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Merkels Ansage an die USARausgerutscht? Nicht mal im Traum!

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Hatte sie schlicht genug von Trumps Mätzchen? Nein. Merkels Ansage, nach der Europa sein Schicksal in die eigene Hand nehmen müsse, ist Kalkül.

Merkel teilt aus gegen Trump – ihr eigentlicher Widersacher aber ist ein ganz anderer Foto: dpa

M ag sein, Angela Merkel ist ein bisschen müde gewesen von der hinter ihr liegenden Woche. Klima-Dialog in Berlin, öffentliches Obama-Palaver beim Kirchentag, Nato-Treffen in Brüssel. Dann der desaströse G7-Gipfel in Italien, dominiert und blockiert von der blonden Bombe aus dem Weißen Haus. Und schließlich, am Sonntag, noch dieser Termin in Bayern: Bierzelt-Politik mit CSU-Chef Horst Seehofer. Gähn.

Mag also sein, das Pensum war ziemlich groß. Aber sicher nicht groß genug, als dass Angela Merkel die folgenden Sätze versehentlich rausgerutscht sein könnten: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, sprach sie im aufgeheizten Truderinger Festzelt. „Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

Das Echo auf Merkels Einlassungen ist riesig. Washington Post und New York Times freuen sich ein Loch in den Bauch, weil „Europas einflussreichste Anführerin“ politikgestalterisch nicht mehr mit Donald Trump zu rechnen scheint. Der Economist rätselt: „What's brewing in Germany?“ Die Antwort ist simpel: In Deutschland braut sich eine Bundestagswahl zusammen. Und weil Angela Merkel die gern gewinnen möchte, macht sie das nach, was beim Nachbarn gerade so gut funktioniert hat: Sie setzt auf das Thema Europa.

Emmanuel Macron, der Flankenspieler aus Paris, hat gezeigt, wie Europa-Wahlkampf geht. Seit der Brexit-Entscheidung der Briten und Donald Trumps anschließendem Wahlsieg ist die gute alte Europäische Union wieder zur smarten Idee geworden. Macrons Versprechen an die WählerInnen lautete: Lieber Europa reformieren und gemeinsam gegen Politiker wappnen, die ihr Land wie eine Hotelkette führen möchten.

Merkel tritt gegen Schulz

Merkel strickt diesen Gedanken weiter und spricht nun gar vom „Schicksal“, das „wir Europäer“ in die „eigene Hand“ nehmen müssten. Das wirkt sprachlich nicht nur wie eine wuchtige Symphonie; es markiert auch ein „Wir gegen die“. Und: Merkel stellt sich damit in eine Reihe mit einem 39 Jahre alten Hoffnungsträger, der gern so tut, als käme er politisch out of the blue. Was eine schöne Lüge ist.

Innenpolitisch wiederum ist Angela Merkels Bierzeltrede ein weiterer Tritt Richtung Martin Schulz. Dass die Spitzenkandidatin der Union dem aktuell schwächelnden SPD-Kanzlerkandidaten das Thema EU abzunehmen versucht, würde der vermutlich als „Leberhaken“ bezeichnen. Und genau so ist das auch gemeint.

Wie bei fast allen Themen der zurückliegenden Wahlperiode kapert die Kanzlerin mal wieder frech die Sozi-Themen und rückt sie in die gesellschaftliche Mitte. Erst abwehren, dann zustimmen und schließlich so tun, als hätte die Union es erfunden – so lief es seit 2013 bei eigentlich linken Themen wie dem Mindestlohn, der Frauenquote oder der Entwicklungspolitik. Warum sollte es also im Wahlkampf anders sein? Die SPD dürfte das nicht auf sich sitzen lassen. Schließlich ist ihr Kanzlerkandidat nachweislich der ausgewiesenere Europa-Experte – da mag Merkel noch so viel außenpolitische Expertise haben.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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22 Kommentare

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  • "Wir Europäer" sagte sie, in einem bayrischen Bierzelt und die Menge johlte.

     

    Ob die den Witz wohl tatsächlich verstanden haben?

  • Herr Trump will aus den USA wieder eine Weltmacht machen. Ob Herr Trump es schafft, die Rolle der Nato wieder wichtiger zu machen, als die der Europäischen Union – ist fraglich. Dazu müsste die Eu viel schwächer werden. Der Brexit oder ein durchaus möglicher Fraxit würden da nicht hinreichen.

     

    Da Herr Trump nicht konsequent seine Sachen durchzieht bzw. allein durchziehen kann und einige Sachen macht, die vielen Amerikanern nicht gefallen, kann man als Europäer daraus ableiten, dass man ihm durchaus „Nein“ sagen kann.

     

    Seine rückwirkenden Forderungen in Bezug auf Nato-Gelder kann man durchaus bestreiten. Er kann das schon mal nicht allein entscheiden.

     

    Seine wirtschaftlichen Vorwürfe (Export – Import) sind eher eine Taktik in der politischen Verhandlung.

     

    Zudem ist er ganz „neu“ in der Weltpolitik, und kann sich nicht alles erlauben. Er hat ja in Bezug auf die Innenpolitik „im Duell“ mit Hillary Clinton mal zugegeben, dass seine bestimmten Äußerungen nur Worte sind (politische Rhetorik).

  • „Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

     

    Kann man eine Kanzlerin ernst nehmen, die das jetzt erst merkt? Nach 12 Jahren?

  • Merkel reloaded, alles wie gehabt. Was ist eigentlich aus all den Merkelkritikern in der Union geworden?

    Drei Landtagswahlen gewonnen, schon haben sie wieder alle lieb, die jungen Milden sind wieder in Deckung gegangen. Nirgends macht Erfolg so sexy wie in der Union, auch um den Preis der kompletten Konturlosigkeit.

  • Eigentlich kann ich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten keinen Vorwurf machen. Was hat er Schlimmes gesagt oder getan, dass man so scharf darauf reagiert?

    Er bittet sich Bedenkzeit aus, ob er weiterhin als Klimaretter auftreten sollte. Dafür ist er eigentlich nicht gewählt worden.

    Er erinnert insbesondere die Deutschen daran, endlich ihre (finanziellen) Verpflichtungen gegenüber der NATO zu erfüllen. Vertrag ist Vertrag, oder zählt das nicht mehr?

    Und auch in der Handelspolitik bahnt sich ein Einlenken an, wenn man der deutschsprachigen Auslandspresse glauben darf.

    Und er hat ja auch nicht behauptet, Deutschland sei böse. Das war ein Übersetzungsfehler, vielleicht bewußt oder aus Gründen mangelhafter Englischkenntnisse.

    Den latenten Antiamerikanismus für den Wahlkampf zu instrumentalisieren, mag innenpolitisch zweckmäßig sein, man sollte aber bedenken, wer hier wen herausfordert. Immerhin sind die USA eine Supermacht, der Deutschland und erst Recht Europa nichts entgegenzusetzen haben. Das ist schade, aber leider Realität. Erkennen wir also die Realitäten an.

    • @Hans-Georg Breuer:

      "Den latenten Antiamerikanismus..."

       

      ...mit dem wir uns auch nur in die Schlange einreihen, in der etwa 75% der US-amerikanischen Bevölkerung schon stehen...

    • 8G
      80336 (Profil gelöscht)
      @Hans-Georg Breuer:

      Im Vergleich zu diesem Herrn war ja Nixon ein Intellektueller. Die begründete Zurückweisung eines Trampels mit latentem Antiamerikanismus gleichzusetzen, geht von Ihrer irrigen Annahme aus, dass ein Trampel gleichzusetzen ist mit Amerika. Mit Verlaub, das ist grober Unfug. Hingegen ist wahr. dass der Herr einen "War-room" einrichtet. Und nun raten Sie mal, wer der Feind ist, der in diesem "war room" bekämpft werden soll. Ein kleiner Tipp: es ist nicht Daesh, oder China, Russland, Nordkorea, die EU.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Hans-Georg Breuer:

      Das Recht des Stärkeren also. Im Klartext: Trump braucht sich nicht an das Klimaabkommen zu halten, hat aber das Recht zu fordern, dass die anderen Verträge einhalten. Ok also keine Kritik an Àmerika mehr, sondern nur noch blinder Gehorsam.

      • @82236 (Profil gelöscht):

        Nein, da haben Sie mich überinterpretiert. Noch ist die Entscheidung zum Klimaabkommen nicht gefallen. Kann auch wieder an mangelnden Englischkenntnissen liegen.

        Kritik an Amerika: ja, aber auf Grundlage von Fakten.

    • @Hans-Georg Breuer:

      Ich glaub eher, Ihre Englischkenntnisse sind nicht ausreichend.

      Übrigens gibt es keinen "Vertrag", was die finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Nato betrifft, sondern Absprachen. Und wenn jemand finanzielle Verpflichtungen nicht erfüllt, dann sind das (auch) die USA, die gerade gegenüber Organisationen wie UNICEF ganz gewaltig im Rückstand sind. Wie gehabt: Für Rüstung geben die ne Menge aus, aber lieber gar nichts für soziale Zwecke.

      • @Artur Möff:

        "bad" wäre korrekter mit "schlecht" und nicht mit "böse" übersetzt worden. Aber "böse" passt einfach besser in das Bild des infantilen Präsidenten. Dieses Bild ist sicher nicht unbegründet, wird aber gerne von den Medien übersteigert.

        • @Velofisch:

          Auf Personen angewandt ist „bad“ mit „böse“ treffend übersetzt. Einen Menschen als „schlecht“ zu bezeichnen, meint doch dasselbe (außer, Sie sind Kannibale).

      • @Artur Möff:

        Glaube, meine Englischkenntnisse sind ausreichend. "Bad" und "obsolet" habe ich jedenfalls richtig übersetzt, was daran liegt, dass ich den Originaltext gelesen habe und sogar verstanden habe.

        Mit wieviel Dollar sind die USA gegenüber UNICEF in Rückstand? Hier bitte ich wirklich um eine seriöse Quellenangabe, denn das wäre wirklich eine Schweinerei.

        Zur Rüstung: Man ist eben eine Supermacht, da muss man in anderen Kategorien denken, handeln und seine finanziellen Ressourcen dementsprechen einsetzen, eine Denkweise, die in Deutschland nicht populär ist.

  • "gemeinsam gegen Politiker wappnen, die ihr Land wie eine Hotelkette führen möchten."

     

    Schwäbische Hausfrau? Exporte -gut, Importe- schlecht? Beim Personal sparen? Kommt mir bekannt vor.

  • "Merkels Ansage an die USA

    Rausgerutscht? Nicht mal im Traum!"

     

    Ungeschminkt:

     

    Auch ohne Atomwaffen ist Deutschland bereits die dominante Wirtschaftsmacht in ganz Europa! Dafür bedurfte es keines militärischen Weltkrieges! Die Qualität der Warenproduktion bestimmt den Weltrang! Allerdings, auch auf Kosten der geringen Arbeits- und Armutslöhne und der Millionen Menschen im sozialdemokratischen Hartz-IV-Strafvollzug!

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Mehr Eurpopa? Ja natürlich. Aber welches Europa? Ein deutsches Europa mit Schäuble als Kassenwart mit schwarzer Null für alle und eng angezogenem Gürtel für das untere Drittel? Eine europäische Verteidigungsgemeinschaft mit der Atommacht Frankreich Und dessen Grossmachtstreben in Afrika?

    Oder ein soziales, solidarisches, ökologisches und atomfreies Europa?

  • Jetzt wo die USA gegen deutsche Exportüberschüsse wettern und Konsequenzen androhen, entdeckt Frau Merkel Europa. Am Besten sollen doch gelich alle zusammen Europa, also die deutsche Wirtschaftspolitik mit seinen Exportüberschüssen verteidigen.

    Das grenzt schon fast an Hohn, wenn jetzt dieses Europa, das unter den wirtschaftlichen Ungleichgewichten, die massiv zu Deutschlands Gunsten gehen gemeinsam verteidigt werden soll.

    Überspitzt gesagt, da soll der Sklave mit seinem Herrn gegen Ungerechtigkeiten, die seinem Herrn widerfahren kämpfen.

    Wie gesagt ist überspitzt , aber die Absurdität in Merkels Haltung ist einfach nur frech.

  • Mag sein, dass sich da eine Wahl „zusammenbraut“ in Deutschland. Nur: was ist falsch an der Behauptung, Europa müsse sein Schicksal „wirklich“ in die eigene Hand nehmen? Wieso musste erst eine Bundestagswahl anstehen, wieso musste erst ein Trump die USA regieren und ein Macron in Frankreich, bevor „die Europäer“ öffentlich der Ansicht sein durften, sie wären nicht das Ziehkind einer „Weltmacht“ namens USA?

     

    Die Zeiten, in denen „wir“ uns auf andere völlig verlassen konnten, sind nicht erst seit ein paar Monaten vorbei. Was daran war bislang zu übersehen? Wir leben in einer Konkurrenzgesellschaft. Seit 1945 schon. Spätestens. Genau deswegen haben „wir“ ja immer schon nach Kräften zugesehen, wo „wir“ geblieben sind. Wir wollten schlicht nicht „hinten runter fallen“ – ökonomisch und politisch. Nein, angegeben haben „wir“ noch nicht mit unsrer Selbstermächtigung vor 2017. „Wir“ waren aber auch nicht grade heimlich beispielsweise ein „Exportweltmeister“ oder auch eine „Mittelmacht“.

     

    Wenn Angela Merkel hier tatsächlich mal wieder ganz „frech die Sozi-Themen [kapert]“ - wieso haben sich dann „die Washington Post“ und „die New York Times“ nicht schon vor ein paar Wochen “ein Loch in den Bauch [gefreut]“ darüber, dass der überzeugte Europäer Martin Schulz so was wie Rückgrat zeigt mit Hinblick auf die USA? Wieso hat der Economist“ auf Merkel warten müssen, ehe er fragen konnte, was sich in Deutschland so „zusammenbraut“? Weil „die SPD“ zu dämlich ist für solche Strategien? Ganz sicher nicht. Vielleicht eher, weil die SPD-Basis nach Jahren entsprechender Versuche offenbar gründlich die Nase voll hat von neoliberalem Großmanns-Geschwätz – und ihre Führung das immerhin ahnt.

    • @mowgli:

      "Weil „die SPD“ zu dämlich ist für solche Strategien? Ganz sicher nicht."

       

      Naja den Eindruck der 100%-tigen Fähigkeit macht die SPD nun auch nicht.

  • Bahnbrechende Ideen wie Europa wirklich ein Europa der Menschen werden kann, haben doch beide nicht.

  • Naja, es ist ja wirklich nicht so als hätte Schulz nicht theoretisch auch die Möglichkeit mal von Politik zu reden anstatt nur auf einer schon versiegenden Hype-Welle ein Stück zu reiten.

     

    So dumm es ist, aber dieser Merkel-CDU haben die SPD und Schulz offenbar nicht viel entgegenzusetzen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Mustardman:

      Subtrahieren wir den Amtsbonus, den sie momentan geschickt nutzt, bleibt inhaltlich nicht mehr als Schulz.