Menschenrechtlerin über Afghanistan: „Humanitäre Hilfe kein Druckmittel“
Frauen dürfen in Afghanistan nicht mehr studieren. Die afghanische Menschenrechtlerin Shaharzad Akbar spricht über mögliche Reaktionen auf die Unterdrückung.
taz: Frau Akbar, wie erklären Sie sich das jetzige Timing des Univerbots für Frauen?
Shaharzad Akbar: Das Univerbot für Frauen wurde schon einige Zeit diskutiert, Aktivistinnen hatten schon länger Alarm geschlagen. Trotzdem sind wir geschockt. Aber es ist auffällig, dass die Taliban am gleichen Tag zwei US-Bürger aus der Gefangenschaft freigelassen haben. Das ist eine Ironie: Zwei Menschen bekommen die Freiheit, während Millionen afghanischer Frauen unter Hausarrest gestellt werden.
Jahrgang 1987, ist eine afghanische Menschenrechtlerin. Bis Anfang 2022 war sie Vorsitzende der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission.
Verbirgt sich hinter dem Univerbot für Frauen ein Machtkampf, also der Versuch von Taliban-Hardlinern sich durchzusetzen?
Schon seit der Machtübernahme am 15. August 2021 sehen wir einen Bruch gemachter Zusagen und eine Erosion der Menschenrechte. Die repressiveren Kräfte haben sich jetzt durchgesetzt.
Die Taliban hatten sich zunächst wohl auch deshalb mehr zurückgehalten, weil sie auf internationale Anerkennung ihres Regimes gehofft hatten. Das ist nicht erfolgt. War es ein Fehler, sie nicht anzuerkennen, weil man jetzt weniger Sanktionsmöglichkeiten hat?
Absolut nicht, es wäre ein schwerer Fehler gewesen, das Regime ohne Garantien für Menschen- und Frauenrechte anzuerkennen. Die Taliban hatten bei den Gesprächen mit den USA in Doha den Eindruck gewonnen, dass sie sich nicht bewegen müssen, weil sie ohnehin bekommen, was sie wollen. Wäre ihr Regime bald anerkannt worden, hätte das genau diesen Eindruck bestätigt.
Die Taliban hatten bereits den Sekundarschulbesuch von Mädchen verboten, aber nicht landesweit durchsetzen können, weil sich manche Distrikte erfolgreich dagegen gewehrt haben. Ist das beim Univerbot für Frauen auch denkbar?
Das Univerbot landesweit durchzusetzen wird für die Taliban leichter sein, auch weil die Zahl der Hochschulen viel niedriger ist. Auch bei Sekundarschulen konnte das Verbot inzwischen landesweit durchgesetzt werden, die Ausnahmen betrafen nur wenige Provinzen. Es gibt aber Widerstand, so kündigen bereits einige Professoren, und mancherorts sind auch männliche Studenten in den Streik getreten.
Welche Strategien sind am aussichtsreichsten, um das Verbot zu verhindern?
Es braucht eine Kombination aus lokalem Widerstand und internationalem Druck. Leider hat sich der Raum für Widerstand in Afghanistan stark verkleinert. Sagt man nur ein kritisches Wort, droht Gefangennahme und Folter. Ohne Unterstützung von außen geht es also nicht, vor allem aus islamischen Ländern und religiösen Vereinigungen. Und leider gibt es kaum Visa und Stipendien für afghanische Frauen aus anderen Ländern. Deutschland hat sich noch etwas mehr engagiert, aber andere Länder wollen von der Unterstützung für afghanische Frauen nichts wissen.
In Iran gibt es seit drei Monaten Massenproteste und dabei spielen Frauen eine zentrale Rolle. Sehen Sie Parallelen?
Der Widerstand in Iran ist sehr ermutigend. Es gibt aber auch große Unterschiede zwischen den beiden Ländern. Auch wenn die Unterdrückung der Frauen ähnlich ist, reagieren westliche Länder ganz anders darauf.
Im Westen ist das Interesse an Iran größer?
Ja. Im Westen gilt Afghanistan als peinliche Niederlage, an die man nicht erinnert werden möchte, während die Proteste in Iran als Chance gelten, das dortige Regime stärker unter Druck zu setzen.
Wie sollte sich die internationale Gemeinschaft gegenüber den Taliban verhalten? Die humanitäre Hilfe weiter kürzen?
Auf keinen Fall, sie muss erhöht werden. Afghanen dürfen nicht ausgehungert werden, deshalb müssen alle wirtschaftlichen Sanktionen dahingehend überprüft werden, wie das Leid der normalen Bevölkerung gemildert werden kann. Humanitäre Hilfe sollte nicht als Druckmittel eingesetzt werden.
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