpfe. Aber im Ernst, diese Partei ist aus meiner Sicht eine Zeiterscheinung. Es gab immer Protestparteien. Wenn sie es gut gemacht haben, haben sie Stimmungen aufgefangen und in Mandate umgewandelt. In der Regel verschwinden sie aber wieder, weil sie sich aufgrund der hohen Anziehungskraft für Nörgler und Querulanten selbst zerlegen. Bei der AfD wird man sehen, wie schnell das geht.
Trotzdem, die AfD punktet mit populistischen Inhalten.
Ihre Frage unterstellt ja, dass andere Parteien nur gewinnen, weil sie das nettere Plakat haben. Das ist Quatsch. Und selbst in Plakaten stecken Botschaften: Erinnern wir uns an die große Merkel-Raute in Berlin, die es übrigens bis aufs Titelblatt der New York Times geschafft hat: Das war doch eine inhaltliche Aussage: Deutschlands Zukunft liegt in guten Händen. Das haben die Menschen gut verstanden.
Ab wann kann es gefährlich für eine Partei sein, sich im Wahlkampf zu sehr auf eine Person zu konzentrieren? Die Person könnte Fehler machen, sie könnte auch krankheitsbedingt ausfallen. Bei FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle kam im Wahlkampf beides zusammen.
Ich glaube ja, dass der Ausfall von Herrn Brüderle der Partei gar nicht geschadet hat. Die FDP war immer dann über 5 Prozent, wenn sie fleißig gearbeitet hat und sich ansonsten nicht allzu lautstark zu Wort gemeldet hat. Im letzten Wahlkampf ist sie durch den Wahlkampf unter 5 Prozent gegangen. Es wäre rückblickend wohl am klügsten gewesen, die FDP hätte gar nichts gemacht. Dann wären sie im Bundestag gewesen. Stattdessen gab es Krakeelertum und Knetmännchen-Plakate, die die Parteizentrale selbst gestaltet hat.
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