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Merkels CoronakrisenmanagementLob des Durchhalteappells

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Kanzlerin Merkel kann mit Zauberformeln nicht aufwarten. Vorläufig müssen wir uns mit dem Ausnahmezustand arrangieren.

Außergewöhnlicher Auftritt: Angela Merkel am Dienstagabend in der ARD Foto: Shan Yuqi/imago

D ass Angela Merkel kurzfristig am Dienstagabend zur Primetime im Fernsehen auftrat, war außergewöhnlich. Die Kanzlerin hat den Ernst der Lage erkannt. Und das ist auch dringend erforderlich. Denn die Stimmung im Land droht zu kippen. Sehr viele Menschen sind einfach nur noch genervt von dem Ausnahmezustand, in dem sie seit Monaten leben. Sie wollen, dass der schreckliche Coronaspuk endlich vorbei ist. Das allerdings liegt nicht in der Macht Merkels.

Wer von ihrem Auftritt nach der „Tagesschau“ und vor dem DFB-Pokalspiel den großen Befreiungsschlag erwartet hatte, musste enttäuscht werden. Dass die Ungeduld wächst, ist mehr als verständlich. Wer würde jetzt nicht lieber frohe Botschaften verkündet bekommen anstelle von Durchhalteappellen? Doch so einfach ist es eben nicht. Die derzeitigen Einschränkungen im täglichen Leben sind keiner politischen Willkür geschuldet, sondern schiere Notwendigkeit angesichts der Wucht des Virus.

Es hätte weit weniger Infizierte und Tote gegeben, wenn die Re­gie­rungs­che­f:in­nen der Länder nicht aus Angst vor der öffentlichen Stimmung derartig versagt hätten, als sie zunächst im Oktober nichts und dann im November zu wenig getan haben – und zwar gegen Merkels Warnungen. Sich jetzt auf das vermeintliche Impfchaos der Bundesregierung zu stürzen, erscheint wie ein Ablenkungsmanöver.

Weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission haben alles richtig gemacht. Selbstverständlich wäre es nötig gewesen, nicht nur Geld für die Entwicklung und den Kauf potenzieller Impfstoffe auszugeben, sondern spätestens ab Mitte vergangenen Jahres massiv in den Aufbau von Produktionsstätten in Europa zu investieren. Gleichwohl war stets klar, dass mit Beginn der Impfungen die Pandemie noch nicht besiegt ist. Das mögen viele nicht wahrhaben wollen.

Sie suchen jetzt nach einem Sündenbock. Das ändert aber nichts. Merkel hat den 21. September als Datum benannt, bis zu dem jede und jeder in der BRD ein Impfangebot bekommt. Daran wird sich die Bundesregierung messen lassen müssen – jedenfalls, wenn die Impfstoffe bis dahin noch wirken.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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15 Kommentare

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  • Weniger von der Kanzel, von der Obrigkeit her, dafür mehr Tatsachen – das täte gut:)

  • Mitte November hieß es, wenn wir uns zusammenreißen wäre es Weihnachten vorbei. Jetzt geht die Isolation mindestens bis Mitte Februar. Und dann bringt die Regierung noch geschickt Kleinunternehmer um ihre Existenz. Beispiel meiner Tante (Betreiberin eines Friseursalons): Weil ihr Umsatz im November ein bisschen zu hoch war (ja, es war Hochbetrieb), bekommt sie keine Nov/Dez-Hilfen. Wenn sie vor März öffnen darf, bekommt sie ebenfalls keine Hilfen, da sie über Jan/Feb nicht komplett zu hatte. Die Löhne hat sie aber weiterbezahlt, zum Glück gibt es eine solidarische Verwandtschaft. Zudem ist die Beantragung der Hilfen eine Katastrophe. Von der Politik kommt die Aufforderung, man müsse Verständnis zeigen und Geduld haben. Es versteht sich von selbst, welche Parteien wir alle bei den Wahlen nicht wählen werden.

  • Dass man im Nachhinein immer klüger ist, weiß man u.a. auch aus dem Jahre 2011: tonnenweise wurde Schweinegrippen-Impfstoff (Wert ca. 160 Mio. Euro) vernichtet, der zu viel/unnötigerweise von den Ländern eingekauft wurde. Vielleicht liegt hierin eine Ursache, dass man zu spät reagiert hat.



    Dass diese Regierung schon lange abgewählt gehört, macht sich für mich nicht am Impfstoff-Management fest.



    Auf der anderen Seite kann ich mir niemanden in der Ministerriege, im Bundestag oder den Parteivorständen vorstellen, der oder die es in dieser Pandemie hätten besser machen können als Merkel. (Schlimm genug, dass feststellen zu müssen!) Machen, nicht besser schwätzen oder von der Länderebene dumm schwätzen zu können!



    An einer Profilneurose leidet Merkel nicht. Was mir durchaus hilfreich in der aktuellen Lage scheint. Im Gegensatz dazu die Vielsprecher:innen, die vor jeder roten Ampel ein Statement abgeben, weil sie glauben es handelt sich um das Aufnahmelicht einer Fernsehkamera.



    Der politische Fehler (Auslandsverlagerung der Medikamentenproduktion, Privatisierung des Gesundheitswesen, der Bildung, ...) ist die Ausrichtung am Neoliberalismus. Für dessen Folgen bekommen wir jetzt die Rechnung präsentiert. Und es ist absehbar, dass sich bei dem absehbaren Regierungspersonal (Laschet/Söder/Baerbock mit einem BMWI Merz) an der ökonomischen Ausrichtung "Privat vor Staat" nichts ändern wird. Banken und Unternehmensrettungen sind im Neoliberalismus von den Steuerzahler:innen zu finanzieren, ohne anschließend dafür entlastet zu werden. Begründung: der Aufschwung darf nicht gefährdet werden, keine Lohnerhöhungen und erst recht keine höhere Unternehmensbesteuerung.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Merkel ohne Zauberformel?



    Kann doch wohl nicht sein. Bitte noch mal recherchieren .......

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - ledert ab!

    “ Vorweg: "Die Anstalt" vom 2. 2. ZDF-Mediathek: www.zdf.de/comedy/...ruar-2021-100.html @min 28:40 - "Nie mehr Hunger"



    Durchhalteapp(ell): Merkelhuldigung und -entschuldigung. Mal wieder. Die Ministerpräsident:innen sind schuld. Eine kleine Rückblende gefällig?



    Ulrike Herrmann (taz) schrieb am 18.10.2020, als das Ausmaß der zweiten Corona-Welle noch nicht klar absehbar war im selben Huldigungsstil: "Cleveres Kanzlerinnenmanöver".taz.de/Corona-Entw...tschland/!5720048/ und schlussfolgerte: "Zynischerweise muss sie warten." Sie (Angela Merkel, die ja alles weiß und versteht) musste nicht warten, und sie hätte nicht warten dürfen. Es war zynsch von der Kanzlerin, die Dinge laufen zu lassen nach dem Motto: "Die werden schon sehen."



    Wenn es ihr ernst gewesen wäre, hätte sie das Gewicht ihres Amtes genutzt und in die Waagschale geworfen. Auch wenn sie nicht mehr Parteivorsitzende ist, als Kanzlerin hätte sie den Ministgerpräsident:innen erklären können (müsssen): "Wenn Sie/Ihr nicht den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Vernunft folgt, trete ich zurück." Schließlich gehören viele der Landesoberhäupter der CDU/CSU an. Aber ihre persönliche Autorität einzusetzen, ist ihre Sache nicht. Das hat sie noch nie getan.



    Statt dessen schöne Begriffe, Apelle an die Bürger:innen und Leerphrasen - "Sie kennen mich.", "Wir schaffen das." usw. usw. Das war`s. Die Arbeit machen Andere. Vielleicht. Hoffentlich.



    Im Jahre 2008 (sic!) hat sie die "Bildungsrepublik Deutschland" ausgerufen. Was folgte danach? Es wurden zwar Milliardenbudgets aufgelegt, aber irgendwann wurde festgestellt, dass die Mittel zu großen Teilen gar nicht abgerufen wurden. Och. Wenn es der Kanzlerin wirklich wichtig gewesen wäre, was außer der Formulierung schöner Begriffe noch so passierte, hätte sie nachhaken müssen.

    ff Rest

    • @Lowandorder:

      ff & Rest

      “… Schule ist zwar Ländersache, aber wenn der Bund Geld gibt, könnte doch mal nach der Verwendung gefragt werden? Oder? Oder überwiegt bei der "Schwäbischen Hausfrau" die Freude über das noch vorhandene Geld? Die Quittung für Merkelsche Nichtpolitik haben wir in den letzten 10 Monaten beim Home-Schooling bekommen.



      Ein Desaster.“

      kurz - Hart - aber wer wollte widersprechen?! Nö nich!

      • @Lowandorder:

        @ @LOWANDORDER ff & Rest

        Indes, wenn sie nochmal antreten würde, sie würde wieder gewählt werden.



        Es gibt ihn wirklich, diesen sedierten Zustand, die Selbstzufriedenheit in Gesellschaft und Medien, alles ist an seinem Platze. Das bisschen Rebellion, von Rebellen, die zu sich selbst auf supervisorischer Distanz sind, wird zugelassen, abgefedert, augenzwinkernd und verständnisvoll in Kauf genommen.



        WutkolumnistInnen richten sich selbst.



        Ist das noch Gelassenheit auf dem Weg ins grüne Biedermeier oder schon Dekadenz?



        Selbst die Söders säuseln kopfstimmig und testosteronbefreit.



        Ein gesättigtes Land im Selbsterfahrungsmodus. Das kann ja heiter werden.

      • @Lowandorder:

        ne, nich. Das Schlimme ist, ich mag sie, ich gebe es zu. Das wird noch hart, zu sehen und abzuarbeiten, was alles liegen geblieben ist nach soviel Jahren Angie...

  • In jedem x-Beliebigen Land mit einer ähnlich hohen Zahl täglicher Toter würde man die Regierung dafür verantwortlich machen, nur in Deutschland nicht.

  • So langsam wird es alternativlos, das Personal aus zu tauschen. Gibt es wirklich keine Experten, die andere Vorschläge haben als eine Voll-Lockdown mindestens bis Ostern, am besten bis Weihnachten?



    Müssen wir wirklich Zoos und Museen schließen? Gibt es niemanden in diesem Land, der es hilfreich fände, mehr Daten zu erheben zu Dunkelziffer, Prävalenz, Infektionswegen, Mutationen - was sind das für Wissenschaftler, die im daten- und faktenfreien Raum Lockdowns fordern, ohne Einblicke in das Infektionsgeschehen zu haben?



    Und was sind das für Politiker, die die Grundrechte von 80 Millionen Menschen einschränken, weil sie unfähig sind, eine Impfkampagne zu organisieren, eine Kontaktverfolgung oder eine wirksame Test- und Isolierungsstrategie?

  • "Weg aus dem Lockdown-Teufelskreis. Wie Deutschland schon im März zur fast coronafreien Zone werden kann.

    Mitte Februar könnte die Inzidenz unter die 50er-Marke sinken. Dennoch fordern Wissenschaftler eine Verlängerung der harten Maßnahmen. Sie haben gute Gründe." Caroline Ring

    "Vier bis sechs Wochen, schätzt Michael Hallek: So lange müsste man den



    Lockdown noch durchhalten. Im März könnte dann das gesamte Bundesgebiet eine grüne Zone sein, sagt er. 'Wir haben das schon einmal geschafft, als wir entschlossener waren.'"

    www.tagesspiegel.d...kann/26875028.html

  • "...wenn die Re­gie­rungs­che­f:in­nen der Länder nicht aus Angst vor der öffentlichen Stimmung..."



    Warum sollte in einer Demokratie auch die 'öffentliche Stimmung' beachtet werden? Ist doch nur eine Stimmung....

  • „ Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.“



    (Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert nach der verlorenen 'Schlacht von Jena')

  • alles richtig, aber es könnte schon ein anderer Plan her als "warten wir mal ab..."



    Wer in der Anstalt gesehen hat, wie die Maskenbeschaffung abgelaufen ist und wie die Impfstoffentwicklung finanziert wurde, der kann eigentlich nichts mehr erwarten....



    also warten wir aber, hauptsache wir haben alles richtig gemacht...

    • RS
      Ria Sauter
      @nutzer:

      Ja, unbedingt "Die Anstalt" schauen.



      Unfassbar, was da alles schiefgelaufen ist und Frau M. Versteckt sich hinter ihrer Raute!